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Politik

Die falschen Freunde der besorgten Bürger

5. November 2019

Schützer oder Schläger? Die Umtriebe sogenannter Bürgerwehren beschäftigen Politik und Polizei. Doch die rechtlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung der selbst ernannten Hilfssheriffs sind begrenzt.

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Köln Rechtsaktivisten  Bürgerwehr
Bild: picture-alliance/Geisler/C. Hardt

Sie wollen "Schutzzonen" einrichten und Bürgerwehren organisieren. Sie geben vor, "Augen und Ohren für die Polizei" zu sein und behaupten, in Deutschland seien Bürger der "importierten Kriminalität schutzlos ausgeliefert".

Angesichts des massiven Auftretens von selbst ernannten Beschützern sah sich die Polizeidirektion Chemnitz jüngst zu einer Klarstellung genötigt. "Die patrouillierende Bürgerwehr in Döbeln ist nicht nur unnötig, sondern gänzlich inakzeptabel", heißt es in einer offiziellen Erklärung. "Das Gewaltmonopol liegt ausschließlich in staatlicher Hand", stellte Polizeipräsidentin Sonja Penzel aus Chemnitz klar.

Unnötig, aber dennoch präsent. Aus der Antwort des Bundesinnenministeriums zu Beginn dieser Woche auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke geht hervor, dass solche Gruppierungen mittlerweile in fast allen Bundesländern existieren. "Innerhalb von Gruppen, die als Bürgerwehren auftreten, könnten sich Ansätze für rechtsterroristisches Potenzial herausbilden", warnte das Innenministerium.

Bürgerwehren unter Beobachtung

Seit 2015 sind in Deutschland in verschiedenen Städten und Gemeinden bürgerwehrähnliche Gruppierungen entstanden, die sich aus einer Mischung aus Rechtsextremisten, Angehörigen der Hooligan-und Rockerszene sowie sogenannten "Wutbürgern" zusammensetzen. Rechtsextreme Gruppen fordern die Errichtung sogenannten "Schutzzonen", in denen "Deutsche Sicherheit finden können".

Screenshot:S-Bahn Streife: Berliner NPD schafft Schutzzone
"Schutzzonen für Deutsche": Eine S-Bahn-Streife der rechtsextremen NPD in Berlin Bild: YouTube/DSTV

Anfang 2016 konnten sich nach einer Umfrage des Kölner Meinungsforschungsinstitutes YouGov fast jeder dritte Deutsche vorstellen, einer Bürgerwehr beizutreten, um gegebenenfalls auch mit Gewalt die eigenen Interessen zu schützen, wenn der Staat dies nicht tue. "Initialzündung" für den Zuspruch für Bürgerwehren seien die Vorfälle bei der "Kölner Silvesternacht" gewesen, so das Meinungsforschungsinstitut.

Mittlerweile sind sich Politik und Polizei der Gefahren der Bürgerwehren bewusst. Doch die rechtlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung der selbst ernannten Sheriffs sind begrenzt. "Wir beobachten die Bürgerwehren sehr genau", versichert Leoni Möllmann, Sprecherin des Innenministeriums in Nordrhein-Westfalen. Doch die Gruppen bewegten sich bewusst an der Grenze zur Strafbarkeit.

"Spaziergänge" und "Märsche"

Die "Spaziergänge" und "Märsche" der Bürgerwehren werden mittlerweile als Versammlungen eingestuft, die dann mit entsprechend strengen Auflagen versehen werden. Auch das Tragen von Westen kann unter Umständen als Verstoß gegen das Uniformverbot gewertet werden. Eine formelle Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist nach Angaben des NRW-Innenministers Herbert Reul allerdings "juristisch nicht ganz einfach."

Im sächsischen Döbeln ging die Polizei gegen eine Gruppe vor, die "der Polizei unter die Arme greifen wollte", und Westen mit der Aufschrift "Schutzzone" trug. "Die Stadtverwaltung Döbeln befasst sich intensiv mit der Problematik und prüft, ob sie das Tragen von Schutzzonen-Kleidung im Döbelner Stadtgebiet generell untersagen kann", heißt es in einer Stellungnahme der Polizeidirektion Chemnitz auf Anfrage der DW.

Für den Bürgermeister der Kreisstadt, Sven Liebhauser, sind "selbsternannte Schutzzonen-Streifzüge in Döbeln inakzeptabel", erklärte sein Sprecher Thomas Mettcher auf Anfrage der DW. Bei den öffentlichkeitswirksamen Aufmärschen der Bürgerwehr in Döbeln und Freiberg im Oktober erteilte die Polizei Platzverweise und beschlagnahmte verbotene Kleidung.

Allerdings: "Weitere Handlungsmöglichkeiten gab es für uns nicht", sagte Polizeisprecher Andrze Rydzik der DW. Zu keinem Zeitpunkt seien Festnahmen im Zusammenhang mit der Schutzzonen-Bürgerwehr notwendig gewesen.

Das braune Netzwerk
Wer steuert die "Wutbürger"? Bürgerwehren dienen als Plattformen für rechtsextreme Vernetzung Bild: WDR

Rocker, Hooligans, "Wutbürger"

In Nordrhein-Westfalen gehören nach Schätzungen des Landesinnenministeriums 250 Aktivisten zum harten Kern der Szene. Diese könnten bis zu 700 Menschen zu einzelnen Demonstrationen mobilisieren. Jene "Mischszene" aus Rechtsextremisten, Rockern, Hooligans und "Wutbürgern", so NRW-Innenminister Herbert Reul in einer aktuellen Stunde im Oktober im Düsseldorfer Landtag, versuche sich durch scheinbar harmlose "Spaziergänge" auch für unpolitische Bürger "anschlussfähig zu machen".

Rechtsextremismusforscher Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft der Amadeo-Antonio-Stiftung in Jena unterteilt Bürgerwehren in vier unterschiedliche Gruppen. In einer Studie beschreibt er die Bandbreite von "Sicherheitspartnerschaften" über "Protestgruppen" bis hin zu "rechtsextremen Gewaltgruppen".

Matthias Quent deutscher Soziologe und Rechtsextremismusforscher
Rechtsextremismusforscher Matthias QuentBild: picture-alliance/Zumapress/S. Babbar

Dauerbrenner innere Sicherheit

Zu letzteren Kategorie gehören die "Gruppe Freital" und die "Revolution Chemnitz". Im März 2018 verurteilte das Oberlandesgericht Dresden acht Mitglieder der "Gruppe Freital" wegen Sprengstoffanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und politische Gegner in Sachsen zu mehrjährigen Haftstrafen. Der Prozess gegen die "Revolution Chemnitz" läuft seit dem 30.September vor dem Oberlandesgericht Dresden.

"Für Akteure aus der rechtsextremen Bewegung ist es attraktiv, ihre Aktivitäten als Bürgerwehr und Heimatschutz zu etikettieren, um sozialer Ächtung zu entgehen sowie ihre Ideologie und Gewalt zu rechtfertigen", schreibt Forscher Quent in der Studie "Bürgerwehren: Hilfssheriffs oder inszenierte Provokation?". Er warnt davor, das Thema Sicherheit "den politischen Akteuren von Rechtsaußen zu überlassen".