Bundestag will mehr Schutz für jüdisches Leben im Land
7. November 2024Eine Entscheidung nach langem Tauziehen. Der Deutsche Bundestag hat mit breiter Mehrheit eine Resolution zu besserem Schutz jüdischen Lebens in Deutschland beschlossen. In der rechtlich in keiner Weise verbindlichen Erklärung spricht sich das Parlament für ein härteres Vorgehen gegen Antisemitismus aus.
Der Vorlage, die die Ampel-Fraktionen und die Unionsfraktion gemeinsam formuliert hatten, stimmten lediglich Abgeordnete der Gruppen "Bündnis Sahra Wagenknecht BSW" und "Die Linke" nicht zu. Allerdings distanzierten sich auch einige Abgeordnete von SPD und Grünen von dem Text. In schriftlich eingereichten "Persönlichen Erklärungen" beklagten sie eine fehlende Beteiligung an der Erarbeitung des Textes und enthielten sich deshalb bei der Abstimmung.
Überschattet wurde die knapp zweistündige Debatte von den Ereignissen des Vorabends, dem Aus der Ampel. Als Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die Sitzung eröffnete, war nur gut ein Drittel der Abgeordneten anwesend. Auf der Regierungsbank saßen weder Kanzler noch Innenministerin, sondern lediglich zwei Bundesminister. Auch diese beiden verschwanden zeitweise. Und immer wieder sah man in allen Fraktionen in den hinteren Sitzreihen Abgeordnete im engagierten Gespräch; bei der FDP diskutierten da auch mal fünf jüngere Parlamentarier miteinander, immer mit dem Blick aufs Smartphone und auf neue Nachrichten zum großen Streit. Als dann die Debatte mit der Abstimmung endete, ging vorerst auch der eigentlich lange Sitzungstag des Bundestages zu Ende.
Das Thema immer wieder aufgeschoben
Die Resolution kam kurz vor dem Gedenken an die Reichspogromnacht, bei der am 9. November 1938 NS-Schlägertrupps in Hitler-Deutschland Synagogen und jüdische Geschäfte zerstörten. Hunderte Juden starben. Und zugleich kam der Beschluss des Parlaments exakt 13 Monate nach dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel. Dabei hatten die Fraktionen des Bundestages bereits in den ersten Wochen nach dem Terroranschlag mit Entschiedenheit eine entsprechende Resolution angekündigt.
Dann passierte allerdings lange nichts. Derweil kamen die Parlamente mehrerer deutscher Bundesländer recht schnell zu Erklärungen. Denn die Zahl judenfeindliche Übergriffe, Vergehen und Straftaten in Deutschland explodierte nach dem 7. Oktober 2023 geradezu. Sie bleibt weiterhin so hoch wie nie zuvor.
Je länger der Bundestag das Thema vor sich herschob, desto lauter wurde die Kritik von Wissenschaftlern und Nichtregierungsorganisationen. Ihnen lag seit Monaten ein Entwurf vor. Die Kritiker fürchten den Entzug von staatlichen Fördergeldern für Institutionen oder Projekte, aus denen die israelische Politik kritisiert wird. Zugleich bemängeln sie die Ausrichtung an der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance. Die sogenannte IHRA-Definition wurde von 43 Ländern, darunter Deutschland, übernommen oder gebilligt und wird von einer Reihe internationaler Gremien unterstützt. Allerdings kommt immer wieder, auch von wissenschaftlich angesehenen Stimmen, der Vorwurf, sie setze berechtigte Kritik an der israelischen Regierung mit Antisemitismus gleich.
Im August brachte eine Gruppe von etwa 150 Wissenschaftlern, Rechtsexperten und in Deutschland lebenden jüdischen Künstlern in einem Offenen Brief "tiefe Besorgnis" über die geplante Resolution zum Ausdruck. Der Entwurf sei "gefährlich. Er wird die freie Meinungsäußerung abwürgen."
Ihr Einwand: Die Resolution wolle zwar jüdisches Leben in Deutschland schützen, gefährde es aber, indem sie "alle Juden mit den Handlungen der israelischen Regierung in Verbindung bringt, ein berüchtigtes antisemitisches Klischee". Jüdisches Leben in Deutschland werde mit den Interessen Israels vermengt: "Diese Engführung und ihre Instrumentalisierung durch Behörden, um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken, schließt genau die Vielfalt jüdischen Lebens aus, die sie zu bewahren vorgibt, und gefährdet jene Rechte, für die sie zu kämpfen vorgibt."
"Nie wieder ist jetzt"
Gut 20 Rednerinnen und Redner kamen in der zumeist sachlichen Aussprache im Bundestag zu Wort. Drei oder vier verwiesen auf die kritischen Punkte, betonten ihre Ablehnung oder forderten eine Nachbesserung.
"Nie wieder ist jetzt", sagte Dirk Wiese (SPD). Es sei beschämend, dass heute "Menschen jüdischen Glaubens überlegen, Deutschland zu verlassen". Wer nach Deutschland komme und hier leben wolle, mahnte die CSU-Politikerin Andrea Lindholz, müsse "jüdisches Leben und die Verantwortung für das Existenzrecht Israels akzeptieren, oder er muss unser Land verlassen". Aber nicht nur Rednerinnen und Redner von Grünen und SPD wandten sich dagegen, so zu tun, als sei erst durch Zuwanderung der Judenhass nach Deutschland gekommen.
Beatrix von Storch (AfD) meinte, ohne "Merkels Grenzöffnung" von 2015 würden Juden in Deutschland sicher leben. Dem widersprach Armin Laschet (CDU). Synagogen in Deutschland würden "nicht erst von der Polizei geschützt seit dem Jahr 2015". Damals kamen gut eine Millionen Flüchtlinge überwiegend aus dem Nahen Osten nach Deutschland. Es gebe in Deutschland Antisemitismus von rechts und von links, von eingewanderten Menschen und "jungen Deutschen ohne Einwanderungsgeschichte". Das alles sei skandalös.
Meist blieb die Debatte an der innerdeutschen Lage ausgerichtet. Kein Redner wurde mit Blick auf die Lage im Nahen Osten und das Agieren der israelischen Regierung so deutlich wie Gregor Gysi (Die Linke). Das Existenzrecht Israels sei aus gutem Grund deutsche Staatsräson. Aber es gebe "kein sicheres Israel ohne ein sicheres und souveränes Palästina", so Gysi. Kritik an der israelischen Regierung müsse "erlaubt sein und hat mit Antisemitismus nichts zu tun", wenn sich dahinter nicht eine Ablehnung des Judentums verberge. Gysi wörtlich: "Die gegenwärtige deutlich rechtsgerichtete israelische Regierung unter Netanjahu ist leider nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems im Nahost-Konflikt."
"Der heutige Tag ist nicht das Ende der Diskussion", betonte der FDP-Politiker Konstantin Kuhle. Er erwarte den "Beginn einer breiten gesellschaftlichen Debatte". Sie war außerhalb des Parlaments in den vergangenen Wochen schon engagierter und deutlicher als im politischen Raum. Es gab die scharfen Einwände von Wissenschaftlern und Nichtregierungsorganisationen. Doch am Vortag der Debatte pochten zahlreiche jüdische Verbände und Organisationen in Deutschland in einer gemeinsamen Erklärung auf die Verabschiedung der für sie längst überfälligen Resolution.