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Chinas Traumfabrik

Frank Sieren26. Februar 2014

Chinas Erfolg bei der Berlinale lässt Pekings Politiker kalt. Der Führung wäre es lieber, wenn die heimischen Filmemacher mit internationalen Massenprodukten Hollywood Konkurrenz machten - meint DW-Kolumnist Frank Sieren

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Berlinale 2014Preisverleihung Bester Schauspieler Fan Liao (Foto: Reuters)
Fan Liao gewann den Silbernen Bären in der Kategorie Bester SchauspielerBild: Reuters

Chinas Performance bei der Berlinale Mitte Februar konnte sich sehen lassen. Zwar haben Filmemacher aus dem Reich der Mitte schon in der Vergangenheit immer mal wieder einen Goldenen Bären mit nach Hause gebracht, dass sie aber von der Jury gleich mit drei Trophäen bedacht wurden, gab es noch nie. Die chinesische Regierung müsste eigentlich vor Stolz platzen, die Bevölkerung ihre Filmhelden auf Händen tragen.

Doch in der Woche nach den Festspielen ist wenig passiert. Sowohl die staatlichen Medien als auch die User der sozialen Netze reagierten verhalten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die Reaktion im Web fiel mager aus, weil die Regisseure in China nicht bekannt sind und ihre Themen nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung interessieren. Selbst ein Berliner Bär konnte ihre Neugier da nicht weiter entfachen.

Das ist erstaunlich, weil sonst vieles, was vom Ausland gelobt wird, in China schnell an Wert gewinnt. Und auch die Themen der Filme sind eigentlich aus der Mitte des Lebens. In dem Krimi "Bai Ri Yan Huo" (Schwarze Kohle, dünnes Eis), der den Preis für den besten Film sowie den besten Hauptdarsteller (Fan Liao) gewann, geht es um die Aufklärung mehrerer brutaler Morde. Der Film ist eine düstere Melange aus Liebe, Gier, Rache und sexueller Ausschweifung in einer Turbogesellschaft. Doch der Regisseur bleibt dem Arthouse-Stil verhaftet. Der für seine Kamera ausgezeichnete Film "Tui Na" (Blinde Massage) sieht die Welt aus der Perspektive der blinden Belegschaft eines Massagesalons in Nanjing. Die distanzierte, fragmentierte Erzählweise macht es dem Zuschauer nicht einfach. Beide Filme sind also schwierige Festivalkost.

Hoffen auf chinesische Blockbuster

Das sind auch die Gründe, warum sich auch die Regierung schwertut, die Filme zu nutzen, um den chinesischen Nationalstolz zu festigen. Die Themen und Genre der Filme beschäftigen sich aus Führungssicht zu sehr mit den Schattenseiten Chinas.

Filmplakat Casino Royale in China (Foto: afp/Getty Images)
Casino Royale war 2007 der erste James-Bond-Film, der in chinesische Kinos kamBild: MARK RALSTON/AFP/Getty Images

Lieber wäre es Peking, wenn die chinesische Filmindustrie mit großen Blockbustern aus chinesischer Perspektive ein Weltpublikum bewegen und die Kassen klingeln lassen würde. Unangefochtener Meister dieses Faches ist aber natürlich noch immer Hollywood. Selbst in China sind Hollywood-Filme viel beliebter als einheimische Produktionen. Sie sind sogar so angesagt, dass die Regierung die Zahl der ausländischen Filme, die pro Jahr in China gezeigt werden dürfen, streng limitiert. Das wiederum ärgerte die Menschen in China. Warum dürfen sie Filme, die sie an jeder Straßenecke als DVD kaufen können, nicht auf der großen Leinwand sehen?

Und auch die Kinobetreiber fragten, wie es sein kann, dass nur illegale Raubkopierer an den Filmen verdienen und nicht die, die sie gemacht haben und zeigen. 2012 musste die Regierung daraufhin zurückrudern. Nun dürfen statt 20 US-Produktionen jährlich immerhin 34 Filme gezeigt werden. Das wiederum finden die chinesischen Filmemacher nicht so toll. Dafür kam es aber gut bei der Bevölkerung in China an und auch bei den kalifornischen Filmstudios.

Überraschende Koalitionen im Filmbereich

Es gibt also überraschende Koalitionen im Filmbereich. Regierung und Bevölkerung sind sich weitgehend einig, wie die deutschen Bären und ihre Gewinner zu bewerten sind. Die chinesischen Filmschaffenden hoffen, dass ihnen die Regierung Hollywood vom Hals hält. Und das Publikum hat sich gewissermaßen mit Hollywood gegen die Regierung verbündet, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Beweggründen: Das Publikum will selbst entscheiden, was es sehen darf und was nicht.

Und Hollywood will möglichst viel Geld in China verdienen. Denn schon jetzt ist China hinter den USA der zweitgrößte Kinomarkt der Welt. Nach Schätzungen werden bereits 2018 chinesische Kinos mehr einspielen als die zehn Milliarden Dollar, die Amerika heute zur Nummer Eins machen. Ab 2023, so schätzt man im Reich der Mitte, werden Chinesen für Kinobesuche sogar doppelt so viel Geld ausgeben wie die Amerikaner. Um auf diesem Markt mitmischen zu dürfen, stört sich Hollywood auch nicht mehr an der chinesischen Zensur. Die Studiobosse lassen aus Filmen Szenen mit zu viel Sex herausschneiden oder solche, in denen China nach Pekinger Geschmack nicht gut genug wegkommt. Weil der Markt so interessant ist, heuert Hollywood chinesische Schauspieler an oder dreht einige Szenen in chinesischen Städten, damit sich die Filme im Reich der Mitte besser vermarkten lassen.

Know-how aus dem Westen für Chinas Film

Klar ist allerdings auch: Peking wird seinen riesigen Markt nicht auf Dauer alleine Hollywood überlassen. Denn es geht dabei nicht nur um Geld, sondern auch - und das ist der Regierung fast wichtiger - um nationalen und globalen kulturellen Einfluss. Die Führung plant in der Filmbranche ähnliches, was zuvor schon in den meisten anderen Industrien gut geklappt hat. China öffnet seinen Markt für Ausländer und bekommt dafür westliches Know-how. Auch deutsche Autobauer kennen dieses Konzept. Sie machen mit Verkäufen im Reich der Mitte zwar momentan das Geschäft ihres Lebens. Doch in den gemeinsam betriebenen Fabriken schaut sich die chinesische Seite natürlich ganz genau an, was sie an ihren eigenen Modellen verbessern kann.

(Foto: Sieren)
Sieren: Chinesische Stars werden auch im Westen Normalität seinBild: Frank Sieren

Das ist in der Filmindustrie nicht anders. Nahe der Küstenstadt Qingdao entstehen gerade die größten Filmstudios der Welt, gebaut von dem chinesischen Privatunternehmen Dalian Wanda. Ein Name, den man sich merken sollte: Wanda ist schon heute der größte Kinobetreiber der Welt, nachdem der Firmenbesitzer Wang Jianlin 2012 die größte amerikanische Kinokette AMC-Theaters gekauft hat. Herzstück von Chinas Hollywood werden 10.000 Quadratmeter große Filmateliers sein, dazu ein permanentes Unterwasser-Studio. Ab 2018 sollen hier jährlich sowohl ausländische als auch chinesische Spielfilme gedreht werden.

Wozu das führt, ist klar: Hollywood wird kommen, weil es billiger ist und man sich so den Markt erschließt. China wird sich die Arbeit der ausländischen Filmemacher genau ansehen und von ihnen lernen. Bei der Grundsteinlegung der Filmstudios von Qingdao mussten noch westliche Stars wie Nicole Kidman und Leonardo DiCaprio eingeflogen werden, um für die notwenige Publicity zu sorgen. Geht der Plan auf, dürfte sich schon zum zehnten Geburtstag der Studios die Weltöffentlichkeit an mehr chinesische Star-Gesichter gewöhnt haben. Und spätestens in 20 Jahren wird es Jugendlichen im Westen und in China völlig unverständlich sein, wie man nur davon ausgehen konnte, der kulturelle Strom sei eine Einbahnstraße aus USA.