Bundesregierung nennt Namibia-Massaker "Völkermord"
10. Juli 2015Es hat Jahrzehnte gedauert, doch in Zukunft gilt für die Bundesregierung folgende politische Leitlinie: "Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Kriegsverbrechen und Völkermord." Das sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer. In absehbarer Zeit soll es dazu auch eine gemeinsame Erklärung mit Namibia geben. Die Bundesregierung bekenne sich ausdrücklich zur "besonderen historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia und seinen Bürgern".
Seit über einem Jahr führt die Bundesregierung Gespräche und Verhandlungen über die deutsche Kolonialgeschichte in Deutsch-Südwestafrika und ihre jetzt noch spürbaren Folgen. Dabei geht es in erster Linie um die "Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft mit Namibia", wie Schäfer betont. Gleichzeitig müsse aber eine "würdige Kultur des Gedenkens und Erinnerns an die damaligen Gräuel und ein gemeinsames Verständnis über die Vergangenheit" gefunden werden.
Erster Völkermord des 20. Jahrhunderts
Zum Stand der Verhandlungen sagte Schäfer, die Gespräche würden sehr konstruktiv verlaufen und seien gut vorangekommen, aber noch nicht abgeschlossen. Nicht klar ist, ob es seine offizielle deutsche Entschuldigung und eine finanzielle Entschädigung geben wird. Zudem gibt es auf namibischer Seite Streit darüber, wer mit Berlin verhandeln darf. Die Nama und Herero - heute etwa 300.000 - misstrauen der Zentralregierung in Windhuk.
Deutschland zählte das heutige Namibia von 1884 bis 1915 unter dem Namen Deutsch-Südwestafrika zu seinen Kolonien. Als die Herero 1904 einen Aufstand begannen und mehr als hundert Deutsche getötet wurden, ordnete der deutsche General Lothar von Trotha die Vernichtung des Stammes an. "Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen", lautete der am 2. Oktober 1904 erlassene Befehl. Die Herero-Bevölkerung wurde vor dem Massaker auf 50.000 bis 80.000 geschätzt, es überlebten nur rund 15.000 Menschen.
Zähes Ringen ….
Alle Bundesregierungen weigerten sich jahrzehntelang, die Gräueltaten der Truppen von Kaiser Wilhelm II. als Völkermord anzuerkennen. Die Begründung: Der Tatbestand des Völkermords sei erst 1948 von den Vereinten Nationen eingeführt worden und von daher nicht auf die Ereignisse im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika anwendbar. Allein die SPD-Politikerin und damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sprach 2004 als erste Vertreterin einer deutschen Regierung von Völkermord.
In einer Gedenkveranstaltung zum 100. Jahrestag des Massakers in Namibia sagte sie vor Nachfahren der Herero, Nama und Damara: "Wir Deutsche bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben. Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde und für den ein General von Trotha heutzutage vor Gericht gebracht und verurteilt würde." Die offizielle Haltung der damaligen rot-grünen Regierung war das allerdings nicht.
…. und späte Einsicht
Das änderte sich erst, als die SPD wieder in der Opposition war. 2012 stellte der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende und heutige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gemeinsam mit den Grünen einen Antrag im Bundestag. Darin hieß es unter anderem: "Der Deutsche Bundestag erkennt die schwere Schuld an, die deutsche Kolonialtruppen mit den Verbrechen an den Herero, Nama, Damara und San auf sich geladen haben und betont, wie Historiker seit langem belegt haben, dass der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 ein Kriegsverbrechen und Völkermord war."
Der Antrag wurde jedoch mit der Stimmenmehrheit der schwarz-gelben Bundesregierung abgelehnt. 2013 ging die SPD mit der Union erneut eine Regierungskoalition ein und Steinmeier wurde Außenminister. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit habe er das Gespräch mit seiner namibischen Amtskollegin gesucht, sagte Steinmeiers Sprecher Martin Schäfer.
Auch Lammert spricht von Völkermord
Als erster CDU-Politiker hat auch Bundestagspräsident Norbert Lammert die historischen Ereignisse kürzlich als Völkermord bezeichnet. "An den heutigen Maßstäben des Völkerrechts gemessen war die Niederschlagung des Herero-Aufstands ein Völkermord", schrieb er in einem Beitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit". Der Krieg der Deutschen gegen die Herero sei ein "Rassekrieg" gewesen. "Nicht nur den Kampfhandlungen, sondern auch Krankheiten und dem gezielten Morden durch Verdursten- und Verhungernlassen fielen Zehntausende Herero und Nama zum Opfer, andere starben in Konzentrationslagern oder bei der Zwangsarbeit."