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Bundestag beschließt Lieferkettengesetz

11. Juni 2021

Das Parlament hat nach langem Hin und Her das Lieferkettengesetz verabschiedet. Ist jetzt endlich Schluss mit Ausbeutung, Kinderarbeit und Umweltzerstörung?

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Iran Kinderarbeit
Bild: Fararu

Junge Mädchen, die mit bloßen Händen Ziegelsteine formen. Jungen, die in Steinbrüchen schuften. Näherinnen, die mit einem Stundenlohn von 25 Cent abgespeist werden. Damit soll nun Schluss sein. Jedenfalls ist das die Vorstellung der Großen Koalition, deren Gesetzentwurf nun auch den Bundestag final passiert hat, nach jahrelangem Zoff. Die Koalitionsparteien und die Grünen stimmten dafür, AfD und FDP dagegen, die Linke enthielt sich.

Müller: "Ich habe die Trümmer gesehen"

Vor allem für Entwicklungsminister Gerd Müller von der konservativen CSU war das Gesetz ein Herzensanliegen. Nach acht Jahren als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zieht er sich im September - nach den Bundestagswahlen - aus der Politik zurück. Dass das Lieferkettengesetz endlich kommt, ist für ihn so etwas wie sein politisches Vermächtnis.

Im Bundestag wird Müller ein bisschen sentimental. Es sei vielleicht seine "letzte Rede hier", führt er aus. Den Opfern von Kinderarbeit und dramatischen Unglücken ruft er zu: "Wir haben euch nicht vergessen!" Das Gesetz stehe für "ethisches und soziales Handeln".

Der DW schreibt er auf Anfrage: "Ausgangspunkt für das Gesetz war das Unglück von Rana Plaza, wo 1100 Näherinnen ihr Leben verloren haben, und mein Besuch dort. Ich habe die Trümmer gesehen und mit den Frauen gesprochen, das hat mich aufgewühlt. Und deshalb dieses Lieferkettengesetz." Im April 2013 war in der Textilfabrik in Bangladesch ein verheerendes Feuer ausgebrochen. Auch deutsche Unternehmen ließen dort Hemden und Hosen nähen.

Bangladesch, Dhaka: Rana-Plaza-Katastrophe
Der bislang größte Unfall in der internationalen Textilindustrie: die Tragödie von Bangladesch vor acht JahrenBild: picture-alliance/dpa/A. Abdullah

Auch Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD hat lange - und im Team mit Gerd Müller - unnachgiebig für das Gesetz gekämpft. Im Bundestag spricht er von "konkretem Menschenschutz". Das Lieferkettengesetz setze klare Standards "gegen Ausbeutung, Kinderarbeit, Sklavenarbeit".

Bundestag I Gerd Müller CSU
Erfolg nach langem Kampf: Entwicklungsminister Gerd Müller und Arbeitsminister Hubertus Heil feiern ihren "Coup"Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Gebremst hatte immer wieder Peter Altmaier von der CDU, der als zuständiger Minister die Interessen der Wirtschaft zu vertreten hatte. Am Tag der Verabschiedung ist er nicht im Bundestag erschienen. Zuvor sprach Altmaier von einem "vernünftigen Kompromiss". Die deutsche Wirtschaft werde am Ende nicht schwächer, sondern stärker dastehen. FDP und AfD halten die Lasten für die Unternehmen für zu hoch. Den Linken geht das Gesetz nicht weit genug.

Mit dem Lieferkettengesetz Menschenrechte schützen

In Zukunft müssen deutsche Unternehmen dafür sorgen, dass grundlegende Menschenrechtsstandards in allen Phasen der Produktions- und Lieferkette auch im Ausland eingehalten werden. Also zum Beispiel das Verbot von Kinder- oder Zwangsarbeit.

Infografik Lieferkettengesetz Kinderarbeit weltweit 2021 DE
Kinderarbeit steigt: Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind rund 160 Millionen Kinder betroffen

Auch Umweltbelange sind relevant, wenn sie zu Menschenrechtsverletzungen führen. Zum Beispiel bei verschmutztem Wasser, was die Gesundheit der Menschen gefährdet.

In Kraft treten soll das Gesetz in zwei Schritten: Von 2023 an sind 700 große Firmen mit mehr als 3000 Beschäftigten davon betroffen, ab 2024 dann knapp 2900 Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten. Das Gesetz verpflichtet Firmen beispielsweise, Menschenrechtsverletzungen über Risikoanalysen aufzuspüren und dagegen vorzugehen. Unternehmen, die dennoch Ausbeutung dulden, drohen in Zukunft hohe Bußgelder.

Glitzer-Effekt und Kinderarbeit

Zusätzlich können sie bis zu drei Jahre lang von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. Überprüft werden sollen die Regeln von einer Bundesbehörde. Deutsche Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen dürfen außerdem im Ausland Betroffene bei der Vertretung ihrer Rechte vor deutschen Gerichten vertreten.

Lob und Tadel für das Gesetz

Immer wieder waren Beratungen, Ausschüsse und Abstimmungen im Bundestag verschoben worden. Sogar die Bundeskanzlerin intervenierte, als die Verhandlungen ins Stocken gerieten. Nun wird das Versprechen erfüllt, das die Regierungspartner bindend im Koalitionsvertrag festgeschrieben hatten. Entwicklungsminister Gerd Müller erklärte der DW: "In Zukunft steht 'Made in Germany' nicht nur für Qualität, sondern auch für Fairness und Nachhaltigkeit."

Die Opposition sieht das Gesetz eher kritisch: Der Co-Chef der Grünen, Robert Habeck, sprach kürzlich in einer Online-Videokonferenz von "pragmatischem Idealismus" und bedauert, dass es erst ab einer Betriebsgröße von 3000 Mitarbeitern wirke. Im Umweltbereich könnten die "Kriterien deutlich schärfer sein", ergänzte er. Außerdem fehle die Möglichkeit von zivilrechtlichen Klagen.

FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff sagte in dem Videochat, dass es "keinen Wettbewerbsvorteil für deutsche Unternehmen geben werde, solange italienische, spanische, polnische Unternehmen weiter so wirtschaften wie bisher". Unternehmer "rennen mir derzeit die Türe ein", berichtet der Abgeordnete weiter. Sie sagten: "Wir werden uns aus vielen Märkten zurückziehen."

Wirtschaft und Verbände sind kritisch

Diese Befürchtung haben auch die Arbeitgeberverbände und große Teile der Industrie. Sie kritisieren den deutschen Alleingang beim Lieferkettengesetz. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht viele Unternehmen wegen ihrer globalen Lieferketten und wegen des internationalen Wettbewerbs vor große Herausforderungen gestellt. Und der Verband der der Maschinenbauer (VDMA) befürchtet "spürbar mehr Bürokratie und Belastung" für viele Firmen.

Der Bundesverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichtregierungsorganisationen (VENRO) lobt zwar einen "Paradigmenwechsel" durch das neue Gesetz. Der VENRO-Vorstandsvorsitzende, Bernd Bornhorst, mahnt jedoch auf Anfrage der DW "Nachbesserungen" an: "Insbesondere ist eine klare Haftungsregel notwendig, so dass bei Menschenrechtsverstößen die Betroffenen vor deutschen Gerichten klagen können. Nur dann haben diese eine echte Chance auf Gerechtigkeit."

Europäisches Lieferkettengesetz in Arbeit

Deutschland prescht also mit dem Lieferkettengesetz voran. Dabei müsse eine europäische Lösung her, fordert die Wirtschaft. Auch Entwicklungsminister Gerd Müller sieht das so. Der DW sagte er: "Es müssen noch weitere Schritte folgen. Unser Lieferkettengesetz ist auch eine Blaupause für eine Regelung auf Ebene der EU." Ein entsprechendes Gesetz ist im EU-Parlament schon in Arbeit. Nun Vorbild: das deutsche Gesetz von Entwicklungsminister Gerd Müller.

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online