Filmfestival Mannheim: China im Fokus
21. November 2011Das chinesische Kino ist immer wieder für Überraschungen gut. Im normalen Kinoalltag spielt es in Deutschland kaum eine Rolle. Auf Festivals rund um den Globus ist es dagegen seit Jahren ein gern gesehener und oft auch mit Preisen überschütteter Gast. Nicht selten kam es aber in den letzten Jahren auch immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen offiziellen Stellen in Peking und Festival-Veranstaltern. Filme mit direkten, den Staat offen anklagenden Aussagen, konnten so manches Mal nur mit viel diplomatischem Geschick ins Programm gehievt werden. Kritische Filme wurden aber auch gelegentlich von den offiziellen Behörden wieder zurückgezogen.
Der gute Blick des Festivals
China ist kein freies Land. Seine Kulturschaffenden haben es schwer. Das ist spätestens seit dem Fall Ai Weiwei wieder ins Bewusstsein gerückt. Umso überraschender, dass aus China doch immer wieder kritische Filme zu den europäischen Festivals gelangen und dort ohne viel Aufhebens in den Programmen laufen. Keine Überraschung hingegen ist es, dass das Festival Mannheim/Heidelberg ein paar dieser neuen chinesischen Filme ins Programm geholt hat. Auch in seiner 60. Jubiläumsausgabe ist sich Deutschlands zweitältestes Filmfestival seinem Motto treu geblieben: ausschließlich anspruchsvolle, künstlerisch hochstehende Filme aus Weltregionen zu zeigen, die nicht im Fokus des deutschen Kinoalltags stehen.
Da ist beispielsweise der Film "Nr. 89 in der Shimen Straße" von Haolun Shu. Der Regisseur hat sein Kinodebüt in der Zeit unmittelbar vor der historischen Niederschlagung der Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz angesiedelt. Der 16-Jährige Xiaoli wird gleich vor mehrere Entscheidungen gestellt: Wie stellt er sich zum Politik-Unterricht in der Schule? Soll er den offensichtlich falschen Aussagen über die zurückliegende Kulturrevolution von 1966 Glauben schenken? Wie stellt er sich zu den aktuellen Nachrichten über die Proteste auf dem Tiananmen-Platz?
Politisches und Privates
Hinzu kommen private Auseinandersetzungen. Was geschieht mit dem Nachbarmädchen, in das sich Xiaoli offensichtlich verliebt hat, dem aber nichts anderes im Kopf vorschwebt als westliche Errungenschaften wie Coca Cola und Pop-Musik? Ist da nicht die politisch orientierte Klassenkameradin die bessere Wahl, die Xiaoli allerdings zum Tiananmen-Platz locken will, um dort mitzuprotestieren? All das hat der junge Regisseur zu einem stimmungsvollen Film montiert - mit differenziertem Blick schaut er auf die jüngste Historie seines Landes, ohne Schaum vor dem Mund, aber mit klaren Aussagen.
Was in Haolun Shus Film am Rande thematisiert wird - der gewaltige Stadt-Land-Konflikt in China, die großen sozialen und intellektuellen Unterschiede zwischen den Menschen -, das rückt in "Wangliangs Traum von Glück" von Regisseur Xiongjie Gao ins Zentrum der Handlung. Hier ist es ein junges Paar in der südchinesischen Provinz, das von den unterschiedlichen Erwartungen und Träumen zerrieben wird. Der Mann ist Metzger mit eher traditionellem Weltbild und Werten. Seine Frau hingegen treibt es in die Stadt, wo sie sich Wohlstand und Unterhaltung verspricht. Beides zu leben, ist kaum möglich. Vor allem nicht in China, wo die Unterschiede zwischen den Mega-Citys mit ihren Wolkenkratzerskylines und dem rückständigen Leben auf dem Land gewaltig sind.
Der Blick des Fremden nach China
Auch der Beitrag "Ein Fremder" macht diesen gewaltigen Unterschied zum Thema. Zwar ist Regisseur Fabien Gaillard gebürtiger Franzose, doch lebt er schon viele Jahre in China, wo er nun auch seinen ersten Spielfilm gedreht hat. "Ein Fremder" erzählt die Geschichte eines französischen IT-Technikers in Shanghai, der durch die Bekanntschaft mit einer jungen Frau in deren Heimat nach Wuhan reist. Die riesige Stadt ist im Gegensatz zu Shanghai viel weniger "westlich" geprägt. Tradition trifft auf Moderne, das Fremde auf alte Werte. Gaillard hat seinen Film - mit Ausnahme der Hauptrolle - ausschließlich mit Chinesen besetzt, und so gibt auch dieser Film dem Zuschauer Gelegenheit, neue Facetten des Landes kennenzulernen.
Ein Chinese in Südamerika
Den umgekehrten Fall schildert der Argentinier Sebastian Borensztein in "Chinese zum Mitnehmen", einer köstlichen Globalisierungskomödie, die unter der unterhaltsamen Oberfläche viel Raum für Fragen nach Menschlichkeit und Nächstenliebe zulässt. Borensztein erzählt die Geschichte des bärbeißigen, introvertierten Eisenwarenhändlers Roberto in Buenos Aires.
Der ist froh, wenn er seine Ruhe und keine allzu aufdringlichen Kunden hat. Doch eines Tages begegnet er einem jungen Chinesen, der ohne jegliche Sprachkenntnis orientierungslos in Buenos Aires umherirrt, um dort seinen Onkel zu suchen. Zunächst höchst widerwillig nimmt Roberto den jungen Mann schließlich bei sich zu Hause auf. Wie sich Roberto dann ganz langsam öffnet, Vertrauen zu dem jungen Mann fasst, das hat Regisseur Borensztein mit umwerfendem, leisen Humor inszeniert. Dabei verzichtet er konsequent darauf, den Sprachenunterschied aufzulösen: der Zuschauer versteht nur soviel wie Roberto, das Chinesische bleibt unübersetzt, was zu herrlich grotesken Szenen führt. Eine Globalisierungskomödie vom Feinsten!
Das Festival als Begegnungsstätte
All diesen von den Programmmachern in Mannheim klug ausgewählten Filmen wäre ein Einsatz im regulären Kinoalltag zu wünschen. Dazu dürfte es allerdings nur in Ausnahmefällen kommen- zwischen Mainstream aus Hollywood und den Filmen bekannter europäischer Regisseure bleibt kaum Platz in den Lichtspielhäusern. Umso wichtiger ist, dass solche Filme auf Festivals gezeigt werden. Nur so erfährt der Zuschauer in Deutschland beispielsweise, dass es in China eine breite, kritische, politisch engagierte Filmszene gibt, die es zudem versteht, ihr Publikum zu unterhalten.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Sabine Oelze