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Chemie-Nobelpreis: Körpereigene DNA-Werkstatt

Brigitte Osterath /cb7. Oktober 2015

Unser Erbgut nimmt jeden Tag Schaden, bessert sich aber selbst wieder aus. Ohne diese körpereigene Werkstatt würden wir jung sterben. Für ihre Forschung dazu erhielten drei Wissenschaftler jetzt den Nobelpreis.

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DNA (Bild: Imago)
Bild: Imago/Science Photo Library

Manchmal trifft das Nobelpreiskomitee recht konservative Entscheidungen. So auch dieses Jahr: Experten hatten für den Chemienobelpreis die neue CRISPR-Technik favorisiert, die genetisch veränderte Organismen erzeugen kann.

Denn diese Technik, über die Forscher erstmals 2012 berichteten, hat bereits jetzt Wellen in der biologischen Forschung geschlagen - und beschäftigt Forscher auf der ganzen Welt. Aber CRISPR hat nicht nur großes Potenzial, sondern bringt auch mögliche Gefahren mit sich. Die Technik könnte lange erwartete Heilungsmethoden bringen - oder beispielsweise zur Herstellung von sogenannten Designerbabys missbraucht werden.

Es kam anders

Stattdessen hat das Nobelpreiskomitee drei Wissenschaftler ausgezeichnet, die bahnbrechende Entdeckungen in der Biochemie machten - allerdings schon vor Jahrzehnten. Tomas Lindahl aus Schweden, Paul Modrich aus den USA und Aziz Sancar, der türkischer und amerikanischer Staatsbürger ist, erhielten den Preis für ihre "mechanistischen Forschungen zur DNA-Reparatur".

In den 1960er bis 1980er Jahren entdeckten sie Proteine, die immer wieder auftretende Schäden an unserem Erbgut reparieren. "Das Leben, so wie wir es heute kennen, ist völlig von der DNA-Reparatur abhängig", sagte Sara Snogerup Linse vom Nobelpreiskomitee. Die drei Preisträger deckten auf, wie Zellen genetische Informationen schützen. Diese Erkenntnisse spielen auch in der Krebsforschung eine große Rolle.

Lindahl ist emeritierter Professor am Francis-Crick-Institut und Clare-Hall-Labor in Hertfordshire in Großbritannien, Paul Modrich unterrichtet an der Duke University in Durham im US-Bundesstaat North Carolina und Aziz Sancar ist Professor für Biochemie an der Universität North Carolina in Chapel Hill.

Nobelpreis 2015 (Foto: EPA/FREDRIK SANDBERG)
Bild: Reuters/F.Sandberg

Aziz Sancar ist der erste Nobelpreisträger in den Naturwissenschaften, der in der Türkei geboren ist.

Lange erwartet

Auf die Frage von Adam Smith vom Nobelpreis-Medienteam, ob es in der Türkei nach der Bekanntgabe nun Feiern geben werde, antwortete der 69-jährige Sancar: "Ja, dort hat man mich über die Jahre immer wieder gefragt. Ich konnte das 'Wann bekommst du den Nobelpreis?' schon nicht mehr hören."

"Es war eine Überraschung", sagte Tomas Lindahl, 77, in der Pressekonferenz nach der Bekanntgabe der Nobelpreisgewinner. "Ich wusste seit Jahren, dass ich für den Preis in Betracht gezogen wurde - aber das wurden Hunderte andere ja auch."

Lindahls Freund und früherer Kollege Grigory Dianov, der heute an der Universität Oxford arbeitet, sagte der DW, er freue sich unglaublich für Lindahl.

Dianov kam 1990 aus Novosibirsk in der damaligen Sowjetunion nach England, um ein paar Monate mit Lindahl zu forschen. Eigentlich wollte er nicht lange bleiben - "aber dann ist ja die Sowjetunion zusammengebrochen und ich blieb drei Jahre bei Tomas Lindahl", erzählt Dianov.

"Tomas war der Erste, der feststellte, dass die DNA - also die Moleküle, aus denen wir alle bestehen - extrem instabil ist und täglich repariert werden muss", erzählte er. "Er hat viele Mechanismen und Enzyme entdeckt - er und seine Kollegen natürlich. Aber mit ihm hat alles angefangen, da gibt es keinen Zweifel."

(Infografik: DW)

Die Umwelt ist gefährlich

Sonnenstrahlung, Zigarettenrauch, Medikamente, Alkohol, krebserregende Stoffe in Nahrungsmitteln - vieles in unserem Umfeld kann unser Erbgut schädigen. Experten schätzen, dass jeden Tag Tausende von kleinen Schädigungen in unserer DNA auftreten.

"Jeder Schaden kann potenziell sehr gefährlich sein", sagte Karsten Rippe vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg im DW-Interview. Denn Zellen, deren DNA geschädigt ist, können sich in Krebszellen verwandeln.

Damit das nicht passiert, gibt es Eiweiße in unserem Körper, die unaufhörlich auf der Suche nach Fehlern in der DNA sind und diese eliminieren.

"Es hat dramatische Auswirkungen, wenn nur eine Komponente dieses Systems gestört ist", sagte Rippe. Als Beispiel nennt er Erbkrankheiten wie das Li-Fraumeni-Syndrom, bei dem eine dieser vielen kleinen Helfer im Körper fehlt.

Solche Patienten haben ein 50-prozentiges Risiko, bis zum 30. Lebensjahr Krebs zu entwickeln. Für Menschen, deren Reparaturmechanismus normal funktioniert, liegt die Wahrscheinlichkeit nur bei einem Prozent.

Lungenkrebszellen (Bild: Imago)
Krebs kann entstehen, wenn Erbgut nicht rechtzeitig wieder repariert wirdBild: Imago/Science Photo Library

Drei Männer, drei Mechanismen

In den 1970er Jahren dachten Wissenschaftler noch, dass die DNA ein extrem stabiles Molekül sei. Aber Lindahl zeigte, dass DNA sich sehr schnell zersetzte, sodass die Entwicklung von Leben auf der Erde eigentlich unmöglich hätte sein müssen.

Er war es auch, der die erste Art DNA-Reparaturmechanismus entdeckte. Paul Modrich und Aziz Sancar fanden zwei andere Arten. Zusammen schützen diese Eiweiße die DNA und machen Leben möglich.

Die drei Preisträger arbeiteten parallel und unabhängig voneinander. Sie kamen auf verschiedenen Wegen zur DNA-Reparatur-Forschung. Lindahl erforschte, wie stabil menschliche DNA ist, Sancar arbeitete mit Bakterienstämmen, die empfindlich auf UV-Strahlen reagieren, und Modrich untersuchte Enzyme.

Modrichs Interesse an der Genetik begann in seiner Schulzeit, als sein Vater ihm sagte: "Du solltest mehr über dieses DNA-Zeug lernen." Das war im Jahr 1963, als James Watson und Francis Crick mit dem Chemienobelpreis für die Entdeckung der DNA-Struktur ausgezeichnet wurden.

Lindahl, Sancar und Modrich haben "ihren" Reparaturmechanismus jeder in menschlichen Zellen entdeckt. Aber alle Organismen auf unserem Planeten, selbst Bakterien und Viren, haben ähnliche Strategien, um sicher zu stellen, dass ihr Erbgut fehlerfrei bleibt.