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Wachstum auf 25-Jahrestief

19. Januar 2016

Die Wirtschaft der Volksrepublik China ist 2015 mit 6,9 Prozent so schwach gewachsen wie seit 1990 nicht mehr, so heißt es von offizieller Seite in Peking. Experten fürchten, die Zahlen könnten noch nicht einmal stimmen.

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Industriehalle in Hunan (Foto: picture alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wie erwartet habe das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vergangenen Jahr um 6,9 Prozent zugelegt, das teilte das nationale Amt für Statistik mit. Im Jahr davor war sie noch um 7,3 Prozent gewachsen. Damit liegt die chinesische Wirtschaft im Zielrahmen der Regierung, die ein Wachstum von rund sieben Prozent angepeilt hatte. Staats- und Parteichef Xi Jinping sprach von der "neuen Normalität" und beschrieb die langfristigen Grundlagen der Wirtschaft als "tragfähig".

Der Trend zeigt allerdings weiter nach unten. Im vierten Quartal schwächte sich das Wachstum noch etwas stärker ab. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt wuchs von Oktober bis Dezember nur um 6,8 Prozent. Das war der niedrigste Quartalszuwachs seit Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008.

Es gibt aber einige Zweifel an den Konjunkturdaten. Philipp Hauber vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) sagte, die offizielle Wachstumszahl sei "mit Vorsicht zu betrachten". "Alternative Indikatoren zeichnen ein deutlich düstereres Bild." Experten gehen - gemessen etwa an Frachtvolumen oder Energieverbrauch - von einem Wachstum von nur 4 bis 6 Prozent aus. So fiel die Stromproduktion im vergangenen Jahr sogar zum ersten Mal seit fast fünf Jahrzehnten um 0,2 Prozent. Es war der erste Rückgang seit 1968, als die Kulturrevolution (1966-76) das Land lahmgelegt hatte.

Überkapazitäten und lahmender Immobilienmarkt

Nach jahrzehntelangem Boom mit teils zweistelligen Zuwachsraten machen der exportorientierten chinesischen Wirtschaft schwächelnde Auslandsgeschäfte, Überkapazitäten in der Industrie und ein abklingender Immobilienmarkt zu schaffen. Dies drückt auf die Investitionen. Auch der Kampf der Regierung gegen die weit verbreitete Korruption wirkt sich aus.

Zudem will die kommunistische Führung das Wirtschaftsmodell stärker auf die Binnenkonjunktur ausrichten und den privaten Konsum ankurbeln. Dafür nimmt sie auch ein geringeres Wachstum in Kauf. Doch beim Umbau hakt es.

Konsum entwickelt sich

Nach Angaben des Statistikamtes ist der Beitrag des heimischen Konsums zur Wirtschaftsleistung um 15,4 Punkte auf 66,4 Prozent gestiegen. Die unabhängige chinesische Analystin Ye Tan meint dazu, der heimische Konsum entwickle sich zwar langsamer als erhofft, aber im "akzeptablen Rahmen".

Erstmals trug der Dienstleistungssektor mit 50,5 Prozent (Vorjahr: 48,1) zu mehr als der Hälfte der Wirtschaftsleistung bei, was das Statistikamt als Erfolg der Umstrukturierung wertete.

China Blick in einen Supermarkt in Zhuji (Foto: picture-alliance/dpa)
Peking setzt auf den privaten KonsumBild: picture-alliance/dpa/Chinafotopress

Der Anstieg der Industrieproduktion fiel von 8,3 auf 6,1 Prozent. Die traditionell wichtigen Motoren der Wirtschaft - die Immobilien- und Anlageinvestitionen - kühlten sich deutlich ab: Der Investitionszuwachs im Bausektor fiel von 10,5 auf nur noch 1 Prozent. Die Anlageinvestitionen wuchsen nur um 10 Prozent, nachdem sie im Vorjahr noch um 15,7 Prozent zugelegt hatten.

Xi Jinping weckt Hoffnung auf Konjunkturmaßnahmen

Trotz des geringeren Wachstums und der Turbulenzen an Chinas Börsen zeigte sich Chinas Präsident optimistisch. Die Wirtschaft müsse sich stärker auf heimischen Konsum, den Dienstleistungssektor und Innovation stützen. Das Wachstum müsse kurzfristig "stabilisiert" werden, sagte Xi Jinping, was Hoffnung auf neue Konjunkturmaßnahmen weckte und prompt die chinesischen Börsen beflügelte.

Es sei "entscheidend", die Überkapazitäten abzubauen, mahnte Xi Jinping. Die Industrie müsse umstrukturiert, die Kosten der Unternehmen reduziert, aufstrebende Industrien und der moderne Dienstleistungssektor entwickelt werden. So soll sich China weniger auf Export und Investitionen stützen.

Weiterer Wachstumsrückgang befürchtet

Experten rechnen angesichts der wachsenden Schuldenlast der Unternehmen, der Immobilienblase und Überkapazitäten mit einem weiteren Rückgang des Wachstums. So erwartet der Internationale Währungsfonds 2016 nur 6,3 Prozent Plus. Mit dem neuen Fünf-Jahres-Plan, der im März gebilligt wird, strebt Chinas Führung durchschnittlich 6,5 Prozent in dem Zeitraum an, was Experten für ehrgeizig halten.

China Bau der größten Brücke der Welt Qingshui
In China wird die größte Brücke der Welt gebaut, in der Provinz GuizhouBild: Imago/Xinhua

Die seit Wochen von den Sorgen um China verschreckten globalen Finanzmärkte wurden durch die Zahlen aus China aber eher beruhigt. Die meisten Börsen in Asien reagierten am Dienstag entspannt auf die Zahlen, hatte es doch zuvor Befürchtungen gegeben, das Wachstum könne noch niedriger ausfallen. Die Börse in Tokio schloss mit einem leichten Plus, die nicht-japanischen Börsen der Region legten um rund einen Prozent zu. Noch besser sah es in Shanghai und Shenzen aus, sie schlossen gut drei Prozent im Plus.

Deutschlands Exporteure im China-Sog

Die schlechten Aussichten für China, das in den vergangenen Jahren zu rund einem Drittel zum globalen Wachstum beigetragen hat, treffen auch Deutschland. Für Deutschlands Wirtschaft insgesamt ist die Volksrepublik viertwichtigster Handelspartner. Vor allem für die Automobil- und Maschinenbaubranche ist dieser Markt extrem wichtig.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel warnte am Dienstag, die konjunkturelle Abkühlung in China werde auf Dauer nicht an Deutschland vorbeigehen. Man dürfe deshalb das aktuelle Wachstum in Deutschland für die Zukunft nicht als gesichert ansehen. Raten von 1,7 oder 1,8 Prozent seien zwar ganz ordentlich. "Trotzdem muss man, glaube ich, ein bisschen vorsichtig sein", sagte Gabriel in Berlin.

qu,ar/wl (rtr, afp, dpa, APE)