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Gericht: Städte können Fahrverbote verhängen

27. Februar 2018

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat den Weg für Diesel-Fahrverbote in Deutschland geebnet. Das Gericht wies die Revisionen der Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg weitgehend zurück.

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Bundesverwaltungsgericht verhandelt über Diesel-Fahrverbote
Bild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Im Kampf gegen schmutzige Luft in deutschen Städten sind Fahrverbote für Dieselautos grundsätzlich erlaubt. Die Bundesregierung will dies aber noch vermeiden. Nach jahrelangem Streit entschied das Bundesverwaltungsgericht am Dienstag, dass Kommunen Straßen oder Gebiete für Dieselautos sperren dürfen. Dies muss aber der einzige Weg zum schnellen Einhalten von Grenzwerten zum Gesundheitsschutz sein. Außerdem soll es Ausnahmen etwa für Handwerker und bestimmte Anwohner geben. Nach der Entscheidung steigt auch der Druck auf die Autobauer, bei Abgas-Nachbesserungen nachzulegen.

Konkrete Folgen dürfte es bereits für Dieselfahrer und Anwohner in Hamburg geben. Dort soll es schon in zwei Monaten begrenzte Diesel-Fahrverbote geben - und zwar in zwei wichtigen Durchgangsstraßen im Stadtteil Altona. Der Berliner Senat will bis Jahresende prüfen, ob es ab 2019 Fahrverbote in der Hauptstadt geben soll. In Stuttgart könnte es für ältere Diesel schon Ende 2018 erste Beschränkungen geben.

Die Leipziger Bundesrichter bestätigten größtenteils Urteile unterer Instanzen in Stuttgart und Düsseldorf. Dort hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) auf Einhaltung der Grenzwerte für Stickoxide geklagt, die zum Großteil aus Diesel-Abgasen stammen. Die beiden Verwaltungsgerichte hatten Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen verpflichtet, dafür auch Fahrverbote in Betracht zu ziehen. DUH-Chef Jürgen Resch sprach von einem "ganz großen Tag für die saubere Luft in Deutschland".

Deutschland Bundesverwaltungsgericht urteilt über Diesel-Fahrverbote
Die Leipziger Richter bei der UrteilsverkündungBild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Im Schritttempo gegen den Diesel

Der Verband der Automobilindustrie (VDA), der strikt gegen Fahrverbote ist, sah das Schlimmste als vermieden an. "Das ist eine Absage an generelle Fahrverbote", erklärte VDA-Präsident Matthias Wissmann. Die Industrie blieb beim Nein zur Hardware-Nachrüstung, weil dies zu lange dauere, um die seit 2010 überschrittenen NOx-Grenzwerte der EU einzuhalten.

Der Stadt Stuttgart, die besonders stark mit Schadstoffen in der Luft zu kämpfen hat, schrieb das Gericht im Gegensatz zum örtlichen Verwaltungsgericht für ein Fahrverbot ein zeitlich abgestuftes Vorgehen vor. Ab Januar 2019 könnten Euro-4-Diesel und älter, ab September 2019 auch Euro-5-Diesel betroffen sein. Es müsse Ausnahmen für Handwerker und andere Gruppen geben.

Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) kündigte in Stuttgart an, binnen eines halben Jahres einen neuen Luftreinhalteplan mit Fahrverboten und vielen anderen Maßnahmen vorzulegen. "Es wird nicht einfach sein, das umzusetzen", sagte Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn.

Zustimmung von ärztlicher Seite

Insgesamt verstoßen bundesweit 70 Städte noch immer gegen den seit 2010 geltenden Stickoxid(NOx)-Grenzwert in der EU von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Die hohe NOx-Belastung schädigt die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System und wird deshalb für vorzeitige Todesfälle verantwortlich gemacht.

Bei Lungenärzten stößt das Leipziger Urteil daher auf Zustimmung. Kommunen mit hohen Abgaswerten sollten die Fahrverbote nun auch umsetzen, forderte die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) am Dienstag. Während die Abgase gesunde Erwachsene wenig beeinträchtigten, seien andere Bevölkerungsgruppen besonders gefährdet, erklärte die Gesellschaft. Dazu gehörten Kleinkinder und Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Asthma, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Die Kanzlerin beruhigt erstmal

Die Entscheidung löste Begeisterung bei den Umweltverbänden und Sorgen in der Wirtschaft aus. Autoaktien verbüßten Kursverluste, denn der Diesel wird damit durch Abgasskandal und drohende Verbote weniger gefragt sein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte nach dem Urteil Gespräche mit Kommunen und Ländern an. Man wolle das Urteil zunächst genau prüfen. "Das heißt nicht, dass von heute auf morgen Fahrverbote in Kraft treten", betonte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks.

Überforderte Städte

Der Chef des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg erklärte, die Kommunen seien nicht in der Lage, die Verbote umzusetzen. Es sei eine Mammut-Aufgabe, in München etwa Tausende von Schildern aufzustellen und womöglich 100 neue Jobs für Kontrolleure zu schaffen, sagte er dem SWR. Die Stadt München erklärte, Fahrverbote in eigener Regie seien nicht umsetz- und kontrollierbar. Es müsse deshalb eine bundesweit einheitliche Lösung geben.

Der Deutsche Städtetag forderte eine Diesel-Nachrüstung per Hardware. "Mit dem Urteil steigt der Druck auf die Automobilindustrie, Diesel-Pkw sauberer zu machen", erklärte Städtetagspräsident Markus Lewe. Wirtschaftsverbände reagierten alarmiert. "Die Entscheidung gefährdet die Existenz vieler kleiner und mittlerer Unternehmen", warnte der Präsident des Mittelstandsverbandes BVMW, Mario Ohoven. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer forderte Ausnahmen für seine Branche.

Blaue Plaketten oder rote Fuchsschwänze

Das Gericht erklärte, die Fahrverbote würden nur in wenigen Ballungsräumen eingeführt. Entschädigungen für die Besitzer seien nicht notwendig. Das fehlende Bundesrecht kann Richter Korbmacher zufolge kein Hindernis sein, die übergeordneten EU-Vorschriften umzusetzen. Das Bundesverkehrsministerium hat bereits eine bundesweite Regelung über eine Änderung der Straßenverkehrsordnung vorbereitet, nach der die Verbotsfrage jeder Kommune überlassen bleibt.

Wirtschaftsverbände warnten jedoch vor einem Flickenteppich. Die Grünen bekräftigten ihre Forderung nach einer Blauen Plakette, die nach einer Übergangsfrist nur noch Diesel ab Euro 6 freie Fahrt gewähren. Die CDU/CSU lehnte dies weiter ab, wie Unionsfraktionschef Volker Kauder und CSU-Landesgruppenchef und Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt erklärten.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hielt dem entgegen: "Wir haben jetzt einen Zeitraum vor uns, bis wirklich Fahrverbote verhängt werden müssten.", sagte sie. Sollten diese jedoch kommen, sei eine Kennzeichnung der Fahrzeuge nötig, die keinen Beschränkungen unterliegen würden: "Ob die blaue Plakette heißen oder roter Fuchsschwanz, ist mir egal."

Die Linke will die Autobauer verpflichten

Die AfD kritisiert das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts: "Diesel-Fahrverbote sind in vielerlei Hinsicht völlig abwegig und liegen allein im Interesse der Anti-Diesellobby", erklärt Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland. Schon die Grenzwerte seien willkürlich: "Jeder Staubsauger und jede Duftkerze übersteigen die Grenzwerte für Feinstaub um das Zigtausendfache, ohne dabei in die Kritik zu geraten."

Die Partei Die Linke will erreichen, dass die Autohersteller die Kosten für eine Nachrüstung älterer Dieselautos tragen. "Wir erwarten, dass die Bundesregierung die Konzerne dazu rechtsverbindlich verpflichtet", sagte die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Sahra Wagenknecht. "Wenn die Bundesregierung nun nicht endlich handelt, werden Millionen von Autofahrern die Zeche für den Betrug der Spitzen der Autokonzerne bezahlen."

tko/dk/hb/kd (rtr, dpa, afp)