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Bundesregierung ruft Frühwarnstufe des Notfallplans Gas aus

30. März 2022

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat wegen einer drohenden Verschlechterung der Versorgungslage die Frühwarnstufe des sogenannten Notfallplans Gas ausgerufen. Die Versorgung sei derzeit aber garantiert.

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Wirtschaftsminister Robert Habeck zur Energiesicherheit
Wirtschaftsminister Robert Habeck zur Energiesicherheit Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat an die Verbraucher appelliert, Gas einzusparen. Jede eingesparte Kilowattstunde Energie helfe, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Berlin. Die Ausrufung der ersten Stufe des Notfallplans Gas sei eine Vorsorgeentscheidung. Die EU-Kommission sei darüber informiert worden. "Wir sind in einer Phase, wo wir uns genau anschauen, welche Ströme abreißen können", so Habeck. 

Auf die erste Stufe des Notfallplans Gas folgen zwei weitere Stufen: die Alarm- und die sogenannte Notfallstufe. In der ersten Stufe liege die Verantwortung über die Gasversorgung bei den Energieversorgern. Erst in der letzten Stufe greife der Staat ein, so Habeck. 

Der Wirtschaftsminister verwies auf Drohungen Russlands, russische Gaslieferungen nach Westeuropa nur noch in Rubel zu akzeptieren. Derzeit ginge man davon aus, dass Russland neue Verträge vorlege. Deutschland werde darauf vorbereitet sein. "Wir werden keinen Bruch der Lieferverträge akzeptieren", sagte der Minister. Auch die anderen G7-Staaten lehnen Gaszahlungen in Rubel ab.

Unterdessen erklärte der Kreml, die Änderungen träten noch nicht an diesem Donnerstag in Kraft. Die Lieferung von Gas und die Bezahlung seien getrennte Prozesse, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Wie hart könnte ein Gasstopp Deutschland treffen?

Deutschland würde nach Einschätzung der Ökonomin Veronika Grimm mit den Folgen eines Gasembargos gegen Russland zurechtkommen. "Natürlich wäre ein Embargo für Deutschland mit massiven Einschnitten verbunden", sagte sie den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Mittwoch. "Es würde eine Rezession auslösen, in der Größenordnung möglicherweise vergleichbar mit der Pandemie", fuhr sie fort. Der Staat müsste unmittelbare Härten abfedern. "Es wäre also herausfordernd."

Russlands Macht über Pipelines und Gasspeicher

Jedoch teile sie die Einschätzung, "dass wir damit zurechtkämen, wenn Putin sprichwörtlich den Hahn zudreht", sagte die Wirtschaftsweise mit Verweis auf den russischen Präsidenten. Deutschland sei mit 60 Prozent Staatschuldenquote in die Pandemie gegangen, jetzt seien es etwa 70 Prozent. "Da ist noch Spielraum. Den sollte man nutzen, wenn man glaubt, den Konflikt durch eine Einstellung der Zahlungen an Russland einhegen zu können." Es sei "strategisch nicht klug, wie bisher einfach zu zahlen".

Oder doch zehn Prozent BIP-Verlust? 

Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte hingegen vor "dramatischen" wirtschaftlichen Auswirkungen, sollte es zu einem Stopp der gesamten russischen Energielieferungen kommen. In der "Passauer Neuen Presse" verwies er darauf, dass die Wirtschaft die Corona-Krise noch nicht bewältigt habe. "Die deutsche Wirtschaft ist momentan fragil, und daher träfe uns ein solcher Schock nun hart." Im Fall eines Lieferstopps seien eine Rezession und eine Inflation in Höhe von zehn Prozent denkbar, warnte Fratzscher. "Manche Unternehmen würden ihre Produktion wohl einstellen müssen und mehr Menschen in Kurzarbeit schicken", sagte er der Zeitung. Konsumenten müssten auf Gewohntes verzichten.

Gefahr für Lieferketten

Schon zuvor hatten Branchenvertreter vor den Folgen eines Gasstops für verzweigte Lieferketten gewarnt. So zum Beispiel in der chemischen Industrie. Hier läuft ohne Öl und Gas fast gar nichts. So werden viele Vorprodukte hergestellt, die von der Automobil- bis Pharmaindustrie essenziell sind. Michael Vassiliadis, Chef der Chemiegewerkschaft IG BCE, hatte bereits am Montag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für den Fall eines abrupten Stopps der Gasimporte vor dem Verlust von "Hunderttausenden" Arbeitsplätzen und einer Beeinträchtigung der Versorgung gewarnt. Der Chemiekonzern BASF erklärte gar, er müsse seinen Standort in Ludwigshafen stilllegen, sollten sich Gaslieferungen mehr als halbieren. Noch herrscht auch Unklarheit, wie Industriekunden bei Notfällen behandelt werden. Aus dem Notfallplan Gas geht hervor, dass sie von der Versorgung ausgenommen werden dürfen. Details aber fehlen. 

Derzeit seien die Gasspeicher in Deutschland zu 25 Prozent gefüllt, ein zu dieser Jahreszeit eher normaler Füllstand. Zudem bekomme man LNG-Gas über europäische Partner, so der Wirtschaftsminister. Die entscheidende Frage sei derzeit eher, wie voll die Speicher im kommenden Herbst seien. 

Auch Österreich aktiviert erste Stufe des Gas-Notfallplans

Nach Deutschland hat auch Österreich die Frühwarnstufe für die Gasversorgung ausgerufen. "Wir werden alles dafür tun, um die Gasversorgung in Österreichs Haushalte und Betriebe sicherzustellen", sagte Bundeskanzler Karl Nehammer. Derzeit würden die Gaslieferungen aus Russland uneingeschränkt laufen. Die heimischen Gasspeicher seien zu 13 Prozent gefüllt, was dem Durchschnitt der letzten Jahre entspreche.

Die Frühwarnstufe ist der erste Schritt eines dreistufigen Notversorgungsplans. Damit wird die Überwachung des Gasmarktes verschärft. Energielenkungsmaßnahmen, wie etwa Rationierungen, seien aber erst ab Stufe 3 vorgesehen, teilte das Energieministerium in Wien mit.

nm/qu/ehl/hb (dpa, rtr, afp)