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Musik

Campus-Projekt 2022: Ein Friedensappell

9. September 2022

Der Krieg in der Ukraine hat Osteuropa erneut zum Mittelpunkt der Weltpolitik gemacht. Das Campus-Projekt beim Beethovenfest Bonn kreiert eine musikalische Zukunftsvision, indem es junge Menschen zusammenbringt.

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Chormitglieder vom Volny Chor stehen rot-weiß maskiert im Bonner Plenarsaal und singen.
Der Volny Chor aus Belarus beim Auftritt in BonnBild: Michael Staab/Beethovenfest

Mit "Da pacem Domine" des Leipziger Komponisten Gregor Mayer fing das diesjährige Campus-Konzert beim Beethovenfest am 8. September 2022 an. Mit Johann Sebastian Bachs "Herr gib uns Frieden" und Standing Ovations des Publikums im Plenarsaal des ehemaligen Bundestages ging der Abend zu Ende. Das Konzert mit Werken ukrainischer, belarussischer und deutscher Komponisten war ein wahrer Friedensapell - darin waren sich die Teilnehmenden aus allen drei Ländern einig.

Campus: ein Konzert wie kein anderes

Seit über 20 Jahren schon bildet das Campus-Projekt der DW und des Beethovenfestes Bonn eine Begegnungsplattform für junge Musikerinnen und Musiker aus aller Welt.

In diesem Jahr stand am 8. September eine Begegnung der besonderen Art an: Es kamen geflohene Musikerinnen und Musiker aus Belarus mit Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine und Deutschland zusammen.

Jungen Menschen singen im Chor auf einer Empore.
Der ehemalige Plenarsaal des Bundestages verwandelte sich in einen KonzertsaalBild: Michael Staab/Beethovenfest

"Campus ist eben ein Konzert wie kein anderes", gesteht Thomas Scheider, der das Projekt für das Beethovenfest schon zum achten Mal betreute. "Es ist nicht so wie die üblichen Konzerte, wo die meisten Ensembles schon mit einem festen Programm anreisen und diese in einer sehr guten Qualität abliefern. Beim Campus-Projekt muss alles von Anfang an durchdacht werden: Wen lädt man ein, warum, was passt zusammen - oder was passt eben nicht so gut zusammen, dass es dadurch wieder interessant wird."

Etwas Besonderes war auch der Ort des Konzertes: Campus 2022 ist das erste und einzige Konzert in der Geschichte des Beethovenfestes, das im früheren Plenarsaal des Bundestages, einem Schauplatz der deutschen Nachkriegsdemokratie, stattfand.

Vitali Alekseenok: "Belarussen und Ukrainer sind Teil Europas, ein Teil des freien Denkens"

Diesmal fügte sich Beethoven zu Vokalwerken aus Belarus, der Ukraine und Deutschland, von Folklore bis zum Zeitgenössischen.

Werke ukrainischer, belarussischer und deutscher Komponistinnen und Komponisten, Lieder der Freiheit, des Protestes, aber auch Friedenshymnen rankten sich um die vier Sätze der Dritten Sinfonie Beethovens, der "Eroica", mit ihrem revolutionären Gestus. "Natürlich ist Beethoven Kunstmusik, aber sie hat etwas so Direktes und etwas fast Affekthaftes, das sofort aufs Publikum überspringt", so Projektleiter Scheider. "Natürlich ist es kein Straßenlied, aber ich finde, es ist trotzdem sehr eingängig für den Zuhörer."

Vitali Alekseenok in weißem T-Shirt macht eine Armgeste im Bonner Plenarsaal.
Dirigent Vitali Alekseenok aus Belarus: Wir wollen gehört werdenBild: Michael Staab/Beethovenfest

"Sinn dieses Projektes ist es, eine musikalische Brücke zwischen den Kulturen von Belarus, meiner Heimat, der Ukraine, mit der wir alle mitfühlen, und Deutschland zu bauen", sagt der musikalische Leiter des Projektes, Dirigent Vitali Alekseenok. "Und zwar von der Vergangenheit ins Heute hinein - von den Werken nationaler Dichter und Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts bis zu den Werken zeitgenössischer Komponisten der drei Länder", so Alekseenok weiter. "Wir können mit Kunst, mit Musik schon vieles bewirken. Wir wollen zeigen, dass wir als Belarussen und Ukrainer ein Teil Europas, ein Teil des freien Denkens sind und sein wollen." Nach seiner aktiven Beteiligung an den Protesten in Minsk im Sommer 2020, worüber er in Deutschland ein Buch veröffentlichte("Die weißen Tage von Minsk"), kann Alekseenok nicht mehr in seine Heimat zurückkehren.

Dieses Schicksal teilt er mit weiteren belarussischen Musikerinnen und Musikern, die am Campus-Projekt beteiligt waren: vor allem den Sängerinnen und Sängern des "Volny Chores" ("Freien Chores"). Mit spontanen Auftritten und Flashmobs im öffentlichen Raum wurde der Chor zum Symbol des friedlichen Protestes in Belarus, und nach der brutalen Unterdrückung der Bewegung durch das Lukaschenko-Regime zur "feindlichen Organisation" erklärt. Die meisten Chormitglieder mussten fliehen. Der "Volny Chor" kam nach Bonn mit seiner Leiterin Galina Kazimirovskaya, die zurzeit im polnischen Exil lebt.

Ein Gruppe von Menschen steht maskiert und in Hoodies vor einem Gebäude und streckt die Arme nach oben. Daneben steht eine Frau, die ebenfalls den Arm hochstreckt.
Als Einzige tritt Galina Kazimirovskaya unmaskiert auf: hier bei einem Flashmob in BonnBild: T. Scheider/Beethovenfest

"Bei der Flucht vor zwei Jahren haben wir alle gehofft, dass wir bald nach Hause zurückkehren können", sagte Kazimirovskaya der DW. "Danach sieht es aber nicht aus, in Belarus drohen uns Verhaftung und mehrjährige Freiheitsstrafen. Aber wir kämpfen weiter, indem wir unsere Lieder weiter singen."

Die Ukraine war beim Campus-Projekt durch den Chor "Sophia Chamber Choir" aus Kiew vertreten. "Wir verstehen uns als Botschafter der ukrainischen Kultur", so der Chorleiter Olekseii Shamrytskyi gegenüber der DW. "Am Anfang des Krieges haben wir in Bunkern für verängstigte Menschen gesungen. Jetzt möchten wir unseren Kampfgeist auch nach außen tragen." Für die Beteiligung am Campus-Projekt der DW und des Beethovenfestes erhielten die männlichen Chormitglieder eine Sondergenehmigung, die den wehrpflichtigen Ukrainern eine Ausreise erlaubte.

Drittes Mitglied im Bunde war der "GewandhausJugendchor" aus Leipzig unter der Leitung von Frank-Steffen Elster. Bereits im Vorfeld des Campus-Projektes haben die drei Chöre gemeinsam in Warschau geprobt. "Unser Ziel war es, durch das gemeinsame Musizieren den Gedanken an ein freies Leben, an Toleranz und Demokratie musikalisch und künstlerisch auszudrücken", so Elster im DW-Gespräch.

Campus-Programm: Beethoven hält zusammen

Die Auftritte des Projektchores (bestehend aus Sängerinnen und Sängern aus drei Ländern) waren von instrumentalen Sätzen der Beethoven-Sinfonie zusammengehalten.

Gespielt wurden verschiedene Fassungen des Werkes in kammermusikalischen Bearbeitungen. Die Bearbeitungen stammten von vier verschiedenen Autoren, die Bandbreite reichte von Beethovens Zeit (etwa von Beethovens Schüler Ferdinand Ries) bis ins Heute hinein. So wurde der dritte Satz der "Eroica" von dem ukrainischen Komponisten Maxim Kolomiiets neu musikalisch gedacht. "Es ist natürlich nicht einfach, dem Werk Beethovens etwas hinzuzufügen", so der Komponist. "Ich habe mir aber die Frage gestellt: Wie hätte Beethoven heute komponiert, in einer Zeit, wo in Russland ein Herrscher an der Macht ist, dem Napoleon nicht mal das Wasser reichen könnte, wo in Europa wieder Krieg herrscht."

Gespielt wurden die vier Teile der Sinfonie von belarussischen, ukrainischen und deutschen Instrumentalistinnen und Instrumentalisten.

Olga Podgayskayage: Werk für inhaftierte Maria Kolesnikowa

Ein zentrales Element des Campus-Programms ist traditionell auch ein Auftragswerk, das die DW an das jeweilige Gastland vergibt. Diesmal übernahm die aus Minsk geflohene Komponistin Olga Podgayskayage die Aufgabe. Entstanden ist ein Werk für Chor und Orchester mit dem Titel "Nebo Maryi" ("The Sky of Mary").

Porträt von Olga Podgayskayage.
Komponistin Olga PodgayskayageBild: Maxim Krugly

Das Werk ist der Musikerin und Oppositionellen Maria Kolesnikowa gewidmet, die die Komponistin aus der gemeinsamen Studienzeit am Minsker Konservatorium gut persönlich kennt. Kolesnikowa machte sich als Flötistin, Sängerin und Projektmacherin in der Musikszene einen Namen, ehe sie sich der politischen Bewegung anschloss, die eine demokratische Umgestaltung von Belarus anstrebte. Seit zwei Jahren befindet sich Kolesnikowa in einer vom Lukaschenko-Regime verhängten elfjährigen Haft.

"Wenn man daran denkt, wo sich Maria jetzt befindet und wie ihre Situation ist, kann man nur weinen", sagt die in Warschau lebende Podgayskayage. "Denn das Böse wirkt lähmend, friert jeden kreativen Impuls ein. Aber genau das darf nicht passieren. Um zu überleben, müssen wir stark sein und uns gegenseitig unterstützen."

Tatjana Khomich steht vor einer Mauer mit Street-Art, die ihre Schwester abbildet. Sie formt mit ihren Händen ein Herz.
Ein Herz für Maria: Tatiana Khomich kämpft für ihre SchwesterBild: New Docs/WDR

Kolesnikowas Schwester Tatiana Khomich, die bereits den Proben des Campus-Chores in Warschau beiwohnte, bedankte sich bei allen Beteiligten: "Sie weiß von dem Projekt und dem ihr gewidmeten Werk und das berührt sie sehr." "Es ist nicht erlaubt, in der Lagerhaft zu musizieren oder sogar Musik zu hören. Wir haben vor einiger Zeit versucht, Maria eine Flöte ins Gefängnis zu übergeben und sind damit natürlich gescheitert. Aber ihren Himmel ("Marias Himmel" lautet der Titel des ihr gewidmeten Werkes, Anm. d. Red.) - den sieht sie auch hinter Gittern."

Das Konzert des Campus-Projekt kann auf dem YouTube-Kanal DW Classical Music nachgehört werden.