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PolitikChina

China fordert die USA in Lateinamerika heraus

Mu Cui
5. April 2023

Chinas Einfluss in Lateinamerika nimmt zu. Eine neue Situation für die etablierte Großmacht USA. Aber steckt dahinter eine gezielte Strategie Pekings?

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China «erobert» Lateinamerika | Xi Jinping in Panama
Bild: Arnulfo Franco/AP/picture alliance

Das Geschäft mit Lateinamerika boomt. Um elf Prozent auf etwa 437 Milliarden Euro ist der Handel zwischen China und Mittel- sowie Südamerika 2022 gestiegen, so die amtliche Statistik Chinas. Peking ist damit der zweitgrößte Handelspartner direkt hinter den USA. Bei den größten Volkswirtschaften in der Region wie Brasilien, Chile und Peru führt China bereits heute unangefochten in der Außenhandelsbilanz.

Analysten rechnen mit einer Fortsetzung dieser Entwicklung. Das Handelsvolumen zwischen China und Lateinamerika wird sich nach Einschätzung der deutschen Außenhandelsförderungsgesellschaft Germany Trade & Invest (GTAI) in den nächsten zehn Jahren verdoppeln. "Wenn sie in den lateinamerikanischen Ländern unterwegs sind, dann finden sie viele Kunden, die die chinesischen Produkte schätzen, weil sie preiswert sind und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis haben", sagt Stefanie Schmitt, GTAI-Direktorin in Chile. "Viele leben hier am Rande der Armutsgrenze. Preiswerte Produkte aus China können sie sich leisten, Handys und Autos."

Unausgewogener Außenhandel

Im Gegenzug liefert Lateinamerika vor allem Rohstoffe nach China. Eisen, Aluminium, Zinn, um einige zu nennen. Lateinamerika ist für China also doppelt interessant: als Absatzmarkt und als Rohstofflieferant. Das bestätigt auch Jiang Shixue, Professor am Institut für Lateinamerika-Studien der Shanghai Universität, im schriftlichen Austausch mit der DW.

Allerdings ist das Geschäft in einigen Fällen sehr unausgewogen. Das rohstoffreiche Chile etwa erzielte 2021 rund einen 10-Milliarden-Dollar-Exportüberschuss mit China. "Kupfer ist das wichtigste Exportgut für Chile, das gilt auch dem Handel mit China", sagt Handelsexpertin Schmitt. Auch die Süßkirschen aus den Anden sind bei chinesischen Konsumenten sehr beliebt. Allein aus Chile importierte China 2021 für 1,4 Milliarden US-Dollar die saftige Steinfrucht.

Begehrte Bodenschätze

Allerdings ist das Andenland mit gerade einmal 19 Millionen Einwohnern aus Sicht der chinesischen Wirtschaft als Absatzmarkt nicht wirklich groß. Chile importierte 2021 lediglich für 1,3 Milliarden Dollar chinesische Autos. "Ein sehr asymmetrisches Marktverhältnis", resümiert Schmitt.

Ein Laster transportiert lithiumhaltiges Salz ab
In China heiß begehrt: Lithium aus Bolivien, Chile und ArgentinienBild: MARTIN BERNETTI/AFP

Chinas geschäftliche Interessen, so Schmitt, basiere vor allem auf dem Zukauf von Bodenschätzen. "Nehmen wir Lithium als Beispiel, das hier in Lateinamerika reichlich vorkommt. Die Chinesen kaufen hier Lithium und sind dann wieder weg. Aber für die Länder hier wäre es natürlich besser, wenn sie nicht nur landwirtschaftliche Produkte oder Rohstoffe wie Lithium verkauften, sondern wenn sie auch Lithium-Batterien fertigen und sie als höherwertigeres Produkt exportieren könnten."

Neuer Kurs?

Der argentinische Präsident Alberto Fernández will deswegen einen neuen außenwirtschaftlichen Kurs einschlagen, berichtet die Zeitung "Clarin" aus Buenos Aires. Demnach soll Fernández am Rande der Eröffnungsfeier bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking an die chinesische Führung appelliert haben, die "sehr ungleiche Handelsbilanz auszugleichen, von der bislang nur China profitiert."

Das sieht der chinesische Experte Jiang anders: "Die Lateinamerikaner beschweren sich, dass China nur Rohstoffe kauft. Das ist aber nicht richtig." Im Handel mit den bevölkerungsreichen Ländern der Region wie etwa Mexiko, Kolumbien und Argentinien erziele China nur deshalb einen Handelsüberschuss, weil die Konsummärkte größer und die Produktionskapazität im Inland gering sind. "Die Länder in Lateinamerika müssen ihre eigene Produktionskapazität aufbauen und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken, um den Export, unter anderem den nach China, anzukurbeln", sagt Jiang. Eine Umstellung würde allerdings Jahre benötigen. Auf absehbare Zeit wird das Ungleichgewicht also bestehen bleiben.

Chinas Einfluss nimmt zu

Neben dem Handel intensiviert China auch seine Beteiligung an Infrastrukturprojekten in der Region. Staatliche Kreditinstitute oder private Großkonzerne aus China investieren in brasilianische Containerhäfen, argentinische Atomkraftwerke oder das chilenische Stromnetz. Mit dabei sind chinesische Unternehmen wie der im Westen umstrittene Telekommunikationsriese Huawei, der seit vielen Jahren der Hauptlieferant für 4G- und 5G-Netzwerk etwa in Brasilien ist. 

Xi Jinping beim Nationalen Volkskongress 2023
Gibt Xi Jinping einen Lateinamerika-Kurs vor?Bild: kyodo/dpa/picture alliance

Außerdem haben Chinas Institutionen und Forschungseinrichtungen in den vergangenen Jahren zahlreiche politische, wirtschaftliche und akademische Führungspersönlichkeiten aus Lateinamerika zu bezahlten Studienreisen und Konferenzen nach China eingeladen. Auch das trägt zum chinesischen Einfluss in der Region bei.

Hat China eine LA-Strategie?

China ist also vielen Ebenen in Lateinamerika aktiv. Stellt sich die Frage: Steckt dahinter eine Lateinamerika Strategie?

Aus Sicht des Shanghaier Lateinamerika-Experte Jiang Shixue eher nicht. Lateinamerika, sagt er, stehe nicht im Mittelpunkt der chinesischen Außenpolitik. "In China gibt es nicht so viele Lateinamerika-Experten. Die Region erfährt ziemlich wenig Aufmerksamkeit in China", stellt Jiang fest. Dass sich Chinas Einfluss rasant vergrößert, ist auch auf anderen Kontinenten wie in Afrika oder in Europa der Fall und hat schlicht mit der zunehmenden Bedeutung der zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde zu tun.

Andere chinesische Politikwissenschaftler vertreten eine ähnlichen Meinung. So schrieb He Shuangrong, Lateinamerika-Experte des staatlichen Thinktanks "Akademie für Sozialwissenschaft Chinas", 2019 in einer Fachzeitschrift, dass China eine "langfristige Lateinamerika-Strategie" brauche. Es fehlt offensichtlich an einer. Allerdings fügte er hinzu, sei die strategische Bedeutung dieser Region für China nicht groß. 2022 schrieb Guo Jie, eine Politikwissenschaftlerin der Peking-Universität in der englischsprachigen chinesischen Tageszeitung "China Daily", dass Chinas Einfluss in der Region "noch deutlich kleiner als der der Traditionsmächte aus Nordamerika und Europa" sei. China wolle und könne amerikanische geopolitische Interesse in Lateinamerika "gar nicht gefährden."

Der chinesische Politikwissenschaftler Jiang Shixue sieht nur Vorteile im Ausbau der chinesisch-lateinamerikanischen Beziehungen. "Der Handel mit China begünstigt die Wirtschaft in der Region und die Globalisierung. Wenn Lateinamerika reicher wird, ist das auch gut für Länder wie die USA und Europa", erklärte er gegenüber DW.

Chinesischer Pragmatismus

Dennoch sorgen sich die USA und die EU zunehmend um Chinas Einfluss in der Region. Denn mit dem wirtschaftlichen Einfluss wächst auch der politische. Im letzten Jahr hat die ehemalige spanische Außenministerin und Beraterin der Weltbank Ana Palacio in einem Gastkommentar für das "Handelsblatt" vor einem Schwund des westlichen Einflusses in Lateinamerika gewarnt. Der zeige sich daran, dass sich viele Regierung dort nicht den westlichen Sanktionen gegen Russland angeschlossen hätten, wie China.

Arbeiter in einem Elektronikfabrik in China
Die Waren aus den chinesischen Fabriken sind in Lateinamerika wegen eines guten Preis-Leistungs-Verhältnisses durchaus begehrtBild: Kevin Frayer/Getty Images

Chinas schnell wachsender Einfluss in Lateinamerika führt Stefanie Schmitt von GTAI unter anderem auf Chinas pragmatische Vorgehensweise zurück. Dass der amerikanische bzw. europäische Einfluss in dieser Region langsam schwindet, sei teilweise auch ein hausgemachtes Problem, so Schmitt. Peking muss gar nicht viel tun. "Denn der Einfluss der USA auf diese Region war nicht immer positiv. Viele Länder wollen nicht gerne als Hinterhof der USA bezeichnet werden."

Wenn der Westen und Europa China aber ernsthaft etwas entgegensetzen wollten, müsste sie konkreter werden in der Zusammenarbeit mit Lateinamerika. "Es genügt eben nicht, nur über Umwelt- und Sozialstandards zu reden. Das sind schon wichtig Punkte, weil sie zu unseren Werten gehören. Aber besser ist es, wenn irgendwann ein Projekt konkretisiert wird. Sonst ist man zu spät", so Schmitt. China wartet nicht.