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China: Risse in der Neuen Seidenstraße

Nik Martin
17. Dezember 2023

China hat weltweit mehr als eine Billion Euro für Infrastrukturprojekte verliehen. Doch immer mehr Schuldnerländer geraten in Zahlungsverzug, auch weil nicht alle Investitionen profitabel sind.

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Sri Lanka Colombo | Ein großes Frachtschiff liegt an einem Kai im Hambantota International Port in Sri Lanka
China hat den internationalen Hafen von Hambantota in Sri Lanka für 99 Jahre gepachtet, nachdem das Projekt Schwierigkeiten bei der Rückzahlung seiner Kredite hatteBild: Liu Hongru/Photoshot/picture alliance

Chinas Neue Seidenstraße wird weithin als zentrales Element der Außenpolitik von Präsident Xi Jinping gesehen. Im Rahmen der Initiative fördert und baut China weltweit rund 21.000 Infrastrukturprojekte. Oft wird es mit dem Marshallplan verglichen, mit dem die USA nach dem Zweiten Weltkrieg den Wiederaufbau der demokratischen Länder Westeuropas förderte.

Einem neuen Bericht zufolge hat China Kredite in Höhe von 1,2 Billionen Euro (1,3 Billionen US-Dollar) vergeben, um etwa Brücken, Häfen und Fernstraßen in Ländern mit geringem und mittlerem Bruttonationaleinkommen zu finanzieren. Die Neue Seidenstraße-Initiative, deren offizieller Name "Ein Gürtel, eine Straße" die wirtschaftliche Verknüpfung betonen soll, hat - zum Verdruss Washingtons und Brüssels - Pekings geopolitischem Einfluss in der Welt einen immensen Schub verliehen.

China feiert zehn Jahre "Neue Seidenstraße"

Ist die Neue Seidenstraßen eine Schuldenfalle? 

Fraglich ist allerdings, wer außer China davon profitiert. Kritiker sagen, die Kredite trieben Entwicklungsländer in die Schuldenfalle. Einige Staaten, darunter die Philippinen, haben sich bereits aus Projekten zurückgezogen. Andere bemängeln, dass China die Infrastrukturprojekte vor allem seinen staatseigenen Unternehmen überträgt. In der Folge sähen sich Partnerländer mit undurchsichtigen Baukosten und limitiertem Verhandlungsspielraum konfrontiert. Und, während China weitere Milliarden in neue Projekte investieren will, rückt für viele Kreditnehmer der Zahltag näher.

In einem aktuellen Bericht kommt das US-Forschungsinstitut AidData zu der Einschätzung, dass China globale Außenstände von rund 1,1 Billionen US-Dollar (1 Billion Euro) akkumuliert hat - Zinsen nicht eingerechnet. 80 Prozent der Kredite seien an Staaten gegangen, die sich in einer finanziellen Notlage befänden. Laut dem Report ist die Zahl überfälliger Rückzahlungen zuletzt rasant gestiegen. 1693 Projekte stünden demnach auf der Kippe, 94 wurden bereits abgebrochen oder ausgesetzt.

Zwei Züge der Orange Train Metro fahren auf einer Hochstrecke durch die pakistanische Stadt Lahore.
Im Rahmen der Neuen-Seidenstraße-Initiative hat China Pakistan die Mittel für den Bau einer neuen Orange Line Metro in der Stadt Lahore zur Verfügung gestelltBild: Sajid Hussain/Pacific Press/picture-alliance

Rettungskredite um Zahlungsausfälle zu vermeiden

AidData hat berechnet, dass mehr als die Hälfte aller Seidenstraßen-Kredite mittlerweile in die Tilgungsphase eingetreten sind, in der die Rückzahlung des ursprünglich geliehenen Betrags fällig ist. Hinzu kommen Kreditkosten wie Zinszahlungen. Das ganze geschieht in einer Zeit, in der die Leitzinsen weltweit stark gestiegen sind, wodurch die Schuldnerländer noch stärker belastet werden. Obwohl China selbst den Leitzins noch nicht wieder angehoben hat, habe das Land den Zinssatz für verspätete Rückzahlungen als Strafe in einigen Fällen von 3 auf 8,7 Prozent fast verdreifacht. 

Als China zu Beginn der 2000er Jahre damit begann, Entwicklungsländern Kredite zu gewähren, sicherte es nicht einmal ein Fünftel der Kredite gegen Zahlungsausfall ab. Heute macht es das bei fast zwei Dritteln der Projekte. Einem Bericht der Weltbank zufolge musste China bereits hunderte Milliarden Dollar für Rettungskredite aufwenden, um Schuldnerländer vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren.

AidData sieht darin eine neue Strategie Chinas, um sich davor zu schützen, selbst Opfer wackliger Finanzen anderer Regierungen und Zentralbanken zu werden.

Was haben die USA und Europa China entgegenzusetzen?

Laut AidData wendet China jährlich rund 80 Milliarden Dollar (ca. 73 Milliarden Euro) auf, um Länder mit geringem und mittlerem Bruttonationaleinkommen Geld zu leihen. Washington versucht mitzuhalten, indem es etwa 60 Milliarden Dollar (55 Milliarden Euro) Entwicklungskredite pro Jahr bereitstellt - zum Großteil für Projekte von Privatunternehmen. Ein Beispiel dafür ist der Anfang des Monats angekündigte Bau eines Tiefwasserhafens in Sri Lankas Hauptstadt Colombo, der etwa eine halbe Milliarde Dollar kosten soll. 

Chinas Expansionskurs: Kann der Westen gegenhalten?

Der Inselstaat im Indischen Ozean steckt in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise und tut sich schwer, aus ihr herauszufinden. Ein Grund dafür sind Verbindlichkeiten gegenüber China. Im Rahmen der Neuen Seidenstraße wurden nahe der Stadt Hambantota an der Südküste der Insel ein Hafen und ein internationaler Flughafen gebaut. Doch die Einnahmen deren Einnahmen reichen nicht annähernd zur Tilgung der geliehenen Investitionskosten.

Westen will "bessere Wahl" werden

Um Chinas Neuer Seidenstraße etwas entgegenzusetzen, riefen die G7-Staaten vor zwei Jahren die globale Infrastrukturinitiative Build Back Better World (kurz: B3W, deutsch: „Wiederaufbau einer besseren Welt") ins Leben. Sie zielt ebenfalls auf Länder mit geringem und mittlerem Bruttonnationaleinkommen. 

Luftaufnahme des Lower Sesan II Studamms in Kambodscha
Der umstrittene Staudamm Lower Sesan II in Kambodscha wurde mit chinesischen Krediten gebautBild: Chen Gang/Photoshot/picture alliance

Ende Oktober hielt die Europäische Union zudem ihr erstes Gipfeltreffen zur "Global Gateway" ab. Mit diesem Programm will die EU ihren Einfluss vor allem im globalen Süden erhalten. Bei den Gesprächen wurden Verträge im Wert von 70 Milliarden Euro (ca. 76 Mrd. Dollar) mit Regierungen in Europa, Asien und Afrika unterzeichnet. Die EU-Unterstützung, die sich letztlich auf bis bis zu 300 Milliarden Euro belaufen könnte, soll in Projekte fließen, in denen es um wichtige Rohstoffe, erneuerbare Energien und Transportwege geht.

Nach Worten der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen soll dies Entwicklungsländern eine "bessere Wahl" zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten ermöglichen. Ohne China zu nennen, sagte sie, andere Optionen forderten oft einen "hohen Preis".

Im Jahr 2021 haben die G7 Entwicklungsländern rund 84 Milliarden US-Dollar mehr zur Verfügung gestellt als als China. Der AidData-Bericht geht jedoch davon aus, dass die USA und ihre Verbündeten auf Dauer nicht in der Lage sein werden, Entwicklungskredite in gleicher Höhe wie China bereitstellen zu können.

Die Analysten waren sogar davor, in einen Wettbewerb mit der Volksrepublik einzutreten. Sie sehen jedoch eine andere Chance: Das Scheitern vieler Seidenstraßen-Projekte könnte Länder, ähnlich dem Beispiel Sri-Lankas, in die Einflusssphäre des Westens zurückbringen.

Aus dem englischen adaptiert von Jan Walter.