Zeit der Entscheidung für Europa
31. Oktober 2016DW: Herr Dündar, Sie leben derzeit im Exil in Deutschland, gegen Sie läuft ein international kritisiertes Verfahren in der Türkei. Im Falle eines Auslieferungsantrags der türkischen Behörden an Deutschland gegen Sie, wie würde dieser Prozess Ihrer Meinung nach verlaufen?
Can Dündar: Diese Entscheidung wird Deutschland treffen. Deutschland muss sich meiner Meinung nach entscheiden: Wird es auf der Seite der Demokratie oder der Unterdrückung stehen? Das werden wir alle sehen. Aber da muss sich nicht nur Deutschland, sondern auch Europa entscheiden müssen: Möchten sie die Türkei lieber als ein Regime der Unterdrückung sehen oder als demokratisch- laizistisches freies Land? Ich denke, es wird ein Lackmustest sowohl für Deutschland als auch für Europa werden.
Wie bewerten Sie die juristische Begründung der Festnahmen gegen "Cumhuriyet"?
Ich finde es lächerlich. Es wäre besser gewesen, wenn sie gleich gesagt hätten: "Wir wollen keine anderslautenden Stimmen hören und nicht einmal die kleinste Opposition tolerieren." Denn "Cumhuriyet" hat in seiner gesamten Geschichte, beziehungsweise in den letzten 20 bis 30 Jahren, gegen die Gülen-Bewegung gekämpft. Und wenn sie ausgerechnet dieser Zeitung jetzt "Gülenismus" vorwerfen, können sie das niemandem glaubhaft machen.
Sie haben in Deutschland und in Europa mehrere Preise bekommen, haben Kontakte zu Politikern. Bekommen Sie die erhoffte Unterstützung aus Europa? Was sollte konkret gemacht werden?
Die Preise sind natürlich sehr bedeutend und gleichzeitig eine Botschaft der Solidarität. Doch es braucht mehr: Wenn ich mir die letzten Zahlen des Rüstungshandels zwischen der Türkei und Deutschland im vergangenen Jahr ansehe, kommt mir der Gedanke, ob hinter dieser Unterstützung nicht diese wirtschaftlichen Interessen stecken. Oder ob das Flüchtlingsabkommen die europäische Sicht auf die Demokratie verblendet? Und ich denke, das sind dermaßen wichtige Entscheidungen, die die eigene Existenz in Frage stellen können. Nicht nur für Deutschland, sondern für das ganze Europa.
Das Interview führte Gezal Acer.