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Carolin Emcke mit Friedenspreis geehrt

23. Oktober 2016

Die Welt und sich selbst schreibend verstehen, dafür hat die deutsche Autorin den begehrten Preis erhalten, der jährlich am Ende der Frankfurter Buchmesse vergeben wird. Die Laudatio hielt die Philosophin Seyla Benhabib.

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Verleihung Friedenspreis an Carolin Emcke (Foto: picture-alliance/dpa/A. Dedert)
Carolin Emcke nimmt den Friedenspreis entgegenBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Bewegt und auch erleichtert nahm Carolin Emcke in der Frankfurter Paulskirche den bedeutendsten Kulturpreis der Bundesrepublik Deutschland entgegen, den Friedenspreis de Deutschen Buchhandels. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels würdigt damit die Beiträge der 49-Jährigen zum gesellschaftlichen Dialog und zum Frieden.

"Sie schreibt das auf, was andere ihr erzählen und was sie selbst dabei empfindet, nämlich oft Angst, Wut und Hilflosigkeit", sagte der Vorsteher des Börsenvereins, Heinrich Riethmüller. Die Publizistin und Philosophin mache klar, "dass es einen Zusammenhang zwischen Gewalt und Sprache und Gewalt und Sprachlosigkeit gibt". 

Friedenspreis an Carolin Emcke
Die Reporterin und Journalistin Carolin Emcke (49) hielt eine politisch aufrüttelnde RedeBild: picture alliance/dpa/A.Dedert

In ihrer Dankesrede vor fast 1000 Besuchern - unter ihnen auch Bundespräsident Joachim Gauck - rief Emcke dazu auf, sich gemeinsam für eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft einzusetzen: "Pseudoreligiöse und nationalistische Dogmatiker" wollten alle einschüchtern, "die sich einsetzen für die Freiheit des einzigartigen, abweichenden Individuellen", so Emcke. In Wahrheit gehe es ihnen nicht um Muslime, Flüchtlinge oder Frauen.

Die Pluralität feiern

Sich für Freiheit und Demokratie einzusetzen, sei mühsam, räumte die Preisträgerin ein. Es werde immer wieder Konflikte um verschiedene Praktiken und Überzeugungen geben. "Aber warum sollte es auch einfach zugehen?" Jeder Einzelne sei gefragt, "sprechend und handelnd" einzugreifen in "diese sich zunehmend verrohende Welt". Dazu könnten "alte Menschen und junge" beitragen, "die mit Arbeit und die ohne, die mit mehr und die mit weniger Bildung, Dragqueens und Pastoren, Unternehmerinnen und Offiziere".

Silvia Fehrmann   Carolin Emcke   Joachim Gauck   (Foto: picture alliance/dpa/A.Dedert)
Die Preisträgerin (m.) mit ihrer Lebensgefährtin Silvia Fehrmann und Bundespräsident Joachim Gauck Bild: picture alliance/dpa/A.Dedert

Emcke sprach auch persönliche Themen an - unter anderem ging sehr offen auf ihre Homosexualität und religiöse Fragen ein. Es sei eine "merkwürdige Erfahrung", dass etwas so Persönliches wie die Liebe "für andere so wichtig sein soll, dass sie für sich beanspruchen, in unsere Leben einzugreifen und uns Rechte oder Würde absprechen wollen", sagte sie. Ähnlich erscheine ihr die "Beschäftigung der Islamfeinde mit dem Kopftuch": "als bedeutete ihnen das Kopftuch mehr als denen, die es tatsächlich selbstbestimmt und selbstverständlich tragen".

"Menschenrechte kein Nullsummenspiel"

Menschenrechte, so die Autorin, seien "kein Nullsummenspiel". "Niemand verliert seine Rechte, wenn sie allen zugesichert sind."

In ihrer Laudatio feierte die Philosophin Seyla Benhabib Emcke nicht nur als "Intellektuelle", sondern auch als "Freundin" - beide Frauen haben bei Jürgen Habermas in Frankfurt studiert. Emcke habe "eine einmalige Mischung aus Reportage, philosophischer Reflexion und literarischer Komposition geschaffen, durch die sie 'moralisches Zeugnis' ablegen kann über menschliches Leid in gewaltsamen Konflikten, aber auch über andere Formen von Leid und Schweigen, die all jene verspüren, die anders sind, sei es sexuell, psychologisch, religiös oder ethnisch".

Carolin Emcke Gegen den Hass (Foto: S. Fischer)
Emcke aktuelles Buch beschäftigt sich mit den Mechanismen von HassBild: S. Fischer

Carolin Emcke, die 1967 in Mülheim an der Ruhr geboren wurde, studierte Philosophie und promovierte über den Begriff "kollektiver Identität". Sie lebt als freie Publizistin in Berlin. Für ihr Schaffen wurde Emcke bereits mehrfach ausgezeichnet. Mit ihren Büchern, Artikeln und Veranstaltungen tritt sie seit vielen Jahren gegen dogmatisches Denken und gesellschaftliche Polarisierung ein. Ihr neuestes Buch "Gegen den Hass" erschien diesen Oktober.

Im Laufe ihrer Karriere berichtete Emcke aus etlichen Krisen- und Kriegsgebieten wie Afghanistan, Pakistan, Irak und dem Gaza-Streifen. Zudem arbeitete sie als Redakteurin beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" und schreibt weiterhin für die Wochenzeitung "Die Zeit". Außerdem organisiert sie monatlich die Reihe "Streitraum" in der Berliner Schaubühne, in der Intellektuelle und Zuschauer über kritische gesellschaftliche Fragen debattieren. 

Beitrag zur Verwirklichung des Friedens

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der mit 25.000 Euro dotiert ist, wird seit 1950 verliehen. Dem Statut zufolge geht er an Persönlichkeiten - vor allem Schriftsteller, Philosophen und Wissenschaftler im In- und Ausland -, "die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beitragen".

Zu den bekanntesten Preisträgern gehören Albert Schweitzer (1951), Hermann Hesse (1955), Astrid Lindgren (1978), Siegfried Lenz (1988), Mario Vargas Llosa (1996), Jürgen Habermas (2001) und Orhan Pamuk (2005). Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an den Autoren und Orientalisten Navid Kermani.

ash/wl (dpa/KNA)