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Ukraine muss für Souveränität kämpfen

Kay-Alexander Scholz13. Juni 2014

Im Exklusiv-Interview mit der Deutschen Welle hat der russische Regimekritiker Michail Chodorkowski die Bevölkerung der Ukraine vor Putins Plänen gewarnt und zum Widerstand aufgerufen. Sanktionen bewertete er skeptisch.

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Michail Chodorkowski mit DW-Korrespondent Nikita Jolkver (Foto: DW/Scholz)
Michail Chodorkowski mit DW-Korrespondent Nikita JolkverBild: DW/K.A. Scholz

"Russland und die Ukraine müssen miteinander reden", sagte Michail Chordorkowski in einem Exklusiv-Interview mit der Deutschen Welle. Aktuell werde die Lage zwar nicht schlimmer, aber er sei wenig optimistisch - die Situation könnte weiter eskalieren. Denn die Lage sei inzwischen nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Putin extrem schwierig.

Auf die Frage, ob Putin auf die Ukraine zugehen werde, antwortete Chodorkowski, das sei nicht die richtige Frage. Putin habe einen Katalog von Forderungen an die Ukraine, die er durchsetzen wolle. "Die Frage ist, ob die Ukraine danach noch ein selbstständiger und souveräner Staat sein wird, da bin ich mir nicht sicher." Deshalb müsse es nun Widerstand geben, weil Putin so dazu gebracht werden könnte, vernünftigere Bedingungen zu stellen.

Sanktionen gegenüber zeigte sich der Ex-Oligarch skeptisch. Er sei sich nicht hundertprozentig sicher, ob dies die richtigen Mittel des Widerstands seien. Entscheidend sei vielmehr, dass die Bevölkerung die Sache in die Hand nehme. "Möchte die Ukraine frei und souverän bleiben, dann muss sie diese verteidigen." Er hoffe auf einen Kompromiss, den das gesamte ukrainische Volk mittrage, sagte Chodorkowski später. Sollte die Ukraine es schaffen, einen Rechtsstaat aufzubauen, dann sei das ein "leuchtendes Beispiel" für die russische Bevölkerung. Darin sehe der Kreml eine große Gefahr.

Chodorkowski beim Prozess 2004 (Foto: Getty Images)
Chodorkowski beim Prozess 2004Bild: Oleg Nikishin/Getty Images

Buch über Haftzeit erschienen

Das Interview fand am Rande der Vorstellung von Chodorkowskis neuem Buch "Meine Mitgefangenen" in Berlin statt. Der frühere Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos war 2003 verhaftet und in zwei Prozessen wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und Geldwäsche verurteilt worden. Von Oktober 2003 bis Dezember 2013 war er in verschiedenen russischen Gefängnissen und Straflagern interniert.

2011 hatte Chodorkowski begonnen, eine Kolumne für die russische Oppositionszeitung "The New Times" zu schreiben. Diese Texte sind nun in dem Buch gesammelt. Darin berichtet er nicht nur über sich selbst, sondern auch über Mithäftlinge, die er in den Straflagern Sibiriens und Kareliens kennenlernte. "Im Buch versammelt sich ein Panoptikum von Existenzen und Schicksalen, das einen erstaunlich großen Teil der russischen Gesellschaft abbildet", hieß es von Seiten des Galiani-Verlags, in dem das Buch erschienen ist. Schließlich komme laut Statistik jeder zehnte Russe einmal im Leben ins Gefängnis, heißt es weiter.

Putin hat Korruption zum Staatsprinzip gemacht

Chodorkowski, der sich mit Chino-Hose und kariertem Hemd als Privatmann präsentierte, sagte, in Russland würden derzeit 700.000 Menschen in Gefängnissen leben. Das werde im normalen Alltag von den Russen ausgeblendet. Er selbst habe erfahren müssen, wie Erniedrigung dort funktioniere. Recht würde niemanden interessieren. Und dies sei in der russischen Gesellschaft nicht anders.

Michail Chodorkowski (Foto: DW/Scholz)
Michail Chodorkowski beim DW-InterviewBild: DW/K.A. Scholz

Putin habe nach der großen Wirtschaftskrise der 1990er-Jahre zu Beginn des neuen Jahrtausends entschieden, dass Korruption als Kontrollmechanismus das tragende Prinzip in Russland sein solle - und das im Übrigen auch das Prinzip von Putins Außenpolitik sei. Er habe sich gegen eine offene und für eine geschlossene Gesellschaft entschieden. Doch dies könne auch wirtschaftlich auf Dauer nicht funktionieren. Deshalb werde es in einigen Jahren entweder einen Zusammenbruch oder ein streng nationalistisches, faschistisches Regime mit folgendem Kollaps geben. Doch ähnlich wie für die Ukraine, gebe es auch für Russland immer auch einen Ausweg. "Entweder wir bringen ihn selbst zustande, oder es wird ihn nicht geben."

Herausforderung Familienvater

Ursprünglich sollte das Buch zum Ende der Haft oder zu Beginn eines möglicherweise weiteren Prozesses erscheinen. Einige Texte hat Chodorkowski nach Haftende geschrieben, das Vorwort stammt aus dem März 2014. Chodorkowski war im Dezember 2013, ein halbes Jahr vor Ende seiner Haftzeit, begnadigt und nach Deutschland ausgeflogen worden.

Der frühere Ölmilliardär lebt inzwischen in der Schweiz in einer Villa am Zürichsee für 9500 Euro Miete pro Monat. Ende März hatte der 50-Jährige eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung für die Schweiz erhalten, wo seine beiden Söhne zur Schule gehen. Ein normales Familienleben zu führen, sei nach seiner Haftentlassung die größte Herausforderung für ihn gewesen.