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China: Mut zur Flut

Rafael Heiling12. August 2003

Das Wasser kommt. Und die Menschen müssen gehen: China staut den Jangtse am Drei-Schluchten-Damm, um dort Strom zu gewinnen. Der See soll Rekordgröße haben – doch die Probleme sind auch nicht klein.

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Stauen für Strom - wird der Jangtse zur Kloake?Bild: APTN

Am 1. Juni wird die Mauer dicht gemacht: Dann beginnen sich die drei Schluchten Qutang, Wuxia und Xiling mit Wasser zu füllen. Bis 2009 soll ein riesiger Stausee entstehen, der von Berlin bis München reichen würde; 175 Meter tief und mehr als 1000 Quadratkilometer groß. Zwei Zwecke hat das monströse Gewässer vor allem: 26 Turbinen zur Stromgewinnung antreiben und den ständigen Überschwemmungen am Jangtse ein Ende setzen.

Mauer unter Druck

Das ehrgeizige Stau-Projekt hat in China und im Ausland eine Protestwelle ausgelöst. Und die Gegner haben eine Menge Einwände, erklärt Rudolf Wagner, Professor für Sinologie an der Universität Heidelberg, im Gespräch mit DW-WORLD: "Zum ersten würde der Effekt, die Überschwemmungen unter Kontrolle zu kriegen, mit mehreren kleinen Staudämmen an den Zuflüssen besser erreicht." Zum zweiten: Niemand wisse, ob das Gestein den Wasserdruck aushalte - und wie fest die Staumauer letztlich sei. "Man darf sich nicht vorstellen, dass die bei einem Erdbeben zerstört würde", beschwört Professor Bernd Eberstein, Sinologe an der Uni Hamburg, ein wenig beschauliches Szenario.

Erste Haarrisse in der Mauer wurden schon entdeckt - doch die Regierung verschweige das, kritisiert die Journalistin und Umweltaktivistin Dai Qing in einem Interview mit der Deutschen Welle: "Die Risse, die es jetzt gibt, könnten die Quelle eines Dammbruchs werden." Für viel Ärger sorgt auch die drohende Verschmutzung. "In den Stausee fließen die Abwässer von 40 Städten", erklärt Wagner der DW-WORLD - "und nur zwei haben Kläranlagen." Es gebe bisher aber weder Pläne noch Geld: "Die Suppe läuft da rein, Punkt." Das offizielle "China Internet Information Center" behauptet dagegen, der Stausee kühle die Luft, sorge für mehr Regen, mehr Tiere, mehr Pflanzen.

Die Kultur geht nicht ganz unter

Und für weniger Kultur. Denn die Stausee-Kritiker beklagen, dass historische Stätten untergehen würden. Zwar könne man einige Tempel versetzen, doch auch Wagner sieht "erhebliche Konsequenzen fürs kulturelle Habitat". Gleichwohl "ist die Region nicht das Herzland der chinesischen Kultur", wie auch Eberstein bestätigt.

Fast 1,2 Millionen Menschen müssen umziehen, um dem Stausee Platz zu machen. Für Geld, doch "die Mittel landen zum großen Teil in den Taschen von Beamten", sagt Wagner. "Andere lassen sich absichtlich drei-, viermal umsiedeln." Allerdings, berichtet der Sinologe, soll der Strom vom Damm nach Schanghai geleitet werden - "die, die ihr Land dafür aufgeben, haben also nichts davon."

Eingedämmte Kritik

Wer das bemängele, müsse sich in Acht nehmen. "Die Kritiker dürfen öffentlich nichts mehr sagen", berichtet Wagner. Chats im Internet würden überwacht, manche Gegner auch verhaftet. Dai Qing habe es aber geschafft, den Protest in ein Buch zu fassen.

Alles in allem kostet das Mega-Projekt etwa 22 Milliarden US-Dollar. Die Investition stemmt China selbst, ohne direkte Unterstützung von außen. Doch die Bundesregierung hat China billige Kredite gewährt, die deutschen Unternehmen Zuliefer-Aufträge sichern. Zum Beispiel einem Joint-Venture von Siemens und dem Turbinenhersteller Voith. Siemens liefert unter anderem 15 Maschinentransformatoren für etwa 44,5 Millionen Euro, sagt Dietrich Biester, Sprecher von Siemens Power Transmission and Distribution. Dass das Drei-Schluchten-Projekt umstritten sei, darüber sei man sich im Klaren. "Aber wir checken solche Projekte immer nach allen Seiten."

Die Natur wird umgeleitet

Wenn alles klappt, wird das Familienprojekt von Ex-Premier Li Peng vollendet, wie Wagner weiß: "Seine Tochter leitet das Projekt als Ingenieurin und sein Schwiegersohn ist der Elektrizitätskönig von China." Li Peng habe in den 1950er Jahren in der Sowjetunion Wasserbauingenieur studiert, mit dem damals typischen Ziel: "Totale Umgestaltung der Natur." Folglich ist das nächste Großprojekt schon angelaufen: Die Umleitung diverser Flüsse vom Süden in den wasserarmen Norden.