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Politik

Streikverbot für Beamte bleibt

12. Juni 2018

Die Karlsruher Richter schmetterten damit die Verfassungsbeschwerden von vier Lehrern ab, die an Streiks teilgenommen hatten - und dafür Disziplinarstrafen kassierten. Wird das Ganze nun ein Fall für Straßburg?

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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe mit Andreas Voßkuhle an der Spitze (Foto: picture alliance/dpa/U. Deck)
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe mit Andreas Voßkuhle an der SpitzeBild: picture alliance/dpa/U. Deck

Lehrer und andere Beamte dürfen auch in Zukunft in Deutschland nicht streiken. Eine Lockerung des Streikverbots komme nicht infrage, weil es an den Grundfesten des Berufsbeamtentums rüttle, urteilte das Bundesverfassungsgericht. Das Beamtenverhältnis fuße auf einem wechselseitigen System von Rechten und Pflichten. Das lasse ein "Rosinenpicken" nicht zu.

Drei Viertel der 800.000 Lehrer beamtet 

Mit ihrer Entscheidung wiesen die Karlsruher Richter die Verfassungsbeschwerden von vier Lehrern zurück. Von rund 800.000 Lehrern in Deutschland sind nach Angaben des Gerichts rund drei Viertel Beamte. Die Kläger aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein hatten in ihrer Dienstzeit bei Protesten oder Streiks der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mitgemacht und deshalb Disziplinarstrafen kassiert. Dagegen wehrten sie sich vor Gericht: Das Streikverbot sei zumindest für Lehrer zu strikt, weil diese nicht wie andere Beamte hoheitliche Aufgaben ausübten.

Die Richter des Zweiten Senats überzeugte das nicht. Wenn beamtete Lehrer ihre Beschäftigungsbedingungen tarifvertraglich aushandeln und durch Arbeitskampf erzwingen könnten, werfe das die Frage auf, "womit sich die Fortgeltung beamtenrechtlicher Prinzipien noch rechtfertigen ließe", sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung. Die Anstellung auf Lebenszeit und das Alimentationsprinzip, das die Regelung der Besoldung per Gesetz umfasst, dienten aber der unabhängigen Amtsführung.

Die Verfassungsbeschwerden kamen von Lehrern, die wegen der Teilnahme an GEW-Aktionen disziplinarisch belangt worden waren (Foto: picture-alliance/dpa/M. Tirl)
Die Verfassungsbeschwerden kamen von Lehrern, die wegen der Teilnahme an GEW-Aktionen belangt worden warenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Nach Auffassung der Richter sind die deutschen Beamten trotzdem "nicht schutzlos". Ihre Gewerkschaften seien in die Vorbereitung der beamtenrechtlichen Regelungen mit eingebunden. Wer mit seiner Besoldung unzufrieden sei, könne dagegen klagen. Die Richter verweisen auch darauf, dass das Streikverbot eine lange Tradition habe, die bis in die Zeit der Weimarer Republik zurückreiche. Im öffentlichen Dienst gebe es eine klare Zweiteilung zwischen Beamten und Angestellten. Die Einführung von "Beamten mit Streikrecht" oder "Tarifbeamten" wäre ein Bruch.

Hessen nimmt Verfahren gegen Lehrer wieder auf

Die Kläger, die von der GEW und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) unterstützt wurden, hatten gehofft, dass Karlsruhe eine neue Linie einschlagen könnte. Denn der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in Straßburg hatte zuletzt in zwei Fällen aus der Türkei geurteilt, dass Beamte streiken dürfen, solange sie keine hoheitlichen Aufgaben bei den Streitkräften, der Polizei oder in der Staatsverwaltung wahrnehmen. Die Verfassungsrichter sehen sich dazu aber nicht im Widerspruch. Aus ihrer Sicht sind in Deutschland die Mindeststandards erfüllt: Beamte können einer Gewerkschaft beitreten, und die Gewerkschaften haben das Recht, sich Gehör zu verschaffen und ihre Interessen zu schützen. Beamtete Lehrer seien zudem Teil der Staatsverwaltung.

Nicht zuletzt betont der Senat den hohen Stellenwert des Rechts auf Bildung. Nach der Bestätigung des Beamten-Streikverbots nimmt das Land Hessen Disziplinarverfahren gegen rund 4200 verbeamtete Lehrer wieder auf, sagte ein Sprecher des Kultusministeriums in Wiesbaden. "Egal, wie die Verfahren schlussendlich ausgehen, müssen wir sie jetzt aus verwaltungstechnischen Gründen wieder eröffnen, um zu einer Entscheidung zu gelangen." Nach den Klagen gegen das Streikverbot hatte das Land die Verfahren zunächst ruhen lassen. 2015 waren Lehrer in Hessen für mehr Geld und kürzere Arbeitszeiten auf die Straße gegangen, obwohl sie dies nicht dürfen. Die GEW kündigte an, das Urteil zu prüfen und dann über weitere Schritte zu entscheiden. Als letzte Möglichkeit könnten die Kläger noch Beschwerde beim Straßburger EGMR einreichen.

Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe (Foto: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska)
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis TepeBild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Gewerkschaften enttäuscht, Beamtenbund zufrieden

Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe sprach von einem "Rückschritt ins vergangene Jahrhundert". Der Linke-Gewerkschaftsexperte Pascal Meiser sagte der Rheinischen Post: "Ich bin mir sicher, dass in dieser Sache das letzte Urteil noch nicht gefallen ist." Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi forderte zur Kompensation des Streikverbots "bessere Beteiligungsrechte für die Gewerkschaften". Nur so könnten die Interessen der Beamten wirkungsvoll vertreten werden. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack bedauerte das Urteil: «Das Streikrecht ist ein Grund- und Menschenrecht, das auch nicht hoheitlich tätigen Beamtinnen und Beamten zustehen muss."

Der dbb Beamtenbund und Tarifunion begrüßte dagegen das Urteil. Die Verfassung garantiere ganz bewusst einen streikfreien Raum, in dem eine ständige staatliche Aufgabenerledigung sichergestellt werde, teilte der dbb-Vorsitzende Ulrich Silberbach mit. Der Deutsche Lehrerverband forderte die Bundesländer auf, beamteten Lehrern stärkere Mitwirkungsrechte einzuräumen. "Wir wollen kein Streikrecht, aber mehr als ein Anhörungsrecht", sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

sti/mak (afp, dpa)