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Chodorkowski bleibt standhaft

Roman Goncharenko20. Dezember 2013

Der ehemals reichste Mann in Russland schrieb im Straflager analytische Artikel über seine Heimat. Michail Chodorkowski war Russlands prominentester Häftling. Jetzt hat Putin ihn mit sofortiger Wirkung begnadigt.

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Michail Chodorkowski (Foto: REUTERS)
Bild: Reuters

Einst sah man ihn als Manager im dunklen Maßanzug. Ergraute Haare, ernster Blick durch die randlose Brille. In der Haft trug derselbe Mann eine schwarze Gefängnisjacke. Nur die Brille und der Gesichtsausdruck waren gleich geblieben. Der Mann heißt Michail Chodorkowski.

Ein Jahrzehnt liegt zwischen den beiden Bildern. Das eine wurde im Juni 2003 in der Moskauer Zentrale des Ölkonzerns "Yukos" aufgenommen. Der damals 40-jährige Firmenchef Chodorkowski galt als reichster Mann Russlands. Sein Vermögen wurde auf acht Milliarden US-Dollar geschätzt. Das andere Bild entstand im August 2013 in einer Strafkolonie.

Michail Chodorkowski im Jahr 2003 in der Moskauer Zentrale des Ölkonzerns "Jukos" (Foto: MAXIM MARMUR/AFP/Getty Images)
Michail Chodorkowski im Jahr 2003 - noch auf freiem FußBild: Maxim Marmur/AFP/Getty Images

Vor zehn Jahren, am 25. Oktober 2003, wurde der Ölmagnat Chodorkowski verhaftet und in zwei Prozessen unter anderem wegen Steuerhinterziehung zu elf Jahren Haft verurteilt. Seine Firma wurde zerschlagen.

Oligarch aus der Jelzin-Ära

Matthias Schepp kennt Chodorkowski seit Mitte der 1990er Jahre. Der heutige Leiter des Moskauer Büros des Hamburger Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" traf Chodorkowski zu einer Zeit, als dieser zu den sogenannten Oligarchen zählte. "Er war damals von allen Oligarchen bestimmt der stillste und ruhigste", erinnert sich Schepp in einem Interview mit der Deutschen Welle. "Politische Ambitionen hat er in Gesprächen mit mir nicht erkennen lassen", sagt Schepp.

Doch der Geschäftsmann hielt sich nicht aus der Politik heraus. 1996 habe Chodorkowski zusammen mit anderen Oligarchen dem in Russland unbeliebten Präsidenten Boris Jelzin zur Wiederwahl verholfen, sagt Schepp. "Als Gegenleistung hat die Regierung den Oligarchen Filetstücke der russischen Industrie zu einem Schnäppchenpreis überlassen."

In wenigen Jahren baute Chodorkowski "Yukos" zum größten Ölkonzern in Russland auf. Es gab Gerüchte, dass er den Präsidenten Wladimir Putin herausfordern könnte. Chodorkowski dementierte, finanzierte aber die liberale Opposition. Bei einem Treffen Putins mit Oligarchen Anfang 2003 prangerte Chodorkowski öffentlich die Korruption an. Es kam zu einem verbalen Schlagabtausch. Wenige Monate später erfolgte die Verhaftung des "Yukos"-Chefs.

Ein Fünftel des Lebens hinter Gittern

Chodorkowski saß zunächst in Untersuchungshaft in Moskau, dann in einer Strafkolonie in Sibirien. Der ehemalige Milliardär nähte Fäustlinge. Zuletzt saß er im Straflager einer Kleinstadt namens Segescha in Karelien, rund 1200 Kilometer nördlich von Moskau, und faltete Papiermappen.

Portrait von Pawel Chodorkowski (Foto: DW)
Chodorkowskis Sohn Pawel steht in engem Kontakt mit seinem VaterBild: DW/N.Jolver

In diesem Jahr ist Chodorkowski 50 geworden. Ein Fünftel seines Lebens verbrachte er hinter Gittern. Hätte er dies vorher gewusst, hätte er sich möglicherweise erschossen, sagte der Häftling in einem Interview mit dem russischen Nachrichtenmagazin "New Times". Die Bemerkung war wohl ironisch gemeint. Chodorkowskis Sohn Pawel sagte der DW, sein Vater "sei kein Pessimist - trotz seines Schicksals".

Er führte in der Haft einen Überlebenskampf, meint der "Spiegel"-Korrespondent Schepp. Der Intellektuelle habe sich dabei mit Schreiben beholfen. In Interviews, Aufsätzen und Büchern analysiert Chodorkowski die russische Innenpolitik und wirft einen Blick auf die Zukunft der Menschheit.

Kein Schuldeingeständnis

Der Journalist Schepp steht seit 2011 mit Chodorkowski in Briefwechsel. Sein Eindruck: "Sicher scheint mir zu sein, dass die Haft ihn verändert hat." Doch Chodorkowskis "Zielstrebigkeit oder auch Sturheit" sei unverändert geblieben. Er beschreibt den Ex-Oligarchen als jemanden, der einen sehr festen Standpunkt habe und nicht nachgebe. "Es ist bezeichnend, dass er in diesen zehn Jahren offenkundig einen Deal mit dem Kreml ausgeschlagen hat", sagt Schepp.

Nach Presseberichten soll Chodorkowski die Möglichkeit gehabt haben, gegen ein Schuldeingeständnis freizukommen, um ins Ausland auszureisen. Er selbst bestritt das, und um Begnadigung hat der ehemalige "Yukos"-Chef den Präsidenten auch nicht gebeten.

"Kampf der Titanen"

Der Journalist Schepp spricht von einem dramatischen "Kampf der Titanen", um die Auseinandersetzung zwischen Putin und Chodorkowski zu beschreiben, die nun nach zehn Jahren ein Ende findet.

Chodorkowski hielt sich stets für einen politischen Häftling. Das haben auch die Opposition, westliche Staaten und Menschenrechtsorganisationen wie "Amnesty International" so gesehen. Besonders der zweite Prozess gegen Chodorkowski wurde kritisiert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg dagegen sah keine Anhaltspunkte, um dessen Verfolgung als politisch einzustufen.

Der Fall Chodorkowski spaltet Russland bis heute. Die einen halten ihn für einen Gauner, die anderen für einen Märtyrer. Manche wünschen sich, dass der ehemalige Top-Manager in die Politik geht. "Mein Vater wird heute eher als moralischer Anführer gesehen", sagte der DW Pawel Chodorkowski. Doch die Rolle eines Oppositionsführers strebe sein Vater nicht an, und Michail Chodorkowski selbst lehnt dies in seinen Büchern ab.

Chodorkowskis Haftstrafe war zunächst um zwei Monate verkürzt worden. Im August 2014 sollte er freikommen. Am Donnerstag (19.12.2013) kündigte Präsident Putin seine Begnadigung an. Am Freitag wurde er freigelassen.