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Ein Land im Wartezustand

Jan-Philipp Scholz (z.Zt. Ouagadougou)10. November 2014

Der alte Präsident ist geflohen, die gewaltsamen Proteste ebben ab. Trotzdem ist noch lange nicht klar, ob der Putsch in Burkina Faso ein friedliches Ende findet. Jan-Philipp Scholz berichtet aus Ouagadougou.

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Zerstörtes Parlamentsgebäude in Ouagadougou (Foto: DW)
Das zerstörte burkinische Parlamentsgebäude in der Hauptstadt OuagadougouBild: Jan-Philipp Scholz

Die Gänge sind noch immer überfüllt. Verletzte liegen mit notdürftig versorgten Schusswunden und Verbrennungen auf dem Boden und warten darauf, dass ein Arzt endlich Zeit für sie findet. Mehr als 180 Menschen wurden bei den Protesten der letzten Tage in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou verletzt. Viele von ihnen landeten hier im Krankenhaus im Stadtzentrum. "Meinen Kameraden haben die Leute in den Kopf geschossen, er war sofort tot. Mich hat die erste Kugel in den Arm getroffen", berichtet Bassolé Constant.

Der 25-Jährige ist mit hunderttausenden anderen, meist jungen Leuten auf die Straße gegangen, um gegen den ehemaligen Präsidenten Blaise Compaoré zu demonstrieren. Dieser wollte die Verfassung ändern lassen, um auch nach 27 Jahren weiter im Amt bleiben zu können.

Krankenhaus in Ouagadougou (Foto: DW)
Bild: Jan-Philipp Scholz

Todesängste während des Putsches

Am Ende waren die Protestierenden erfolgreich, Compaoré musste ins Nachbarland Elfenbeinküste fliehen. Der Weg wurde frei für einen Neuanfang in Burkina Faso. Doch die jungen Demonstranten mussten einen hohen Preis zahlen. Vertreter der Zivilgesellschaft sprechen von mindestens 30 Toten. Wer "die Leute" sind, die auf seinen Freund und ihn geschossen haben, das weiß Bassolé Constant selbst nicht. Das burkinische Militär, das seit dem Putsch die Macht in den Händen hält, versichert, dass es niemals den Befehl gegeben habe, auf Zivilisten zu schießen. In der Hauptstadt machen Gerüchte die Runde, dass Blaise Compoaré, der seit langem großen Teilen seiner eigenen Armee misstraute, Söldnertruppen aus dem benachbarten Togo für sich kämpfen ließ. Doch in dem Chaos, das seit dem Putsch in Ouagadougou herrscht, gibt es viele Gerüchte. Beweisen konnte sie bisher niemand.

Was Bassolé Constant mit Sicherheit weiß: An jenem Abend, als er angeschossen wurde, hatte er Todesängste. "Nach dem ersten Schuss habe ich versucht, mich auf der anderen Straßenseite in Sicherheit zu bringen, dann hat mich ein zweiter Schuss in den Bauch getroffen." Constant fiel in den Straßengraben und verlor immer mehr Blut. "Ich habe meine Augen geschlossen und angefangen zu beten. Es ging mir nur noch ein Gedanke durch den Kopf: Vielleicht sehe ich jetzt meine Eltern wieder. Sie sind vor ein paar Jahren gestorben." Irgendwann zogen ihn andere Demonstranten aus dem Graben und brachten ihn auf einem Motorrad ins Krankenhaus. Da war Constant schon lange bewusstlos. "Als ich wieder aufgewacht bin, sagte mir ein Arzt, dass ich unglaubliches Glück gehabt habe, noch am Leben zu sein." Jetzt hoffe er, dass sein Kampf nicht umsonst gewesen sei, so der junge Mann.

Parlamentsgebäude in Ouagadougou (Foto: DW)
Die Ära Blaisse Compaoré findet nach 27 Jahren ein gewaltsames EndeBild: Jan-Philipp Scholz

Opposition der Opportunisten

Doch genau das steht noch lange nicht fest in den chaotischen Tagen nach dem Putsch. Nur wenige Kilometer vom Krankenhaus entfernt trifft sich die burkinische Opposition in einem Konferenzzentrum zu einem kurzfristig einberufenen Krisentreffen. Doch noch bevor die Veranstaltung überhaupt beginnen kann, bricht bereits ein lautstarker Streit unter den Anwesenden aus. Jemand hat Zettel und Stift zur Hand genommen und will eine Teilnehmerliste erstellen. Doch keiner weiß, wer eigentlich zur Opposition gehört und damit berechtigt ist, an dem Treffen teilzunehmen, das hinter verschlossenen Türen stattfindet. Ein junger Mann namens Ginko Desiree, der sich Koordinator der "Zivilen Bewegung für den Übergang" nennt, hat seinen Namen offensichtlich nicht in die Liste eintragen dürfen und wird immer ungehaltener. "Die ganzen feinen Damen und Herren hier in ihren schicken Anzügen haben sich doch noch nie die Hände schmutzig gemacht. Die jungen Leute mussten die Drecksarbeit erledigen und ihr Leben riskieren. Und jetzt wollen sie den Kuchen unter sich aufteilen."

In der Tat ist die Oppositionsbewegung Burkina Fasos extrem zersplittert. Viele ihrer bekanntesten Köpfe sind ehemalige Mitglieder von Blaise Compaorés Partei für Demokratie und Fortschritt (CDP). Nicht wenigen von ihnen wird nachgesagt, dass sie in erster Linie aus eigenen Karrieregründen eine Oppositionspartei gegründet haben, weil sie sich vom ehemaligen Präsidenten nicht ausreichend protegiert fühlten. So sehen viele Beobachter das eigentliche Problem weniger darin, dass der burkinische Offizier Isaac Zida, der nach dem Putsch übergangsweise die Führung übernommen hat, sich an der Macht festklammern könnte. Viel mehr scheint sich kein geeigneter Kandidat zu finden, der als Übergangspräsident bis zu den für Ende 2015 angesetzten Wahlen die Regierungsgeschäfte übernehmen könnte. Saran Séréné, eine der einflussreichsten Vertreterinnen der Opposition, fordert mehr Gelassenheit: "So groß ist das Chaos doch gar nicht. Es wird einfach nur etwas Zeit brauchen, bis wir einen Kompromiss finden", so die Politikerin. Den Menschen in Burkina Faso verspricht sie, dass sich unter den 16 Millionen Einwohnern schon eine geeignete Persönlichkeit finden werde, die als Übergangspräsident - oder Präsidentin - regieren könne.

Isaac Zida und Mogho Naba (Foto: DW)
Offizier Isaac Zida (r.) trifft sich mit Lokalpolitiker und Stammesführer Mogho Naba (l.)Bild: AFP/Getty Images/I. Sanogo

Zu viele Versprechen gebrochen

Versprechungen hat Bassolé Constant schon genug gehört. Von den Machtspielen der nur wenige Kilometer entfernt tagenden Politiker bekommt er im Krankenhaus ohnehin kaum etwas mit. Er hat momentan andere, handfestere Sorgen: Wie kann er die Arztrechnungen bezahlen, die mit jedem weiteren Tag im Krankenhaus höher werden? Als Straßenhändler hat er kaum Ersparnisse zur Seite legen können. Die Militärregierung hat den verletzten Demonstranten bereits versichert, dass sie sich an den Kosten beteiligen wird. Wieder so ein Versprechen.