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Kein Bedarf für neue Regeln

Bernd Riegert6. Januar 2014

Arbeitnehmer dürfen sich innerhalb der EU frei bewegen und im Mitgliedsland ihrer Wahl arbeiten. Großbritanniens Premier geht das zu weit. Doch eine Änderung der Verträge wäre eine Sisyphosaufgabe.

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Rumänen in Nordirland Archiv 2009
Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien stehen im Zentrum der Debatte um die sogenannte "Armutszuwanderung"Bild: picture-alliance/dpa

Der britische Premierminister David Cameron gibt der hauptsächlich in Großbritannien und Deutschland geführten Diskussion um Arbeitsmigration innerhalb der EU neuen Schwung. Cameron will für sein Land eine Art Einwanderungsquote festlegen, um die Zuwanderung aus anderen EU-Staaten zu begrenzen.

Diese Quote, die nach Vorstellung des britischen Innenministeriums bei 75.000 Personen pro Jahr liegen könnte, solle aber nur für zukünftige Beitrittsländer gelten, sagte Cameron in einem Interview mit der BBC: "Wir handeln unsere Position in Europa neu aus und wollen härtere Regeln für die Einwanderung im Allgemeinen erreichen." Diese Quote solle nicht für Bulgaren und Rumänen gelten, die seit dem 1. Januar dieses Jahres ohne Beschränkungen überall in der EU arbeiten und leben dürfen.

EU-Verträge müssten einstimmig geändert werden

Die EU-Kommission in Brüssel reagierte zurückhaltend. Erst einmal müsse man sehen, was Cameron genau im Sinn habe, sagte der Sprecher der EU-Kommission, Jonathan Todd in Brüssel. "Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist ein Grundpfeiler der Europäischen Union. Das ist so seit den Gründerjahren in den späten 50er Jahren. Sie ist außerdem eine Grundlage für den gemeinsamen Markt in der EU."

Jede Einschränkung der freien Wohnortwahl und Arbeitsaufnahme in der EU würde eine Änderung der Grundlagen-Verträge erfordern, die von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden müsste, sagte der Kommissionssprecher weiter.

David Cameron beim EU-Gipfel in Brüssel
Britscher Premier Cameron: Zu viele, zu schnellBild: Reuters/Laurent Dubrule

Der britische Regierungchef Cameron gab sich aber zuversichtlich, bei der nächsten Entscheidung über die Aufnahme eines Landes härtere Regeln durchsetzen zu können.

EU-Kommission: Keine neuen Regeln notwendig

Die EU-Kommission wies noch einmal auf ihre eigene Studie vom Oktober hin, nach der die aufnehmenden Länder wie Großbritannien oder Deutschland von der Einwanderung nach der EU-Erweiterung 2004 wirtschaftlich profitiert hätten. Von einer übermäßigen Belastung der Sozialsysteme könne man nicht sprechen.

Der britische Premierminister Cameron sieht das anders. Er will den Bezug von Kindergeld für Einwanderer beschneiden und den Zugang zum kostenlosen Gesundheitssystem in Großbritannien einschränken. Die Einwanderung, so Cameron, überfordere die britische Gesellschaft. "Wir hatten in den Jahren unter der Labour-Regierung etwa 2,3 Millionen Einwanderer. Das sind zwei Städte in der Größe von Birmingham. Der Umfang war zu groß und es ging zu schnell."

Die EU-Kommission in Brüssel bestreitet nicht, dass es lokal oder regional Probleme durch zu viele arme Einwanderer aus EU-Staaten geben könne. So klagen beispielsweise deutsche Städte wie Duisburg, Dortmund und Berlin über zu starke Belastungen. EU-Kommissionssprecher Todd forderte die Mitgliedsstaaten auf, solche punktuellen Missstände zu beseitigen. "Wir sagen, diese Probleme müssen angegangen werden, aber nicht, indem man die Freizügigkeit für die Menschen generell einschränkt."

Neue Gesetze oder eine Verschärfung von Verordnungen seien unnötig, argumentiert die EU-Zentrale in Brüssel. "Die Regeln sind im Gesetz zur Freizügigkeit aus dem Jahr 2004 noch einmal bestätigt worden. Die Mitgliedsstaaten haben die Möglichkeit, Bürger anderer Mitgliedsstaaten auszuweisen, wenn sie nach drei Monaten nicht arbeiten oder sich selbst finanzieren können und den Sozialsystemen zur Last fallen."

Brüssel EU Kommission
EU-Kommission: Abschiebung schon heute möglichBild: DW/M. Kübler

Die plakative Forderung der konservativen Regierungspartei CSU in Deutschland, Einwanderer nach Ausweisung wegen Missbrauch des Sozialsystems die Wiedereinreise zu untersagen, könne bereits heute erfüllt werden, heißt es in einer weiteren Stellungnahme der EU-Kommission.

Deutsche Sozialleistungen sind ein Sonderfall

Manche Mitgliedsstaaten wie Deutschland gewähren Einwanderern freiwillig Sozialleistungen, wie Kindergeld, die nach den europäischen Gesetzen zur Freizügigkeit von Arbeitnehmern nicht vorgeschrieben sind. Einige Gerichte haben Einwanderern aus der EU auch Hilfen zur Sicherung des Lebenunterhalts ("Hartz IV") zugebilligt. Auf Verlangen des Bundessozialgerichts wird der Europäische Gerichtshof in Luxemburg demnächst darüber entscheiden, ob diese Entscheidungen mit EU-Recht vereinbar sind.

In Deutschland stieß die CSU mit ihrer These "Wer betrügt, der fliegt!" beim Koalitionspartner SPD auf heftige Kritik. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner sprach von "Hetzparolen".

Steinmeier erster Besuch in Brüssel bei Jose Barroso nach Amtsantritt als Außenminister
Bundesaußenminister Steinmeier: Kein Streit um des Streites WillenBild: DW/B. Riegert

Der neue Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) rief dagegen am Montag bei seinem Antrittsbesuch in der EU-Kommission in Brüssel zur Mäßigung auf. "Ich glaube, wir sollten jetzt vor allem Sorge dafür tragen, dass wir nicht einen Streit um des Streites Willen hervorrufen, sondern wir sollten zunächst einmal klären, was innerhalb der Bundesregierung an unterschiedlichen Meinungen tatsächlich da ist", sagte Steinmeier nach einem Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Jose Barroso. Am Mittwoch (08.01.2014) will die Bundesregierung eine Arbeitsgruppe einsetzen, die prüfen soll, ob es Missbrauch von Sozialleistungen durch EU-Bürger gibt, und wie dem eventuell begegnet werden muss. Der EU-Kommission liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass seit dem 1. Januar vermehrt Bulgaren oder Rumänien in die übrigen Länder der EU auswandern würden, sagte ein Sprecher der Kommission.

Nach konkreten Zahlen gefragt, blieb auch der britische Premier David Cameron im BBC-Interview eine Antwort schuldig. "Ich will keine Schätzungen abgeben, wie viele kommen könnten. Die würden sich im Nachhinein wahrscheinlich als zu hoch oder zu niedrig erweisen." Auf die Frage, wie er ohne Zahlen das Problem abschätzen wolle, reagierte Cameron nicht.