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Chatzimarkakis: Griechen schaffen das

Bernd Riegert1. Januar 2014

Griechenland, das sich mit internationalen Hilfskrediten über Wasser hält, wird für sechs Monate Präsident der EU. Die Griechen werden ihre Chance nutzen, sagt der Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis im DW-Interview.

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Jorgo Chatzemarkakis
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Griechenland ist der teuerste Sanierungsfall in der Europäischen Union und übernimmt nun für ein halbes Jahr die rotierende Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Passt das zusammen? Ist das Land dazu überhaupt in der Lage?

Jorgo Chatzimarkakis: Viel kleinere Staaten als Griechenland haben die Ratspräsidentschaft ja schon geschafft. Ich erinnere an Litauen, das gerade die Präsidentschaft innehatte. Ein Mitgliedsstaat, der souverän ist, ist in der Lage eine Ratspräsidentschaft zu unterhalten. Fraglich ist natürlich, ob die Mittel, die die Troika (EU-Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds) Griechenland zugewiesen hat, ausreichen. Die Griechen müssen mit einem Budget auskommen für die nächsten sechs Monate, das um circa 40 Prozent niedriger liegt als das der laufenden Ratspräsidentschaft. Man hat 50 Millionen Euro zur Verfügung. Das heißt, man muss beim Veranstaltungsmanagement und bei der Fülle der Veranstaltungen wirklich sparen. Aber das sind die Griechen jetzt gewohnt und deshalb, glaube ich, können sie auch Maßstäbe setzen, wie man künftig Ratspräsidentschaften auch mit weniger Steuergeld effektiv hinbekommt.

Ist das wichtig für das Selbstbewusstsein der Griechen, diese Ratspräsidentschaft jetzt zu machen?

Griechenland hat es geschafft seit dem Sommer, das Bild, das Image der Wirtschaft und der Bemühungen der Regierung doch zum Positiven zu wenden. Das hat auch damit zu tun, dass Berlin, insbesondere die Bundeskanzlerin, das so wollte. In der Tat wurde ein magisches Wort gefunden, nämlich der Primärüberschuss, den Griechenland erreichen sollte. Und Griechenland hat das geschafft. Primärüberschuss bedeutet, dass die Einnahmen des Landes über den Ausgaben liegen, wenn man alle Schulden und den Schuldendienst abzieht. Mit massiven Anstrengungen beim Einziehen der Steuern, mit Steuererhöhungen und vor allem massiven Kürzungen bei den Ausgaben ist das gelungen. Insofern ist es jetzt ganz gut für Griechenland auch als Ratspräsident zu zeigen, wir sind in der Lage das zu schaffen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass man nicht mit den Griechen rechnet. Im Jahr 2004 standen die Olympischen Spiele an. Alle dachten, die Griechen würden das organisatorisch nicht hinkriegen. Trotzdem haben sie es mit Bravour geschafft und sind im gleichen Jahr auch noch Fußball-Europameister geworden...

...das lag aber an Otto Rehhagel, dem deutschen Trainer der griechischen Nationalmannschaft.

Ja, auch. Aber auch Otto Rehhagel alleine hätte es nicht richten können. Er brauchte gute Spieler, die seine Ideen umsetzen. Darauf kommt es jetzt auch an. Letztlich müssen die Griechen im europäischen Kontext gute europäische Ideen umsetzen können. Ich glaube, dazu sind sie in der Lage. Allerdings ist die Realität in Griechenland tatsächlich Besorgnis erregend. Wenn alle europäischen Maßnahmen wirklich gut wären, wäre Griechenland nicht in der Rezession, in der es sich jetzt befindet. Griechenland hat eine Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen unter 25 Jahren von 70 Prozent. Das sind die Kehrseiten der Sparpolitik. Deshalb ist es für Griechenland jetzt eine gute Gelegenheit, diese Kehrseiten aufzuzeigen und für eine Wachstumspolitik zu werben, die vielleicht einen neuen Marshall-Plan für den Süden Europas in Angriff nimmt. Dann wäre die Ratspräsidentschaft in der Tat ein Gewinn für ganz Europa.

Sie haben den Primärüberschuss herausgestellt, trotzdem muss im Jahr 2014 mit Griechenland über ein neues Hilfspaket verhandelt werden. Das laufende Hilfsprogramm läuft Ende 2014 aus. Ist das nicht ein wenig skurril, dass der Ratspräsident, der ja eigentlich vermitteln soll, über sich selbst verhandeln muss?

Ich glaube, man wird Anfang des Jahres relativ rasch zu einem neuen Paket für Griechenland kommen. Und wenn ich Paket sage, meine ich nicht, Gott bewahre, ein neues "Hilfspaket". Denn das würde beide Seiten vor Schwierigkeiten bei den eigenen Wählern stellen. Auch die Griechen haben Angst vor einem neuen Hilfspaket. Sie wollen das gar nicht. Mit einem neuen Paket meine ich eine Mischung aus einer Senkung der Zinsen und einer Verlängerung der Kreditlaufzeiten. Der Zins, den Griechenland bislang für die Hilfe zahlt, ist künstlich überhöht. Wenn Griechenland nicht mehr so hohe Zinsen zahlen müsste, dann sieht das Bild schon ganz anders aus. Außerdem setzen sich viele führende Köpfe im Moment dafür ein, dass die Rückzahlungsfrist gestreckt wird.

Deutschland hat das am eigenen Leib erfahren, als 1953 die Lasten aus den Kriegsschulden halbiert und auf 50 Jahre gestreckt wurden. Dieser Zeitraum ist im Gespräch. Und wenn das passiert, dann wäre die Schuldentragfähigkeit gegeben. Griechenland könnte sich dann wieder an die Finanzmärkte wenden. Ich rechne nicht mit weiteren Steuer-Milliarden für Griechenland in Form von Garantien. De facto bleibt Deutschland der absolute Gewinner der Euro-Rettungspolitik. Bundesfinanzminister Schäuble hat im Juli auf eine parlamentarische Anfrage eingeräumt, dass Deutschland durch die niedrigen Zinsen für seine Staatsanleihen 114 Milliarden Euro netto gespart hat. Dem standen damals Kosten für die Rettungspolitik von 650 Millionen Euro gegenüber. Daran sehen Sie, dass Deutschland einen extrem guten Schnitt gemacht hat. Da sollte man die Wahrheit sagen. Die Griechen zahlen im Moment mehr drauf als Deutschland, und zwar bei Weitem.

Jorgo Chatzimarkakis (47) ist seit 2004 Abgeordneter im Europäischen Parlament. Der FDP-Politiker will bei den Europa-Wahlen im Frühjahr 2014 für eine Partei in Griechenland kandidieren. Der in Duisburg aufgewachsene Chatzimarkakis besitzt als Sohn eines Gastarbeiters aus Kreta sowohl die deutsche als auch die griechische Staatsangehörigkeit. Er ist Vorsitzender einer deutsch-griechischen Wirtschaftsvereinigung und war als Hochschullehrer tätig. 2011 wurde ihm sein Doktortitel von der Universität Bonn nach Plagiatsvorwürfen aberkannt.