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Coronavirus hat Chinas Kulturleben im Griff

13. Februar 2020

Die Verbotene Stadt geschlossen, die Chinesische Mauer verwaist, die Peking-Oper verstummt - das Coronavirus hat Chinas Kulturtourismus in die Krise gestürzt. Ein Ende ist nicht in Sicht.

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China Peking Verbotene Stadt geschlossen
Bild: AFP/G. Baker

"Die Seuche breitet sich immer schneller aus", sagt Du Xiyun, "das Gefühl der Krise wächst dramatisch." Du Xiyun ist Künstler, Kurator und Kunstkritiker. Der 42-Jährige lebt in Peking. In E-Mails schickt er seine Gedanken nach Deutschland: "Die Menschen glauben", sagt er, "dass die negativen Folgen ziemlich groß sein werden." Getan werden könne wenig. Beim Kampf gegen "die Pest", wie er die Corona-Epidemie nennt, sei China allein auf medizinische Mittel angewiesen. "Kultur spielt nur eine kleine Rolle." Kulturelle Aktivitäten im Reich der Mitte? Du Xiyun, der auch Vizedirektor eines Museums in Shanghai ist, meldet: "Fehlanzeige!"

Nicht nur Künstler und Museumsmanager wie Du Xiyun schwanken zwischen Ärger und Hoffnungslosigkeit: Das Coronavirus hat vieles durcheinandergewirbelt, so auch Chinas Galeristenszene: Die "Art Basel Hongkong", eine der renommiertesten Kunstmessen der Welt und wichtigster Umschlagplatz für moderne Kunst in Asien, wurde gecancelt. "Aus Sorge um die Gesundheit der Mitarbeiter und Besucher", wie es bei der schweizerischen MCH Group heißt, habe man die für Mitte März geplante Messe abgesagt und ins nächste Jahr verschoben. Eine Entscheidung, die "nicht leicht gefallen" sei, so Bernd Stadlwieser, Chef der MCH Group.

"Berghaineske" Verkleidungen

Christian Y. Schmidt in Schutzmontur aus Brille, Jacke, Handschuhen und Mundschutz
Geht nur in Schutzkleidung vor die Tür: Autor Christian SchmidtBild: Privat

In Peking lebt seit 2005 der deutsche Journalist und Autor Christian Y. Schmidt, zusammen mit seiner chinesischen Frau. Von 1989 bis 1995 war er Redakteur der Satire-Zeitschrift "Titanic". Seit Wochen führt er ein Corona-Tagebuch für die deutsche Wochenzeitung "Der Freitag". Schmidt und seine Ehefrau verlassen die Wohnung nur noch mit Maske, Handschuhen und Brille. Schmidt nennt dieses Outfit "berghainesk" - in Anspielung an den berühmten Berliner Techno-Club "Berghain". "Der einzige Ort, wo man hier Leute trifft", sagt Schmidt, "sind die Supermärkte." Alle Kulturveranstaltungen seien abgeblasen, die Theater und Museen geschlossen. Sogar die Kinopremieren, die sonst zum chinesischen Neujahr stattfinden, fielen aus.

"Waiting in Beijing" hieß kurioserweise ein Film, in dem vor Jahren Volker Helfrich mitgespielt hat. Der aus Kaiserslautern stammende Schauspieler steht seit 2006 in China vor der Kamera, hat viele populäre TV-Serien gedreht. "Das ist staatliche Unterhaltung", sagt er, "in etwa so realitätsnah wie ein deutscher Tatort." Die aktuelle Corona-Krise sei freilich noch nicht thematisiert worden, so Helfrich, vermutlich, weil sie noch nicht ausgestanden sei - "anders als SARS und die Schweinegrippe", die vor Jahren ebenfalls in China wüteten. Helfrich will zurück nach Deutschland, was aber weniger mit der Epidemie zu tun hat. "14 Jahre China sind genug!"

Schwarz-weiß Porträt der Kuratorin Dan Xu.
Macht sich Sorgen um ihre Familie in China: die Kuratorin Dan XuBild: Daniel Biskup

Weit besorgter über die Lage in China ist Dan Xu, schon weil ihre Familie in Peking und in Shanghai lebt. Die junge Kunsthistorikerin kam als Kind nach Deutschland. In Bonn studierte sie Kunstgeschichte. Seit 2014 arbeitet sie als China-Expertin und Kuratorin bei der Bonner Stiftung Kunst und Kultur. Spätestens seit dem Aufsehen erregenden Ausstellungsprojekt "China 8" von 2015, der bis dahin größten musealen Schau zeitgenössischer Kunst aus China, ist sie im Reich der Mitte auch in Kunstkreisen gut vernetzt. "Die Corona-Epidemie ist dort natürlich ein großes Thema", weiß sie aus ihren "WeChat"-Kontakten mit Freunden und Kollegen, "90 Prozent aller Posts drehen sich um das Virus."

Web-Witze über die Corona-Krise

In Internet-Chats, so berichtet Schmidt, kursierten derzeit viele Witze: "Wegen der Infektionsgefahr fragen dich die Behörden, wohin du in den letzten Wochen gereist bist. Dazu hat jemand diese Grafik gepostet: 'Meine letzte Reiseroute? Wohnzimmer, Schlafzimmer, Toilette, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Toilette, Küche - Rundreise!'"

Längst hat die Corona-Krise Folgen für das internationale Kulturgeschehen: China schraubte inzwischen seine Beteiligung an der Berlinale, den 70. Internationalen Filmfestspielen Berlin herunter. Das für den 19. Februar in Berlin geplante Neujahrskonzert "National Treasures" der chinesischen Nationaloper wurde abgesagt. Musiker und Darsteller dürfen wegen der Corona-Krise nicht ausreisen. Die Zahl der Corona-Toten in Festland-China ist mittlerweile vierstellig - nach offiziellen Angaben. Die Zahl der neu nachgewiesenen Erkrankungen stieg auf über 40.000 Fälle.

Zwei Frauen mit Mickey-Mouse-Kappe vor dem Disneyland in Shanghai.
Wegen Corona geschlossen: Das Disneyland in ShanghaiBild: Reuters/Aly Song

Unterdessen ist wegen des grassierenden Corona-Virus der Kulturtourismus in China weitgehend zum Erliegen gekommen. Pekings Verbotene Stadt, durch die sich gewöhnlich die Touristenmassen schieben, wurde geschlossen. Der Kaiserpalast, errichtet um 1420, gilt als architektonisches Meisterwerk und ist seit 1987 Weltkulturerbe der UNESCO. Zunächst Sitz der Ming-Dynastie, später der Qing-Dynastie, wohnten darin Kaiser und Hofstaat. Ähnlich menschenleer wirkt es heute, in Zeiten des Corona-Virus. Wie zum Beleg ging das Foto eines einsamen Touristen um die Welt, der sich - Maske tragend - mit seinem Handy selbst fotografierte.

Eine Parade lustiger Maskottchen säumt den Zugang zum National Exhibition and Convention Center im Westen Shanghais. Doch die Fröhlichkeit trügt: Die Corona-Epidemie fordert täglich neue Opfer, die Zahlen steigen ungebremst. Seit der Neujahrssaison gelten deshalb strikte Reiseauflagen. Noch 2018 erwirtschaftete Chinas Tourismusindustrie einen Umsatz von 900 Milliarden Dollar, was nach Angaben der Zeitung "Handelsblatt" elf Prozent zum Wachstum der Gesamtwirtschaft beitrug. 149 Millionen Chinesen reisten über die Grenze, 63 Millionen Touristen kamen ins Land.

In diesem Jahr droht ein Desaster. Quarantäne und Reiseauflagen ließen die Reisewelle zum chinesischen Neujahrsfest abrupt einbrechen. Während der letztjährigen Feiertagswoche habe die Branche noch 78 Milliarden Dollar umgesetzt, rechnet das Handelsblatt vor, 8,2 Prozent mehr als 2018. Gut sechs Millionen Chinesen reisten ins Ausland.

Beliebte Attraktionen sind geschlossen

Dieser Boom ist erst einmal Geschichte. Besonders bitter: Im Kampf gegen das Coronavirus machen Chinas Behörden auch vor Touristenattraktionen und historischen Stätten nicht mehr Halt. Disneyland in Shanghai etwa steht still. Gesperrt wurden Teile der Chinesischen Mauer, eigentlich Symbol der Stärke des Landes. Betroffen sei der bei Touristen so beliebte Mauerabschnitt Badaling im Norden von Peking, melden chinesische Medien, ebenso die berühmten Ming-Gräber und die Yinshan-Pagode. Wieder ist es ein Pressefoto, das ein ungewöhnliches Bild zeichnet: Es zeigt eine Frau mit Atemmaske auf der Chinesischen Mauer.

Die chinesische Künstlerin Huangmin steht vor einem ihrer Kunstwerke.
Hofft auf eine Ausstellung im Juni: die Pekinger Künstlerin Huang MinBild: Huangmin

In Pekings Osten, abseits der kaiserlichen Paläste und Tempel, liegt das Künstlerviertel 798. Kleine Handwerksläden säumen die Straßen. Galerien zeigen Ausstellungen auf einem ehemaligen Fabrikgelände. In diesem Viertel, auch bekannt als Dashanzi, zeigen einige der angesagtesten Künstler der Volksrepublik zeitgenössische Kunst und Multimedia-Installationen - von Fotografie und Videoaufnahmen bis hin zu Bildern und Skulpturen.

Auch Huang Min, die in Deutschland bis zuletzt von der Berliner Galerie Michael Schultz vertreten wurde, plant hier im Juli ihre nächste Einzelausstellung. "Ich hoffe, dass das Leben bis dahin wieder normal funktioniert", sagt die Malerin, die sich zurzeit gezwungenermaßen noch im Elternhaus ihrer Mannes in der Hafenstadt Qingdao aufhält. "Momentan steht hier das gesamte Leben still, als hätte jemand eine Pausentaste gedrückt!"