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Politik

Berlin: Grundrechte in Türkei ausgehebelt

30. September 2020

Die Türkei geht mit Gegnern nicht zimperlich um. Das schreibt das Auswärtige Amt in einem vertraulichen Papier. Weniger kritisch schätzt es die Situation in einem Bereich ein, in dem das Land ein wichtiger Partner ist.

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Türkische und deutsche Fahnen
Bild: picture alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Das Auswärtige Amt stellt der Türkei bei der Wahrung demokratischer Grundrechte ein vernichtendes Zeugnis aus. "Die türkische Verfassung garantiert Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit. In der Praxis sind die Rechte aber weitgehend ausgehebelt", heißt es in dem vertraulichen "Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage" in dem Land, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die türkischen Print- und TV-Medien werden in dem Papier als "nahezu vollständig gleichgeschaltet" beschrieben.

Die vom Auswärtigen Amt regelmäßig für die wichtigsten Herkunftsländer erstellten Lageberichte sind eine wichtige Entscheidungshilfe in Asylverfahren. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Ausländerbehörden aber auch Gerichte nutzen sie zur Beurteilung der Lage im Herkunftsland. Das 31 Seiten umfassende aktuelle Papier ist auf den 24. August datiert und bildet den Stand vom Juni ab.

Gülen-Anhänger haben es besonders schwer

Knapp 10.800 Türkinnen und Türken beantragten im vergangenen Jahr Asyl in Deutschland. Rund jeder Zweite erhielt hierzulande Schutz, wenn man Entscheidungen ausklammert, die sich etwa aus rein formalen Gründen erledigt haben.

Wen die Regierung in Ankara als Anhänger der Gülen-Bewegung einstuft, der muss auch mit juristischer Verfolgung rechnen. Laut Bericht genügt als Indiz bereits ein Abonnement bestimmter Medien, die Nutzung einer bestimmten Bank oder einer speziellen Kommunikations-App. Die Türkei macht den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch von 2016 verantwortlich.

Ausland ausspähen

Auch im Ausland behält die Türkei nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes Kritiker im Blick. "Es kann davon ausgegangen werden, dass türkische Stellen Regierungsgegner, darunter insbesondere (auch vermeintliche) PKK- und Gülen-Anhänger, im Ausland ausspähen, ebenso wie sie Tätigkeiten von in Deutschland registrierten Vereinen beobachten." Die kurdische Arbeiterpartei PKK ist in der Türkei als Terrororganisation eingestuft und in Deutschland verboten.

Generell sei die türkische Justiz mit Terrorvorwürfen rasch bei der Hand. Schon "öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den kurdisch geprägten Gebieten der Südosttürkei" könne den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen. Die Justiz wird als "in weiten Teilen dysfunktional" und teils politisch beeinflusst beschrieben. "Darüber hinaus wurden einzelne Richter nach kontroversen Entscheidungen suspendiert oder (straf-)versetzt, woraufhin andere Richter gegen die gleichen Angeklagten zum politisch opportunen Ergebnis kamen", heißt es in dem Papier.

Wichtiger Partner in EU-Migrationspolitik

Milder beurteilt das Auswärtige Amt die Situation für Migranten in der Türkei. Das Land beherbergt laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR weltweit die meisten Geflüchteten und ist ein zwar schwieriger, aber wichtiger Partner für die EU in der Migrationspolitik. Nach offiziellen Angaben leben dort aktuell knapp vier Millionen registrierte Geflüchtete, davon 3,6 Millionen Syrer, die vorübergehenden Schutz genießen. Die Behörden seien überlastet, wenn es um die Einzelfall-Prüfung nicht-syrischer Anträge gehe. Registrierte Geflüchtete haben Anspruch auf medizinische Versorgung und dürfen im Prinzip arbeiten - das sei in der Praxis aber so schwierig, dass die meisten allenfalls schwarz arbeiteten, heißt es.

Das Auswärtige Amt verweist auf Berichte von Menschenrechtsorganisationen zu Misshandlungen von Geflüchteten durch Sicherheitskräfte und über erzwungene Unterzeichnungen von Erklärungen zur freiwilligen Ausreise, merkt aber an: "Es ist nicht erkennbar, dass dies eine systematische Praxis darstellt. UNHCR evaluiert die Flüchtlingspolitik der Türkei auch im internationalen Vergleich tendenziell positiv."

Kritik von Pro Asyl

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sieht das völlig anders. "Die Türkei ist eine Black Box, was den Umgang mit Schutzsuchenden angeht", beklagt Geschäftsführer Günter Burkhardt. Generell stehen in der Türkei auch Menschenrechtsorganisationen unter staatlichem Druck, was ihre Arbeit erschwert. "Es ist skandalös, dass Deutschland und die EU solch einem Unrechtsregime Schutzsuchende anvertrauen", erklärte Burkhardt. "Die türkischen Behörden geben Geflüchteten kaum Möglichkeiten, sich registrieren zu lassen. Damit bleiben sei in der Illegalität und sind von Abschiebung permanent bedroht." Die Türkei sei kein Rechtsstaat. Das treffe auch Geflüchtete.

jwa/ww (dpa)