Butler mit Waffe: Honeckers Leibwächter
7. November 2014Herr Brückner, Sie waren 13 Jahre lang als Leibwache für Erich Honecke tätig. Haben Sie sich diese Arbeit ausgesucht?
Ich habe als Ausbilder für Personenschutz gearbeitet und wurde gefragt, ob ich nicht im eigentlichen Personenschutz für Honecker arbeiten wollte. Es war schon immer ein gewisser Reiz da: Ich hatte diese Leute immer ausgebildet in Schießen und Spezialtechniken und habe mir gedacht "Du könntest da eigentlich selbst mitmachen." Als sie mich angesprochen haben, hatte ich deshalb keinerlei Einwände. Ich fing in einer guten Phase an, weil Honecker damals nur wenige Leute hatte. Ich habe alles mit aufgebaut. Später hatte ich als Kommandoleiter 28 Männer unter mir.
Stimmt es, dass Erich Honecker gar keine Leibwächter um sich haben wollte?
In der ersten Zeit wollte er tatsächlich keine. Es gibt immer Männer, die behaupten, sie bräuchten so etwas nicht. Und so war Honecker auch. Er hat gesagt "Ich bin doch noch fit." Und draußen in der Schorfheide, wo sein Jagdhaus war, hatte er eine kleine Pistole in seinem Waffenschrank. Er sagte immer, er würde die beim Spazierengehen mitnehmen. Diese Haltung hat sich aber durch die Morde an Indira Gandhi und Olof Palme geändert. Das hat ihm sehr zu denken gegeben und schließlich hat Honecker gesagt: "Naja, dann macht ihr mal."
Können Sie einen typischen Tag als Leibwache des Generalsekretärs beschreiben?
Wir haben ihn in Wandlitz, wo der Hauptteil der politischen Riege gewohnt hat, abgeholt. Vorher hatte er entweder noch die Physiotherapeutin da oder er hatte Kosmetik. Dann sind wir reingefahren nach Berlin: Ins Büro in der Parteizentrale und von da ging es dann durch den Tag.
In der Woche - je nach Jahreszeit und Jagdkalender - war die Jagd für ihn ein... ja, das habe ich mich hinterher oft gefragt, was es gewesen ist: Eine Kompensation oder ein Ausgleich zum normalen politischen Geschäft.
Heißt das, dass Honecker gerne auf Jagd war?
Ja, sehr! Er hatte rund 80 Gewehre da draußen - Geschenke aus allen Teilen der Welt.
Und Sie haben ihn bei diesen Ausflügen begleitet?
Ja. Ich habe da draußen in der Schorfheide auch die Sicherheitsstruktur aufgebaut. Wir waren als Sicherungskommando im Wald. Ich habe ihn persönlich bei der Jagd begleitet. Später, als ich Kommandoleiter wurde, habe ich dort über Funk und Telefon die Sicherheitsoperationen geleitet.
Sie haben sehr viel Zeit mit Honecker verbracht. Wie haben Sie ihn denn wahrgenommen?
Manchmal werde ich gefragt: "Herr Brückner, wie können Sie für den gearbeitet haben? Das war ein Diktator." Denen sage ich dann: "Sie haben einen Film gesehen, wo der Diktator auf dem Thron sitzt und sein Volk anschreit. Aber ich habe Honecker als Mensch erlebt, als Opa, als Familienvater."
Und so habe ich den auch in der Politik erlebt. Meistens war er ruhig und gelassen, außer er hatte schlechte Laune. Das habe ich gemerkt, weil er dann die Türen zuknallte. Das war meistens, wenn es Probleme mit Moskau gab.
Haben Sie viel mit ihm auf einer persönlichen Ebene gesprochen?
Nein.
Gehörte noch mehr zu Ihren Aufgaben als der reine Personenschutz?
Auf Auslandsreisen haben wir im Hotel die Servicedamen nach Bügeleisen und Bügelbrett gefragt. Und zack-zack haben wir schnell für ihn das Hemd gebügelt oder auch mal einen Knopf angenäht. In der Schorfheide haben wir nach dem Essen den Abwasch gemacht. Auch am Wochenende, wenn die ganze Familie da war. Wenn Sie so wollen, waren wir Butler mit Waffen.
Sie sind viel mit ihm gereist - stechen da für Sie besondere Erinnerungen heraus?
Es gab zu jeder Reise Bemerkenswertes. Ganz stark nachgewirkt hat ein Erlebnis, als wir in Holland waren. Da standen 20 oder 30 Personen mit großen Plakaten vor dem Hotel und stellten politische Forderungen an Herrn Honecker. Die wurden von der niederländischen Polizei ganz normal behandelt. Für uns als DDR-Bürger war das nicht nachvollziehbar. Das hat bei mir einen Denkprozess angeregt.
Zu welchen Schlussfolgerungen sind Sie dann gekommen?
Dass es solche Möglichkeiten auch in der DDR geben könnte. Wir gingen stets davon aus, dass es immer in Aggression ausufert, wenn Menschen etwas gegen den bestehenden Apparat machen. Aber dort konnte ich sehen, dass man seine Gedanken auch in Schriftform ausdrücken kann.
Nachdem Sie 13 Jahre lang sein enger Begleiter waren, wurde Honecker abgesetzt. Wie haben Sie das erlebt?
Es war ja nicht nur das Absetzen! Ich ahnte, dass sich einiges ändern wird - innenpolitisch und außenpolitisch. Ich hatte doch ein sehr mulmiges Gefühl. Ich wusste nicht, was mit mir in der Zukunft passieren sollte.
Wie war die Stimmung unter Ihren Kollegen, als die Mauer fiel?
Es ging alles durcheinander. Bei uns in der Dienststelle wussten sie nicht, wie sie sich positionieren sollten, ob wir einen neuen Chef kriegen oder einen neuen Minister. Es war eine sehr skurrile Situation. Im Nachhinein kann ich nur sagen - und das will keiner wahrhaben, weil alle von der großen friedlichen Revolution sprechen: Ein Glück, dass nichts passiert ist! Es hätte so viel schief gehen können. Wir haben uns selbst entwaffnet. Ich habe selbst Maschinenpistolen entfernt und die Waffenkammern zugeschlossen.
Wie würden Sie insgesamt Ihre Zeit als Leibwächter von Honecker beschreiben?
Ich habe durch diese Tätigkeit sehr viel gelernt, fachlich. Sehr viele Kollegen, die später beim Bundeskriminalamt in die Sicherungsgruppe gekommen sind, habe ich ausgebildet. Ich möchte diese Zeit nicht missen. Es war für mich eine Lebensaufgabe: Ich war für die Sicherheit des ersten Mannes im Staate verantwortlich. Wenn irgendetwas passiert wäre, hätte ich zwischen ihm und einem Angreifer gestanden. Mit dieser Einstellung habe ich diesen Job gemacht.
Bernd Brückner betreibt heute ein Unternehmen, das Menschen in Deutschland und Vietnam für die Altenpflege ausbildet. In diesem Frühjahr sind seine Erinnerungen an die Zeit als Leibwächter Erich Honeckers als Buch erschienen.