Cannes trotzt Corona mit Mini-Festival
30. Oktober 2020Normalerweise treffen sich im Mai an der Côte d'Azur Stars und Sternchen, Produzenten, Verleiher, Filmkritiker und zahlreiche Filmfans. Sie posieren auf dem roten Teppich, gucken Filme im Kino, plaudern, diskutieren, feiern, schließen Verträge, knipsen Selfies. Und die Wettbewerbsteilnehmer schielen auf die Goldene Palme, die renommierte Auszeichnung, die beim Filmfestival in Cannes verliehen wird.
Stattdessen jetzt eine Mini-Ausgabe des renommierten Filmfestivals im Oktober. Denn die Hoffnung, dass das Festival wie in den Vorjahren stattfinden könnte, hat sich nicht erfüllt. Schon im Sommer stiegen die Zahlen der Corona-Neuinfektionen in Frankreich wieder an, die Côte d'Azur und damit auch die Croisette, Strandpromenade und Herzstück von Cannes, gilt seit August als Risikogebiet.
Filmfestival in Cannes: "Liebesbekundung" an die Kultur
Da wundert es wenig, dass in diesem Jahr keine Hollywood-Stars eingeflogen und das Festival auf drei Tage verkürzt wurde. Man habe das Filmfest aber eben nicht ganz ausfallen lassen wollen, sagte Thierry Frémaux, der künstlerische Leiter des Filmfestivals, am Dienstagabend bei der Eröffnungszeremonie.
Pierre Lescure, Präsident des Festivals, sprach von einer "Liebesbekundung" an die Kultur. Zuvor schon hatten 56 Filme von den Festivalmachern ein so genanntes Cannes-Gütesiegel erhalten und können sich somit rühmen, zur offiziellen, prestigeprächtigen Cannes-Selektion gehören - auch wenn sie nicht über die Leinwände des Festivals gelaufen sind. .
Lange hatten die Organisatoren gezögert, das Festival zu verschieben. Eine komplette Absage und damit eine leere Leinwand im Festivalpalast für das Krisenjahr 2020 käme nicht in Frage, sagte David Lisnard, Bürgermeister von Cannes. Im "kulturellen Notfall" sei Unterstützung gefragt. "Die Veranstaltung zeigt, wie stark die Kreativindustrie ist, die nicht aufgibt. Diese Sonderausgabe ist ein gutes Vorzeichen für Cannes 2021", so Festivalleiter Frémaux.
Eröffnungsfilm über arbeitslosen Schauspieler
Im Corona-Jahr aber ist alles anders und wenig glamourös. Mit einer Sperrstunde ab 21 Uhr konnte von Festivalatmosphäre nicht die Rede sein. Wer über den Roten Teppich lief, musste Desinfektionsschleusen passieren und seine Temperatur messen lassen.
Mit Maske und Abstand konnten die ausgewählten Gäste am Dienstagabend, dem 27. Oktober, den Eröffnungsfilm sehen. Gezeigt wurde die Tragikomödie "Un Triomphe" von Emmanuel Courcol über einen arbeitslosen Schauspieler, der im Gefängnis Theaterworkshops gibt und mit den Insassen ein Stück auf die Bühne bringt - mit dem sie sogar auf Tour gehen. Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Der gestrige Abschluss der Mini-Ausgabe wurde dann vom einer weiteren Ausnahmesituation eingeholt: das Messerattentat im benachbarten Nizza. So legten die Filmgäste eine Schweigeminute in Gedanken an die Opfer ein. Zusätzlich foderet die zweiet Corona-Welle ihren Tribut. Ab Freitag, dem 30. Oktober, geht das ganze Land - wie schon im Frühjahr - in den Lockdown. Franzosen dürfen ihr Haus dann nur noch mit Bescheinigung verlassen.
Botschaft: 2021 geht es weiter
Es sei eine Ironie des Schicksals, dass die Cannes-Mini-Ausgabe das letzte Filmereignis vor dem erneuten Lockdown ist, sagte Festivalleiter Frémaux. Galt zuvor die Sperrstunde ab 21 Uhr, so sind just einen Tag nach dem Festivalabschluss, alle Kinos in Frankreich geschlossen. Kein Wunder, dass in dieser Situation das Rennen um die Goldene Palme in diesem Jahr Nebensache zu sein schien. Auf der Webseite des Filmfests zumindest wird kein Preisträger erwähnt.
Im nächsten Jahr soll das Filmfestival aber wieder regulär mit vollem Programm und Auslastung wie gehabt im Mai stattfinden. Ob die Corona-Pandemie das wirklich zulassen wird? Darauf weiß derzeit keiner eine Antwort. Doch Festivalleiter Frémaux ist optimistisch und verspricht: "Cannes wird nach der Pandemie das erste große internationale Ereignis sein." So wie es vor dem zweiten französischen Lockdown das letzte war.