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Mo Yan spaltet China

Hao Gui12. Oktober 2012

Die Verleihung des Literaturnobelpreises an den oft als "systemtreu" kritisierten Schriftsteller Mo Yan hat in China unterschiedliche Reaktionen ausgelöst.

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Literaturnobelpreisgewinner Mo Yan (Foto: REUTERS/Peter Lyden/Scanpix)
Bild: Reuters

Der Vorgang war durchaus ungewöhnlich: Beim frisch gebackenen Literaturnobelpreisträger Mo Yan sei am Freitag (12.10.2012) ein Brief des Politbüro-Mitglieds Li Changchun eingegangen, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Darin bezeichnete Li den 57-Jährigen Mo als "exzellenten Vertreter der zahlreichen Schriftsteller, die auf dem chinesischen Nährboden langer Traditionen Fuß fassen und Ideen für ihre literarischen Werke chinesischen Stils schöpfen."

Mo sei der erste chinesische Bürger, der den Literaturnobelpreis erhält, hebt das Staatsfernsehen CCTV hervor. Zwar erhielt schon im Jahr 2000 der chinesischstämmige Schriftsteller Gao Xingjian ebenfalls den Preis, doch er war zur Zeit der Preisverleihung französischer Staatsbürger. Auch die frühere Vergabe des Friedensnobelpreises an den inhaftierten Bürgerrechtler und Autor Liu Xiaobo und das geistliche Oberhaupt der Tibeter, den Dalai Lama, stieß in China auf heftigste Kritik.

Mo Yan gibt chinesischen Medien Interviews (Foto:Reuters)
Chinas Staatsmedien feiern ihren neuen LiteraturnobelpreisträgerBild: Reuters

Mo selbst gab sich bescheiden und sagte, er sei vom Preis überrascht. Andere Schriftsteller in China und auch in anderen Ländern hätten ihn ebenfalls verdient. Er sehe sich weiterhin als bodenständigen Autor, der sich auch zukünftig mit chinesischen Themen beschäftigen möchte.

"Einer der größten Skandale"

Doch die Preisvergabe an Mo Yan löst trotz der Propaganda-Offensive der chinesischen Staatsmedien nicht bei allen Chinesen Begeisterung aus. Regimekritische Schriftsteller und Künstler sehen die Entscheidung mit größter Skepsis und Misstrauen.

Für den Autor und Menschenrechtsaktivisten Yu Jie ist die Preisvergabe "einer der größten Skandale" in der Geschichte des Nobelpreises. Mo habe als Mitglied der Kommunistischen Partei die in China bekannte Yanan-Rede von Mao Zedong 1942 transkribiert - Yanan war 1935 der Zielort von Maos berühmtem "Langem Marsch" - und damit weitgehend zu erkennen gegeben, "sich mit dem propagandistischen Grundsatz chinesischer Literatur und Kunst zu identifizieren", kritisiert Yu, der seit einem Jahr im amerikanischen Exil lebt. Mo sei zwar ein ausgezeichneter Schriftsteller der zeitgenössischen Literatur, viele andere seien aber besser.

Schriftsteller und Dissiden Yu Jie richtet seine Brille während eines Interviews (Foto: AP Photo/Ng Han Guan)
Schriftsteller und Dissident Yu JieBild: AP

Der berühmte Künstler Ai Weiwei schrieb über Twitter, dass ein Schriftsteller, der sich nicht der Realität stellt, ein Lügner sei. Der deutschen Tageszeitung "Die Welt" sagt Ai weiter, er akzeptiere das politische Verhalten von Mo nicht.

Der kommunistische Hintergrund Mos gibt auch seinem liberalen Berufskollegen Tie Liu Anlass zum Bedauern. Die Preisverleihung sei "eine Ermutigung für Schriftsteller innerhalb des kommunistischen Systems", so Tie Liu, der als "Rechtsabweichler" von 1957 bis 1980 eine geistige Umerziehung im Arbeitslager über sich ergehen lassen musste. Aus seiner Sicht seien Literatur und Politik niemals trennbar. Für den Literaturnobelpreis "sei dies sehr bedauerlich".

"Vielen Dank für die Kritik"

Auf die Stimmen der Regimekritiker hat Mo Yan in der Öffentlichkeit nicht reagiert. Zur kritischen Rezension seiner Werke im chinesischen Internet sagte er allgemein, dass er sowohl seinen Unterstützern als auch seinen Kritikern danke. Diese Debatte sei für ihn "eine einmalige Chance, sich selber zu verstehen" und zu begreifen, was er gut gemacht habe und was er nicht ausreichend gut gemacht habe. Dies stärke ihn in seiner Überzeugung, an seinem eigenen literarischen Stil festzuhalten. Der Literaturnobelpreis sei auf keinen Fall die höchste Literaturauszeichnung der Welt, sondern lediglich eine wichtige Auszeichnung.

Mo Yan-Stand auf der Frankfurter Buchmesse (Foto:Reuters)
Auf der Frankfurter Buchmesse wurden nach der Bekanntgabe des Preisträgers einige Stände umdekoriertBild: Reuters