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Chinas Reformpolitik - ein Gespräch

Zhang Danhong4. Juli 2014

Zum insgesamt siebten Mal reist Kanzlerin Merkel nach China. Mit dem China-Experten Eberhard Sandschneider sprach die DW über die Reformpolitik der chinesischen Regierung und ihre bilateralen Beziehungen.

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Prof. Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Foto: DGAP)
Bild: DGAP/dapd

DW: Herr Sandschneider, nach über drei Jahrzehnten des Staatskapitalismus mit hohen staatlichen Investitionen, hohen Exportraten und einem hohen Grad an Umweltverschmutzung steht China vor Problemen, die genau dieses Wachstumsmodell geschaffen hat: Überkapazitäten, hohen Schulden, einem großen Gefälle zwischen Arm und Reich und einer verseuchten Umwelt. Wie will die chinesische Regierung dem gegensteuern?

Eberhard Sandschneider: Zunächst einmal gibt es nirgendwo in der Geschichte Wachstumsmodelle, die einmal begründet werden und dann dauerhaft funktionieren. Gerade erfolgreiches Wachstum bringt gesellschaftliche und auch wirtschaftliche Veränderungen mit sich. Darauf muss eine Regierung reagieren. Aber in China gibt es darüber hinaus noch eine Reihe von Veränderungen, die sich dem Zugriff der Regierung weitestgehend entziehen. Denken Sie etwa an demographische Veränderung. Die billigen Arbeitskräftepotenziale, die China über drei Jahrzehnte anbieten konnte, werden in Zukunft verschwinden, weil die Menschen, die im arbeitsfähigen Alter sind, deutlich weniger werden. Darauf muss die chinesische Regierung schon dahingehend reagieren, dass sie von dem klassischen Wachstumsmodell - wir haben das die Werkbank der Welt genannt - umschaltet auf ein konsumorientiertes Modell, das den chinesischen Binnenmarkt stärker in den Mittelpunkt stellt.

Hat die chinesische Regierung Ihrer Meinung nach bereits ein Konzept?

Ich glaube, die chinesische Regierung hat seit 30 Jahren kein großes Konzept. Und das ist das eigentliche Geheimnis ihres Erfolges. Sie sieht Probleme und versucht, die Probleme so effizient wie möglich zu lösen. Das gelingt nicht immer, aber sehr häufig. Ich wäre auch sehr vorsichtig, mit Großkonzepten an die Probleme in China heranzugehen, wohl wissend, dass dieses Land etwas größer ist als die Länder, die wir üblicherweise im Kopf haben, wenn wir aus europäischer Perspektive auf diese Dinge schauen. Problemlösungen für 1,4 Milliarden Menschen zu finden ist eine andere Herausforderung, als diese für 20, 30 oder 80 Millionen Europäer zu finden. Also ich glaube nicht, dass es außer dem Willen, die notwendigen Reformen Schritt für Schritt erfolgsorientiert umzusetzen, tatsächlich Großkonzeptionen gibt, nach dem Motto, wie sollte China 2050 aussehen.

Der Markt soll nach dem Willen der neuen chinesischen Regierung in Zukunft eine entscheidende und nicht mehr wie heute eine grundlegende Rolle bei der Verteilung der Ressourcen spielen. Was bedeutet das?

In China hat man jetzt den Eindruck, dass man noch marktwirtschaftlicher sein möchte als der Westen, weil man dem Markt alles zutraut. Das wird de facto aber nicht passieren. Wenn Sie die Veränderungen seit dem 18. Parteitag im politischen Bereich beobachten, dann stellen Sie fest, dass es dort eine erhebliche Rezentralisierungstendenz gibt und den Versuch, die Zentrale im ihrem Durchgriff auf Provinzen und Regionen zu stärken, das ist wohl auch schon ein Element des Einfangens reiner marktwirtschaftlicher Prinzipien. Ich denke, es wird immer um die Balance gehen zwischen beiden - einem Staat, der Rahmenbedingungen vorgibt, innerhalb deren sich marktwirtschaftliche Prinzipien und Strukturen entfalten können. Davon ist China in vielen Bereichen noch ziemlich entfernt.

Das soll sich ändern. Ein neues Wort macht die Runde: "Liconomics". Die Reform des chinesischen Premierministers Li Keqiang steht für Strukturreform, Schuldenabbau und für den Verzicht auf Konjunkturprogramme. Das erinnert an die Forderungen der Bundesregierung an die anderen Europartner. Ist diese Seelenverwandtschaft der Grund dafür, dass sich beide Länder im Moment auf Regierungsebene so gut verstehen?

Nein, diese Form der Seelenverwandtschaft gibt es nicht. Zunächst einmal hat das grundsätzliche Verständnis mit gemeinsamen Interessen zu tun. Deutschland ist in hohem Maße an der Funktionsfähigkeit des chinesischen Marktes interessiert. Das ist seit 30 Jahren ein gemeinsames Grundinteresse gewesen, das wird auch in Zukunft so bleiben. Zum zweiten spielt in der internationalen Politik auch die Chemie zwischen Spitzenpersonal eine nicht unwichtige Rolle. Und die politisch Verantwortlichen in der Volksrepublik China und in Deutschland kennen sich nun mittlerweile aus vielen Treffen relativ gut. Sie müssen auch nicht immer einer Meinung sein, um sich trotzdem gut zu verstehen. Und daraus wird die Grundlage für die relativ reibungslosen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen, die wir im Moment haben. Vielleicht werden wir in absehbarer Zeit auch wieder einmal heftigere und kritischere Debatten erleben können. Aber im Moment sieht der Grundzug der deutsch-chinesischen Beziehungen ausgesprochen positiv aus.

Beide Länder haben eine Urbanisierungspartnerschaft geschlossen. Das Jahr 2015 ist auch schon zum deutsch-chinesischen Innovationsjahr ausgerufen worden. Ist Deutschland fest entschlossen, China zu unterstützen, bis China Deutschland in allen Bereichen überholt?

Das ist eine gute Frage. China zu unterstützen war immer im Interesse Deutschlands und hat natürlich auch Deutschland genutzt. Wir dürfen aus deutscher Sicht nicht vergessen, dass wir zwar ein paar Jobs nach China verloren haben - Billiglohnstrukturen als Stichwort - aber es gibt Tausende von Arbeitsplätzen in Deutschland, die es nur gibt, weil deutsche Unternehmen in China erfolgreich sind. Es ist nicht so, dass das eine Einbahnstraße ist, und die Deutschen so doof sind, dass sie ein Land so lange unterstützen, bis es endgültig in der Lage ist, die deutsche Wirtschaftsleistung auch noch gleich mit zu übernehmen. So funktioniert Globalisierung nicht. Globalisierung ist ein Prozess des Gebens und Nehmens. Sie funktioniert nur dann, wenn beide Seiten ihre jeweiligen Vorteile aus einer solchen Beziehung ziehen können bzw. durch gemeinsames Vorgehen insgesamt stärker werden. Das scheint mir eher das tragende Prinzip nicht nur der Beziehung zwischen Deutschland und China zu sein, sondern generell von Wirtschaftsbeziehungen auf globaler Ebene.

Eberhard Sandschneider ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik