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Interview: "Comics sind mehr als Kinderkram"

Das Gespräch führte Annabelle Steffes26. Juni 2016

Wer steckt hinter Batman, Donald und Co und wie wird man überhaupt Comiczeichner? "Schisslaweng" machte Marvin Clifford in der Comicszene berühmt. Wir haben den deutschen Zeichner auf der "Comic Con Germany" getroffen.

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Marvin Clifford schneidet Grimassen, Foto: A. Steffes
Bild: DW/A. Steffes

In der Comicszene ist der 1982 geborene Berliner Marvin Clifford ein Star. Das zeigt auch die lange Schlange vor seinem Signiertisch bei der ersten deutschen Comic Convention, die noch bis zum 26. Juni in Stuttgart tagt. Der Durchbruch gelang Marvin Clifford mit seiner 2012 begonnenen autobiografischen Serie "Schisslaweng". Zunächst nur im Internet erschienen, fand Clifford bald einen Verlag und wurde 2014 unter anderem mit dem Max und Moritz-Publikumspreis des Comicsalons Erlangen ausgezeichnet.

Auf seiner Webseite veröffentlicht Clifford weiterhin wöchentlich kleine Szenen, die er humoristisch überspitzt darstellt und die so oder ähnlich jedem von uns passiert sein könnten. Diesen Tücken des Alltags geht dann nicht selten genau jene Leichtigkeit ab, die der Berliner Mundart entlehnte Begriff "Schisslaweng" (etwas mit Schwung, Leichtigkeit oder Unbeschwertheit tun) eigentlich suggeriert. Der Grafikdesigner startete seine Comic-Karriere 2009 mit dem Online-Rollenspiel Shakes & Fidget, für das sich bislang 15 Millionen Spieler angemeldet haben.

Deutsche Welle: Wie sind Sie zum Comiczeichnen gekommen?

Marvin Clifford: Ich glaube, in erster Linie durch das Konsumieren von Comics und diversen Zeichentrickserien, als ich klein war. Und durch das Nachzeichnen der Abenteuer meiner Actionfiguren. Mein Vater sagt, dass ich zeichne, seitdem ich einen Stift halten kann. Ich wollte immer Comiczeichner werden. Schon immer.

Hatten Sie eine Idee, wie man das anstellt?

'Schisslaweng' war nicht mein erster Comic. Ich habe davor schon ganz viele Comics gezeichnet, aber nicht in einem Verlag rausbringen können. Während meiner Studienzeit habe ich mit einem Freund und Mitstudenten Shakes & Fidget, eine Parodie auf World of Warcraft, gemacht und das war dann das Ding, was zumindest in der Gamerszene rumging. Das hörte dann nach fast zehn Jahren auf und dann dachte ich, 'okay ich muss mal gucken, ob ich nicht etwas anderes mache - Was soll das sein?' Inspirationsquelle wäre der eigene Alltag. Ich konnte meinen Humor und meinen Zeichenstil aus "Shakes & Fidget" übertragen und so ist es dann zu Schisslaweng gekommen.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe erst mal in Eigenproduktion ein paar Bücher drucken lassen. Nachdem ich versucht habe, diese online zu vertreiben, ist ein Buch auch an den Panini-Verlag gekommen. Und die meinten dann, 'mmh, könnte uns interessieren'. Und daraus ist dann der zweite Band geworden. Vielleicht gibt es auch noch einen dritten Band.

Wenn Sie eine Figur zeichnen, womit fangen Sie an?

Manchmal fange ich mit der Nase an, manchmal mit dem Mund an, manchmal mit den Schultern. Ich weiß nicht, wonach das geht, ich kann das gar nicht sagen. Und dann setze ich mich hin und schreibe zunächst die Geschichte auf - also in der Regel irgendwelche Dialoge und eine Art Drehbuchanweisung. Und dann mache ich daraus ein Storyboard und gucke, wie viele Seiten es letzten Endes geworden sind.

Bekommt man irgendwann Routine?

Es gibt viele Leute, die sagen: 'Ich würde auch gerne so zeichnen können wie Du, aber ich habe nicht das Talent'. Wenn man Leidenschaft hat und man dran bleibt - wie ich zum Beispiel mit dem "Marvin-Kopf", den habe ich jetzt bestimmt tausendmal gezeichnet -, da wird man schneller. Man wird geübter, routinierter, der Strich wird auf Dauer sicherer und dann braucht man nicht einmal mehr die Vorzeichnungen.

Die Schwierigkeit beim Zeichnen ist, dass man ein Bild vor Augen hat. Und das möchte man auf Papier bringen und verwechselt sich dann selbst mit so einer Art Tintenstrahldrucker. Man versucht, auszudrucken, was man im Kopf hat und natürlich funktioniert das nie. Wenn man hingegen eine andere Herangehensweise wählt, indem man vielmehr ein Bild konstruiert und im Kopf auseinandernimmt, sich sagt, das ist eigentlich ein Kreis, dann fängt man an, auch die ganzen Formen besser zu verstehen. Irgendwann braucht man immer weniger bis hin zu keiner Vorlage mehr. Das Problem wird dann sein, diese Muster wieder als Künstler zu durchbrechen.

Wenn mir jemand sagt, zeichne einen Hund. Dann zeichne ich einen Hund. Wenn es aber heißt, es sollen fünf unterschiedliche Rassen sein, dann stoße ich an meine Grenzen. Ich habe die noch nie vorher gezeichnet. Dann zeichne ich die einmal, zeichne sie zweimal - dann wird es schon wieder einfacher. Meine großen Schwierigkeiten sind zum Beispiel grazile Frauenfüße - schrecklich! Musikinstrumente - schrecklich zu zeichnen. Weil die so symmetrisch sind. Super schrecklich!

In der Grundschule habe ich mich gerne mit einem guten Kumpel hingesetzt, Grimassen geschnitten und versucht, die nachzuzeichnen. Später habe ich in der Schule öfters Theater gespielt und mir dann dieses Acting der Figuren eingeprägt. Comiczeichner zu sein, bedeutet ja nicht nur, gut zeichnen zu können, sondern auch, sich eine Geschichte ausdenken zu können, ein Schauspieler und irgendwie auch der Regisseur zu sein, die Szenen richtig zu inszenieren, ein Kameramann zu sein. Es gibt da unglaublich viel, was eine Rolle spielen kann. Das macht es auch so spannend.

Marvin Clifford signiert Comics in Stuttgart, Foto: A. Steffes
Signierstunde auf der Comic Con in StuttgartBild: DW/A. Steffes

Welche Rolle spielt die Deutsche Comicszene?

Da möchte ich gerne Flix (Felix Görmann, Anmerk. der Red.) zitieren. Er ist nicht nur einer meiner Lieblingszeichner, sondern auch mein Atelierkollege in Berlin. Flix hat das mal sehr passend in einem Interview ausgedrückt. Das Problem in Deutschland ist, dass wir eigentlich keine Comickultur haben, weil uns 50 Jahre Comickultur fehlen, da es neben der Bücherverbrennnung im Nationalsozialismus auch so etwas wie Comicverbrennung gab. In der Nachkriegszeit wurden wir dann vor allem mit den Sachen konfrontiert, die gut verkauft werden konnten. Das waren dann eben Donald Duck und Lucky Luke, Comics, die in einer eigenen Kultur herangereift sind.

Frankreich und Belgien haben eine große Comickultur, USA, da müssen wir nicht drüber reden. Japan hat seine ganz eigene Szene. Und Deutschland? Nicht so. Wir müssen uns immer noch rechtfertigen, ob Comics nur Stoff für Kinder sind. Ich spüre, dass es jetzt langsam vorwärts geht, die deutschen Comiczeichner bekommen mehr Chancen, ihre Sachen zu publizieren und in den Buchhandel zu bekommen.

Was sich jetzt und in den letzten Jahren so gut verkauft hat, sind vor allem schwere Geschichten. Geschichten, die es den Verlegern auch einfacher machen, zu rechtfertigen, dass es sich hierbei um Literatur handelt und nicht um irgendwelche Kinder-Clownsgeschichten. Ich habe das Gefühl, dass man in Deutschland einerseits sagt, 'ja Comics sind wichtig und müssen sich entfalten, auf der anderen Seite sind sie aber immer noch in der Rechtfertigung, sagen zu müssen, ach übrigens, das ist jetzt kein Kinderkram'. Das sind dann die, die Preise abgreifen. Natürlich. Ist ja einfacher, als so eine Clownsgeschichte.

Sie haben 2014 den Max und Moritz-Publikumspreis des Comicsalons Erlangen erhalten. Was war das für ein Gefühl?

Völlig surreal. Stellen Sie sich vor, Sie haben die Oscar-Verleihung mit "Twelve Years A Slave" und in der gleichen Kategorie tritt "Die Nackte Kanone" an. Na, wer wird den Preis gewinnen? Ungefähr so hat sich das angefühlt. Ich habe ja den Publikumspreis bekommen. Das heißt, da hatte die Jury nichts zu sagen. Das Publikum hat mich gewählt. Das war irre. Ich habe sogar rausgefunden, dass ich der erste Webcomic überhaupt war, der je den Max und Moritz-Preis bekommen hat - das war mir erst gar nicht bewusst.