Chinas Mondmission mit europäischem Know-how
3. Juni 2024"Mitten in der Menschenmasse zu sehen, dass jeder von dieser Mondmission so viel erwartet, das ist richtig spannend und wunderbar für mich als Wissenschaftler!" Olivier Gasnault war begeistert. Am 3. Mai war er live beim Start der Trägerrakete der Mondmission Chang'e-6 in China dabei. Er hat mit seinen Kollegen vom französischen Forschungsinstitut für Astrophysik und Planetologie in Toulouse einen Radon-Detektor entwickelt, ein Gerät, das die radioaktiven Gase und die Strahlungen misst.
Am Sonntag (02.06.23) setzte nach mehreren Manövern das Landungsmodul im Apollo-Krater nahe der Südpolregion auf der Mondoberfläche auf, berichtet die amtliche Agentur Xinhua. Das Modul werde auf der erdabgewandten Seite des Mondes Gesteinsproben sammeln und zur Erde bringen.
Es handelt sich bereits um die zweite chinesische Mission, die auf der Mondrückseite landet. Vor fünf Jahren landete der Rover der Mondmission Chang'e-4. Er ist heute immer noch in Betrieb.
Wissenschaftler glauben, Gesteine aus der Südpolregion des Mondes könnte weitere Teile der Frühgeschichte des Solarsystems aufschlüsseln. Dort soll auch Wasser vorhanden sein, was längeren Aufenthalt der Astronauten auf dem Erdtrabanten ermöglichen würde. Aus Wasser könnte über Solarstrom Sauerstoff durch Elektrolyse gewonnen werden.
Technisches Know-how aus Europa
In einem Reinraum-Labor präsentiert Gasnault dem DW-Reporter ein Duplikat des Radon-Detektors. Mit acht schüsselförmigen Sensoren ausgestattet, ist das Gerät "DORN" (Detector of Outgassing Radon) insgesamt etwa so groß wie ein haushaltsübliches Mikrowellengerät und wiegt 4,5 Kilogramm. Radon ist ein chemisches Gas. Das radioaktive Edelgas kommt in Gesteinen vor und ist auch Teil der extrem dünnen Mondatmosphäre.
Daher brauche man mehrere Sensoren, sagt Ingenieur Romain Mathon, der den Detektor mitentwickelt hat. "Wir müssen Gewicht und Volumen anpassen an die Rahmenbedingungen, die unsere chinesischen Partner gesetzt haben."
DORN ist nicht das einzige wissenschaftliche Messgerät aus Europa in der Chang'e-6 Mission. Auch ein italienischer Laser-Retroreflektor gehörte zu den Nutzlasten des Landungsmoduls. Die Europäische Weltraumorganisation ESA und das schwedische Institut für Raumphysik wollen mit ihrem Detektor für negativ geladene Ionen Informationen über die Wechselwirkung zwischen Solarwind und der Mondoberfläche gewinnen.
James Carpenter, ESA-Forschungsleiter für Planetologie, sagt im DW-Interview: "Unsere Technologie für diesen Detektor ist ausgereift, weil wir schon Erfahrung bei ähnlichen Instrumenten hatten. All das macht eine sehr schnelle Lieferung in unserem Standard möglich."
Auch der Toulouser Ingenieur Mathon betont, das von chinesischer Seite geforderte Tempo sei eine Herausforderung, denn er musste zwischen 2019 und 2022 alles fertig bauen, trotz Pandemie-Bedingungen.
Geopolitisches Bedenken
Allerdings fürchtet die ESA, dass zunehmende geopolitische Spannungen die künftige Zusammenarbeit mit China in der Raumfahrt gefährdet. Karl Bergquist, Abteilungsleiter für Internationale Beziehungen der ESA, koordiniert seit Anfang 1990er-Jahre die immer intensiviere europäisch-chinesische Zusammenarbeit im Weltall. Sowohl das Zwischenmenschliche als auch die Wissenschaftliche habe gestimmt, sagt er im DW-Interview. "Aber die Geopolitik heute ist deutlich anders als vor acht oder neun Jahren. Es gibt immer mehr Restriktionen."
Als Beispiel nennt er die Zusammenarbeit bei der bemannten Raumfahrt. Es hatte schon mehrere gemeinsame Astronautentraining zwischen ESA und der chinesischen Raumfahrtbehörden gegeben. Einige ESA-Astronauten hatten schon angefangen, Chinesisch zu lernen. Allerdings müsse es jetzt de facto auf Eis gelegt werden "wegen der Exportkontrolle durch Drittstaaten". Die USA verbieten nämlich per Gesetz die Zusammenarbeit mit chinesischen Raumfahrtprogrammen. "Wir Europäer beziehen viel mehr amerikanische Komponenten, die wir natürlich nicht an China weitergeben dürfen."
Auch die unbemannte Mission könnte infrage gestellt werden, falls Peking seine Zusammenarbeit mit Russland erweitert, warnt Bergquist. "Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine verhängt EU umfangreiche Sanktionen gegen Russland. Dann könnte die von China und Russland initiierte Internationale Mondforschungsstation (ILRS) ein Problem werden. Wenn die Missionen Chang'e-7 oder -8 Mission ein Teil davon sein sollte, wäre eine Zusammenarbeit mit China für die ESA kaum möglich."
Der ESA-Planetologe Carpenter sieht seinerseits noch kein Problem in der Zusammenarbeit mit chinesischen Wissenschaftlern, mit denen er auch gute Freundschaften aufgebaut hat. "Es ist wirklich fantastisch zuzusehen, wie Chinas Mondprogramm gewachsen und zur Weltklasse aufgestiegen ist. Wir fühlen uns privilegiert und glücklich, dabei zu sein. Natürlich sind wir auch interessiert an weiterer Zusammenarbeit im Solarsystem."
Der französische Wissenschaftler Gasnault ist mittlerweile wieder nach China gereist. Er hat kaum Zeit, sich Sorgen um künftige Kooperationsprojekte zu machen. Die Sonde bleibt nur zwei Tage auf der Mondrückseite, bevor sie die Heimreise antritt. Gasnault und seine Kollegen werden im Pekinger Kontrollzentrum die Daten auswerten, die von europäischen und chinesischen Wissenschaftlern "auf Augenhöhe" gemeinsam genutzt werden.