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Konflikte

"China Cables" belegen Verfolgung von Uiguren

25. November 2019

China hat in der Autonomieregion Xinjiang nach Angaben internationaler Journalisten einen riesigen Unterdrückungsapparat etabliert. Interne Dokumente zeigen, wie die massenhafte Internierung von Uiguren organisiert wird.

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China und die Uiguren
Ein Polizeieinsatz gegen Demonstranten in Ürümqi, der Hauptstadt von XinjiangBild: picture-alliance/dpa/O. Weiken

Als geheim eingestufte Unterlagen aus dem Inneren der Chinesischen Kommunistischen Partei offenbaren erstmals im Detail, wie religiöse Minderheiten im Nordwesten Chinas verfolgt und insbesondere die Uiguren in Massenlagern interniert werden. Die "China Cables" genannten Papiere wurden vom Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) veröffentlicht. Sie zeigen, dass die von Peking als "Weiterbildungseinrichtungen" in der autonomen Region Xinjiang bezeichneten Lager in Wirklichkeit abgeschottete, streng bewachte Umerziehungslager sind. Die Dokumente widerlegen Aussagen der Regierung, wonach der Aufenthalt in den Lagern freiwillig sei. In der Regel werden Insassen demnach mindestens ein Jahr darin inhaftiert. Nach Schätzungen von Experten werden mehr als eine Million Menschen in solchen Lagern und weitgehend ohne Gerichtsprozesse festgehalten. Betroffen sind vor allem Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren.

Die Dokumente aus den Jahren 2017 und 2018 wurden dem Konsortium von Exil-Uiguren zugespielt. Weltweit haben mehr als 75 Journalisten von 17 Medienpartnern die Papiere ausgewertet, darunter NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung". Mehrere sind vom damaligen Vize-Parteichef in Xinjiang, Zhu Hailun, unterzeichnet.

In China leben schätzungsweise zehn Millionen Uiguren, die meisten davon in Xinjiang. Die zumeist islamisch lebenden Uiguren sind ethnisch mit den Türken verwandt und fühlen sich von den herrschenden Han-Chinesen wirtschaftlich, politisch und kulturell unterdrückt. Nach ihrer Machtübernahme 1949 hatten die Kommunisten das frühere Ostturkestan China einverleibt. Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor.

China Uiguren in der Provinz Xinjiang
Uiguren auf dem Weg zum Eid al-Fitr-Gebet in der Id Kah Moschee in Kashgar Bild: AFP/G. Baker

Diverse Dokumente der Unterdrückung

Zu den "China Cables" gehören eine Anleitung zum Betrieb von Lagern, vier Bekanntmachungen zu einer Überwachungsdatenbank sowie das Urteil gegen einen Uiguren. Auf Anfrage der "Süddeutschen Zeitung" verwies die chinesische Botschaft in Berlin auf Verlautbarungen, wonach es sich bei den Lagern um Maßnahmen zur "Terrorbekämpfung und Entradikalisierung sowie zur beruflichen Aus- und Weiterbildung" handele.

Zu den Papieren gehört eine "Stellungnahme zur weiteren Verstärkung und Standardisierung von Erziehungs- und Ausbildungszentren für berufliche Fertigkeiten" der Rechtskommission von Xinjiang von 2018, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Mehr als zwei Dutzend Regeln für den Betrieb der Lager seien aufgelistet. Alle Zimmer und Gänge müssten streng abgesperrt werden. Auch werde dargelegt, wie die Internierten beim Toilettengang, Schlafen und Unterricht zu überwachen seien, berichtete der NDR. Auch von Züchtigung sei die Rede. Mit einem Punktesystem würden die Inhaftierten bewertet.

China | Muslime | Umerziehungslager
Ein mutmaßliches Internierungslager in Hotan in der autonomen Region Xinjiang (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/G. Baker

Bespitzelung im Ausland

Aus den "China Cables" geht demnach hervor, dass die Behörden in einer einzigen Woche im Juni 2017 insgesamt 15.638 Uiguren festgenommen und in Lager gesteckt hätten. Die Papiere belegen den Angaben zufolge, dass China auch im Ausland Uiguren überwache und bespitzele. Konsulate und Botschaften sammelten hierfür Informationen. Wenn Verdächtigte nach China einreisen, würden sie interniert.

Den Dokumenten zufolge betreiben die Behörden eine Überwachungsdatenbank, in die Informationen aus Verhören, Überwachungssoftware und Daten der vielen Überwachungskameras in Xinjiang einfließen. Um die Datenbank weiter zu füllen, werden laut NDR nicht nur Ausweise und Reisen erfasst, sondern auch Mitarbeiter in Dörfer und zu Familien geschickt, um herauszufinden, wie die Menschen über die Partei denken. Einwohner sollen dabei in "Gefahrenkategorien" eingeteilt werden.

Adrian Zenz, AWM gGmbH, ehemals Akademie für Weltmission
Klare Worte vom China-Experten Adrian Zenz (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/Keystone/M. Trezzini

"Kultureller Genozid"

Der Wissenschaftler Adrian Zenz, der als einer der weltweit führenden Experten für die Situation in Xinjiang gilt, konnte die "China Cables" überprüfen. Für ihn belegen sie "im Detail, dass die Regierung seit 2017 eine Massenkampagne der Umerziehung in dieser Region durchführt, unter dem Namen der Berufsbildung". Zugleich, so der Experte, "geben die Dokumente aber auch eine schockierende Gewissheit, dass das Ganze eine systematische und vor allem eine geheime Kampagne ist". Zenz spricht von einer "systematischen Internierung einer ganzen ethno-religiösen Minderheit", die vom Ausmaß her "vermutlich die größte seit dem Holocaust" sei. "Kultureller Genozid" sei wahrscheinlich die beste Formulierung für das, was man dort sehe.

Zuletzt hatte die "New York Times" über weitere Dokumente der chinesischen Kommunistischen Partei berichtet, in denen vor allem die politische Grundlage der Repressionspolitik gegenüber religiösen Minderheiten in China thematisiert wurde. Demnach soll das harte Vorgehen gegen Muslime von Präsident Xi Jinping persönlich angeordnet worden sein. Dabei solle "keine Gnade" gezeigt werden, zitiert die Zeitung eine Rede des Staatschefs aus dem Jahr 2014.

Uiguren-Vertreter verlangt Sanktionen

Nach der Publikation in der "New York Times" forderte der Präsident des uigurischen Weltkongresses, Dolkun Isa, internationale Sanktionen gegen die Volksrepublik. "China muss zur Verantwortung und Rechenschaft gezogen werden", sagte er der Zeitung "Die Welt". Er forderte die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf. "Es reicht nicht, das Handeln Chinas gegenüber den Uiguren nur zu verurteilen", mahnte der Aktivist. "So viele deutsche Firmen machen weiter Geschäfte mit China. Deutschland sollte ernsthaft Sanktionen gegen China in Erwägung ziehen." Wegen des Vorgehens Chinas in Xinjiang haben die USA unlängst 28 chinesische Unternehmen und Regierungsorganisationen auf eine schwarze Liste gesetzt.

Isa bezeichnete die Umerziehungslager, deren Existenz Peking stets bestritten haben, als "Konzentrationslager". Die Rechte der muslimischen Minderheit würden seit Jahren verletzt, sagte Isa. Seit dem Amtsantritt von Präsident Xi 2013 habe sich ihre Lage jedoch "extrem verschlechtert".

Zentralrat der Muslime: ethnische Säuberung

Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Abdassamad El Yazidi, spricht von einer "unglaublichen" ethnischen Säuberung. "Die ChinaCables offenbaren ein System von Menschenrechtsverletzungen unglaublichen Ausmaßes, das die internationale Weltgemeinschaft und die Bundesregierung nicht ignorieren dürfen", sagte Yazidi der Deutschen Welle. "Wirtschaftliche Interessen dürfen niemals Menschenrechte überdecken."

kle/sti (dpa, ape, afpe, rtre, epd, tagesschau.de)