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PolitikAsien

China-Berichterstattung: DW-Reporter geehrt

6. Mai 2021

In China wird der Rechtsstaat zurückgefahren, in Hongkong die Rechtsstaatlichkeit ausgehebelt. DW-Reporter berichteten darüber und werden jetzt ausgezeichnet.

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Flagge von China mit Stacheldraht
Bild: picture-alliance/dpa/K. Ohlenschläger

Wang Quanzhang ist Rechtsanwalt. Viereinhalb Jahre saß er im Gefängnis. Weil er seine Arbeit gemacht hat. Es spricht Bände über den Stand der Rechtsstaatlichkeit in China, dass Anwälte selbst verfolgt werden, weil sie sich für andere Verfolgte einsetzen.

Wang Quanzang ist kein Einzelfall. In einer landesweiten Aktion hatten chinesische Behörden im Sommer 2015 über 200 Rechtsanwälte und Oppositionelle verhaftet. Drei Jahre lang wusste seine Frau Li Wenzu nichts über Wangs Verbleib, der gemeinsame Sohn wuchs ohne den Vater auf. Die Sorgen um ihren Mann haben Li Wenzu nicht gebrochen. Sie wurde selbst zur Aktivistin.

Langzeitbegleitung der "Frau des Dissidenten"

Vier Jahre hat DW-China-Korrespondent Mathias Bölinger diese mutige Frau bei ihrem Kampf begleitet. Aus vielen Begegnungen und Nahaufnahmen entstand ein so eindrückliches Portrait der "Frau des Dissidenten", wie die Reportage heißt, dass es jetzt mit einem der Hongkonger Human Rights Press Awards geehrt wird. "Ein intimes und gut umgesetztes Profil, das das Herz von Chinas Rechtssystem trifft", begründen die Juroren die Auszeichnung in der Kategorie Video-Dokumentation.

Die Frau des chinesischen Dissidenten

Vergeben wird der prestigeträchtige Preis vom Foreign Correspondents' Club Hongkong, Amnesty International und der Hong Kong Journalists Association, seit einem Vierteljahrhundert. Erklärtes Ziel der Organisatoren: "Den Respekt für die Grundrechte der Menschen zu erhöhen und die Aufmerksamkeit auf Bedrohungen dieser Freiheiten zu lenken", wie es auf der Webseite des Awards heißt.

Chinas Roll-Back hat Konsequenzen für Journalisten

Das ist in China dringend nötig. Vor knapp einem Jahrzehnt wurde Xi Jinping als Staats- und Parteichef mächtigster Mann der Volksrepublik. Seither wurden die vorsichtigen Schritte Richtung Freiheit und Rechtsstaatlichkeit der Vorgängerregierung sukzessive rückgängig gemacht.

Der Wind der Repression wehrt auch Mathias Bölinger bei seiner Arbeit ins Gesicht. Der DW-Reporter berichtet von Behinderungen bei der Arbeit, von "Leuten, die meinen Weg blockieren, mich verfolgen, meine geplanten Interviews dadurch torpedieren, dass sie die Leute unter Druck setzen, mit denen ich sprechen wollte." Der 44-Jährige wurde auch schon von "wildfremden Leuten unterm Arm gepackt und in irgendwelche Räumlichkeiten geschleift, wo die Polizei mich alles löschen ließ, was ich gerade aufgenommen hatte".

China | DW-Korrespondenten Mathias Bölinger in Peking
Mathias Bölinger: Die Arbeitsbedingungen für Journalisten in China werden immer schwierigerBild: DW

Auch bei seinen Begegnungen mit Li Wenzu waren die Beamten der Staatssicherheit nicht fern, hinderten ihn aber nicht an seiner Arbeit. Bölingers Reportage zeigt, wie die Staatsicherheit Li Wenzu manchmal geradezu belagert und sie sogar daran hindert, beim Prozess gegen ihren Mann als Zuschauerin dabei zu sein. 

Nähe zu der Protagonistin dank der Sprache

Bölinger spricht fließend chinesisch. Ohne auf einen Übersetzer angewiesen zu sein, kommt er Li Wenzu und ihrer Familie sehr nahe. Bölinger wird Zeuge, wie sich die Frauen verhafteter Anwälte vernetzen und kreative Protestformen entwickeln – zum Beispiel das kollektive Rasieren ihrer Köpfe. Und er zeichnet behutsam nach, welche Auswirkungen zuerst das Verschwinden und dann die Haft von Wang Quanzhang auf dessen kleinen Sohn haben.

Menschenrechtsanwalt Wang Quanzhang und Li Wenzu
Wang Quanzhang, Li Wenzu und ihr Sohn Anfang 2015, kurz vor Wangs VerhaftungBild: picture-alliance/dpa/W. Quanxiu

Bölinger begegnet der Familie auch nach der Entlassung Wangs aus der Haft. Der 45-jährige Anwalt gibt sich unbeugsam. Er will gegen seine Haftstrafe und den Entzug seiner Anwaltslizenz klagen. Aber eins schmerzt ihn: die Entfremdung von seinem kleinen Sohn.

Hongkong: Ein Land, ein System?

Unter physischen und körperlichen Schmerzen, unter den Folgen von Schussverletzungen leiden die Protagonisten in einer Reportage von DW-Hongkong-Korrespondentin Phoebe Kong. Die 31-Jährige stellt Chi Kin und Chow Pak Kwan vor. Die beiden jungen Männer hatten an den Demokratie-Protesten in Hongkong teilgenommen.

Auf beide hatte die Polizei geschossen, ohne Vorwarnung. Bei Chi Kin hat die Kugel das Herz knapp verfehlt; bei Chow Pak Kwan wurden die Wirbelsäule und innere Organe verletzt. Aber wie Phoebe Kong zeigt: Keiner der Polizisten wurde zur Verantwortung gezogen. Stattdessen müssen sich die beiden Demonstranten auf eine Gerichtsverhandlung vorbereiten. Ihnen drohen bis zu sieben Jahren Haft.

Für ihre eindringliche Schilderung erhält auch Kong einen Human Rights Video Award, in der Kategorie "Short video" in Chinesisch. Phoebe Kong berichtet im DW-Interview, dass sich ihre Protagonisten seit ihren Verletzungen bei den Protesten 2019 bedeckt gehalten hätten. Für keinen der beiden sei es leicht gewesen, seine Traumata vor der Kamera zu teilen. Keiner von ihnen hätte das zuvor getan. Nur dank einiger gut vernetzter Quellen war es Kong überhaupt gelungen, die Interviews zu arrangieren.

DW-Korrespondentin Phoebe Kong bei Protesten in Hongkong
DW-Korrespondentin Phoebe Kong bei der Arbeit in HongkongBild: privat

Der lange Schatten des "Sicherheitsgesetzes"

Insgesamt beobachtet Kong, dass es seit Inkrafttreten des sogenannten Sicherheitsgesetzes im letzten Juni immer schwieriger wird, Interviewpartner zu finden.  "Die Leute sind über die möglichen Konsequenzen besorgt, wenn sie sich äußern, selbst Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die früher sehr laut waren", beschreibt sie den abschreckenden Effekt. 

Kongs Video veranschaulicht wie unter einem Brennglas, wie Hongkong Schritt für Schritt in das chinesische Staats- und Rechtssystem eingegliedert wird und die Repression zunimmt. Großbritannien und China hatten vor der Rückgabe Hongkongs eine 50-jährige Übergangsphase unter dem Motto "Ein Land, zwei Systeme" vereinbart. Noch über ein Vierteljahrhundert, bis 2047, sollten in Hongkong weiterhin die alten Freiheiten und das britische Rechtssystem gelten.

Hongkong Festnahme Medienunternehmer Jimmy Lai. Polizosten unterwegs im Verlagsgebäude
Knapp zwei Wochen nach Inkrafttreten des Sicherheitsgesetzes: Polizisten vor der Verhaftung des Verlegers Jimmy LaiBild: picture-alliance/AP Photo/Apple Daily

Mit dem Human Rights Press Award für ihre Arbeit hofft Phoebe Kong auf ein wachsendes Bewusstsein für die Protagonisten und ihr Anliegen: die Verteidigung der Freiheit in Hongkong. Kongs Fazit: "Auch wenn die Straßenproteste beendet sind, ist Hongkong noch lange nicht am Ende seines Kampfes."

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein