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China - der wankende Riese

Klaudia Prevezanos26. Februar 2004

Auf China und seiner Wirtschaft ruhen große Erwartungen - die Weltkonjunktur braucht Antrieb. Doch das Riesenreich hat einige alte und neue Probleme, die an einem anhaltenden Wirtschaftswachstum zweifeln lassen.

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Die meisten Chinesen leben noch immer auf dem LandBild: AP

China ist cool. Und China ist die Hoffnung der Weltwirtschaft. 1,3 Milliarden Menschen in der Volksrepublik sollen die globale Konjunktur mit ihrer steigenden Kaufkraft und billigen Arbeitskraft antreiben. Die Zahlen und Potenziale aus China sind nicht zu ignorieren: Mehr als neun Prozent Wirtschaftswachstum konnte das kommunistisch regierte Land 2003 vorweisen. Absolut sind das 1,4 Billionen US-Dollar. Und so soll es erstmal weitergehen. Das chinesische Importplus lag im vergangenen Jahr bei stattlichen 40 Prozent, das des Exports bei 35 Prozent. Und bei Kupfer, Zinn, Zink, Platin, Stahl und anderen wichtigen Rohstoffen ist das Land der größte Verbraucher weltweit.

Alte und neue Probleme

Bank of China in Beijing
Bank of China in PekingBild: AP

Doch bei aller Begeisterung gibt es in dem hochgejubelten Riesenreich auch Probleme, die die Wirtschaft in echte Schwierigkeiten bringen können. Die Einkommensunterschiede zwischen Stadt und Land sowie das soziale Gefälle werden weiter zunehmen. Noch liegt das Durchschnittseinkommen in China bei 1000 US-Dollar pro Jahr. Doch die Auslandsinvestitionen von mehr als 50 Milliarden Dollar pro Jahr flossen bislang nur zu knapp vier Prozent in die armen Westprovinzen. Der Löwenanteil ging in die industrialisierte Küstenregion. Und auch die bestehende Arbeitslosigkeit, für die die Regierung keine verlässlichen Zahlen herausgibt, wird noch zunehmen, wenn marode Staatsbetriebe zumachen. Bis 2006 sollen dadurch drei Millionen Arbeiter ihre Jobs verlieren.

Ein altes Problem Chinas ist auch dessen Währungspolitik: Durch die feste Bindung der eigenen Währung Yuan an den Dollar sind durch die Schwäche der US-Währung und die hohen Investitionen wahre Devisenfluten nach China gespült worden. Dieses ausländische Geld muss die chinesische Regierung aufkaufen, da Dollar im Land nicht frei handelbar sind. Dazu braucht sie Yuan, die dafür frisch gedruckt werden, und die Geldmenge unnötig erhöhen.

Überhitzung droht

Stahlproduktion in China
Stahlproduktion in ChinaBild: AP

Ein neues Problem für die Wirtschaft in der Volksrepublik ist eine drohende "Überhitzung". Mitte Februar 2004 hatte sogar Premierminister Wen Jiabao in Peking von einem "blinden Investment" in Branchen wie Zement, Stahl oder Immobilien gesprochen, das zu Überkapazitäten führt. "Schwächt sich das Wachstum in China ab, kann es zu einem Investitionseinbruch kommen. Die Unternehmen werden dann auf diese Überkapazitäten zurückgreifen, statt neues Geld auszugeben", sagt Christian Jasperneite, Volkswirt der Privatbank M.M. Warburg in Hamburg.

Auch die chinesische Kreditpolitik kann zu einem ernsthaften Problem werden. Vier staatliche Banken (Industrial and Commercial Bank of China, Bank of China, China Construction Bank und die Agricultural Bank of China), die zusammen mehr als die Hälfte des chinesischen Bankmarktes bestimmen, haben zu viele faule Kredite vergeben, die vermutlich nie zurückgezahlt werden. In den vergangenen fünf Jahren musste die Regierung in Peking fast 200 Milliarden Dollar bereitstellen, um die Kapitaldecke dieser Geldinstitute aufzubessern.

Bisher hat nach Ansicht von Volkswirten dieses System der Staatsbanken funktioniert, weil es staatlich beeinflusst wird. Das wirke stabilisierend, solange der Staat das Geld für die Unterstützung hat. Doch die Situation könnte sich ändern, wenn das Wachstum "Made in China" nachlässt. "Dann können aus 25 Prozent Not leidender Kredite schnell 35 Prozent oder mehr werden", sagt Jasperneite von M.M. Warburg.

Faktorproduktivität von Null

Die positive Konjunkturentwicklung stellen Ökonomen auf lange Sicht jedoch in Frage. "Das Wachstum in China ist für die nächsten fünf bis zehn Jahre nicht nachhaltig", meint auch Jasperneite. Hohe Investitionen und starker Ressourceneinsatz alleine reichen seiner Meinung nach nicht aus, um das Niveau zu halten. Was China fehle, sei eine effiziente Produktivität. Wirtschaftswissenschaftlich heißt das totale Faktorproduktivität und meint die Summe der Arbeits- und Kapitalproduktivität. Ein sinnvoller Einsatz von Geld und Arbeitskraft ist nach Meinung von Wirtschaftswissenschaftlern jedoch genau das, was China fehlt. Der US-Ökonom Paul Krugman schätzt die totale Faktorproduktivität Chinas bei Null. Was bedeutet, dass deren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) null Prozent beträgt. Ein guter Wert wären zwei Prozent.

Doch noch gilt China insgesamt als wenig entwickelte Lowtech-Wirtschaft - trotz aller Fortschritte in der industriellen Küstenregion. Drei Viertel der Bevölkerung leben noch immer auf dem Land. Ob China die Produktivität seiner Wirtschaftsfaktoren langfristig steigern kann, hängt sehr stark vom Bildungsniveau ab. Es ist aber auch ein struktureller Prozess, der Jahre dauern kann. "Ich frage mich, wie China den Wechsel von seinen Agrarstrukturen hin zu einer Industrienation in den nächsten fünf bis zehn Jahren schaffen will", sagt dazu Volkswirt Jasperneite. Skepsis bei dem Riesenprojekt des Riesenreiches ist angebracht.