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Politik

Bundestag beschließt "Facebook-Gesetz"

Kay-Alexander Scholz
30. Juni 2017

Wer demnächst auf Facebook etwas Strafbares postet, muss damit rechnen, dass sein Posting wieder gelöscht wird. Ab Oktober gilt nämlich das "Netzwerkdurchsetzungsgesetz". Was steckt dahinter?

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Social Media Spyroom Illustration
Bild: Fotolia/boscorelli

Mit dem neuen Social-Media-Gesetz schreibt der deutsche Gesetzgeber Facebook, Twitter und Co. nun klarer als bislang vor, dass sie bestimmte Postings löschen müssen. Bisher lag das allein in den Händen der US-Netzwerkbetreiber und war in der Praxis eher eine Frage des guten Willens. 

Allerdings soll - so strebt es das Gesetz zumindest an - nicht automatisch gelöscht werden, sondern nur, nachdem sich jemand beschwert hat. Zum Beispiel, weil diese Person auf Facebook öffentlich beleidigt oder verleumdet wurde. Es soll nun viel einfacher werden, sich zur Wehr zu setzen. Zum einen, weil die Unternehmen zu einem professionellen Beschwerdemanagement verpflichtet werden: Hotline-Schleifen und Vertrösten soll es nicht mehr geben. Zum anderen kann sich die Person auf eine gesetzliche Grundlage beziehen. 

Löschfristen sind einzuhalten 

Was für Privatpersonen gilt, soll übrigens mit leichten Abweichungen auch für Behörden und Gerichte gelten. Facebook und Co. müssen für Anfragen von dort einen festen Ansprechpartner benennen. Bislang gab es das noch nicht.

USA Facebook-Zentrale
Facebook-Zentrale in Kalifornien - hier erinnert wenig an "Hass-Kriminalität"Bild: DW/C. Chimoy

Nach der Beschwerde müssen die Unternehmen in ganz offensichtlichen Fällen das Posting innerhalb von 24 Stunden löschen. Ist die Lage nicht so eindeutig, dann hat das Unternehmen eine Woche Zeit, den Fall an eine Art öffentliche Einrichtung abzugeben. "Regulierte Selbstregulierung" heißt das im Beamtendeutsch: Der Staat hofft, dass Dritte sich um die Einhaltung der Verfassung kümmern.

Diese neu zu schaffende Einrichtung soll aus Vertretern der Unternehmen und unabhängigen Experten bestehen, wo der Fall dann "zügig", aber ohne Deadline beraten werden soll. So können die Unternehmen die Verantwortung "Löschen oder nicht?" an andere delegieren. Das dürfte für Entspannung sorgen. Denn wenn nicht ordentlich gelöscht wird, drohen fünf Millionen Euro Strafzahlung, im Wiederholungsfall bis zu 50 Millionen Euro. 

Höchst umstrittenes Gesetz

In den vergangenen Wochen wurde in Deutschland heftig über das Gesetz gestritten. Vor allem zwei Punkte brachten die Internet-Community, Netzaktivisten und Politiker auf die Palme: Was ist mit der laut Verfassung garantierten Meinungsfreiheit? Und: Wieso delegiert der Staat die Einhaltung des Rechts an internationale Großunternehmen, obwohl das doch die Aufgabe von Polizei und Gerichten ist? 

Lange war nicht klar, ob die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU das Gesetz jetzt noch verabschieden kann. Selbst Bundestagsabgeordnete fühlten sich nicht wohl damit. Sie wurden durch mehrere juristische Gutachten darin bestätigt, dass hier etwas gegen die Verfassung verabschiedet werde. Außerdem war der Druck der Internet-Lobby gegen das Gesetz immens.

Mehr als "Hate-Speech" 

Der Bundestag hat nun über eine - immerhin - entschärfte Fassung abgestimmt. Aus dem Katalog von Straftaten entfernt wurden die Tatbestände "Verunglimpfung des Bundespräsidenten, des Staates, seiner Symbole und der Verfassungsorgane". Vor allem hier hatten Experten Bedenken in Bezug auf die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit. Die zweite wesentliche Änderung betrifft die angedachte "Regulierte Selbstregulierung". Hier haben sich CDU/CSU mit ihren Positionen durchgesetzt. Der ursprüngliche Entwurf des Bundesjustizministers Heiko Maas hatte das alles nicht vorgesehen. Neu hinzugekommen ist auf den letzten Metern der Gesetzgebung noch der Tatbestand "verunglimpfende Bilder".  

Insgesamt sind mehr als ein Dutzend Straftaten im Katalog aufgeführt, darunter Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, öffentliche Aufforderung zu Straftaten und deren Billigung, sexuelle Belästigung, Volksverhetzung, Bildung terroristischer Vereinigungen, Beschimpfen von Religionsgemeinschaften und anderes mehr. In der deutschen Öffentlich wird das Gesetz oft als Anti-Hate-Speech-Gesetz betitelt. Das ist ein wenig irreführend, weil Hass-Rede kein strafrechtlich relevanter Begriff in Deutschland ist. Außerdem sind nun in sozialen Medien viel mehr Dinge verboten, als der Durchschnittsbürger wohl unter Hass-Rede versteht.

Roboter, die Inhalte löschen? 

Bundestag
Heiko Maas: Soziale Netzwerke missachten unser RechtBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Insgesamt bleibt bei vielen Kritikern die Sorge, dass Netzwerkbetreiber demnächst nicht erst nach einer Beschwerde, sondern von sich aus - also pro-aktiv - löschen. Und dass dieses Löschen dann wohl von Robotern übernommen wird. Es gibt derzeit die US-TV-Serie "Incorporated", die durchspielt, wie die Welt aussehen könnte, wenn nicht mehr der Staat, sondern Tech-Konzerne und ihre Algorithmen das Sagen haben. Alles nur Science Fiction?

Das neue Gesetz soll am 1. Oktober 2017 in Kraft treten und gilt nur für große Social-Media-Betreiber. Es gibt eine Grenze von zwei Millionen Nutzern und ein Minimum von 100 jährlichen Beschwerden. Start-up-Unternehmen sind also erst einmal nicht betroffen, das Geschäftsmodell will der Gesetzgeber nicht generell angehen. Wer dann doch erfolgreich wird, kann sich drei Monate Zeit nehmen, um das Beschwerdemanagement einzurichten und ist frei, der "Selbstregulierung" beizutreten. Klar ist aber auch: Wer mit "Hate Speech" ein Geschäft machen will, muss sich das nun genau überlegen. 

Oder abwarten - denn das Gesetz werde sowieso vor den Gerichten landen, beziehungsweise angepasst werden müssen, sagen viele Beobachter in Berlin. Es ist und bleibt mit heißer Nadel gestrickt: Da das Ende der Legislaturperiode naht, war die Eile groß.