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Christen ohne Kirchen

Bernd Riegert, z.Zt. Istanbul6. Oktober 2004

Christliche Gemeinden haben noch immer einen schweren Stand in der Türkei. Sie genießen nur wenige Rechte, behäbige Behörden verhindern die Verwirklichung von Religionsfreiheit. Doch es gibt Lichtblicke.

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Orthodoxe Kirche in IstanbulBild: AP

Der Ruf des Muezzin ist in Istanbul mit seinen über 1.000 Moscheen allgegenwärtig. Kirchenglocken hört man dagegen selten, auch wenn es einige dutzend christliche Gemeinden gibt. Die deutsche evangelische Gemeinde läutet jeden Sonntag die kleine Glocke ihrer über hundert Jahre alten Kirche. Ob das erlaubt ist oder nicht, wisse man nicht, man tue es einfach, so ein Gemeindemitglied. Der Pfarrer Holger Nollmann erklärt, dass ein Antrag bei den türkischen Behörden zu stellen sowieso unmöglich sei, da es die christliche Gemeinde offiziell gar nicht gibt. So könnten in der Türkei Religionsgemeinschaften keine Rechtspersönlichkeiten sein. "Die evangelische Gemeinde deutscher Sprache ist zwar de facto existent. Wir werden von den jetzigen Behörden durchaus wohlwollend behandelt, aber rechtlich sind wir inexistent", sagt Nollmann.

Kaum Rechte für Christen

Blaue Moschee in Istanbul
Blick auf die als Blaue Moschee bekannte Sultan-Ahmet-Moschee in Istanbul mit ihren - weltweit einmalig - sechs Minaretten. Lediglich die Große Moschee in Mekka hat, als ranghöherer Bau, sieben Minarette.Bild: dpa

Die Gemeinden sind rechtlich nicht Eigentümer ihrer Kirchengebäude und bekommen keine Baugenehmigung für Renovierungen. Pfarrer Nollmann musste vor zwei Jahren noch mit Diplomatenpass einreisen, um überhaupt in der Türkei arbeiten zu können. Doch das hat sich geändert, seitdem im letztem Jahr ein neues Ausländer-Arbeitsrecht in Kraft getreten ist, nach dem bestimmte Personengruppen, Seelsorger, Geistliche eine legale Aufenthaltsgenehmigung bekommen können. "Das haben wir für die Südküste bereits in Anspruch genommen. Wir werden sehen, ob sich das in Zukunft auch als tragfähig hier in Istanbul erweisen kann", so Nollmann.

In der Touristenstadt Antalya am Mittelmeer gibt es den ersten offiziellen deutschen Pfarrer. Der durfte aber bislang noch kein Kirchengebäude errichten. Die rechtlich Unsicherheit macht auch der griechisch-orthodoxen Kirche in Istanbul zu schaffen. Ihr Patriach Bartholomäus I., der nach dem Papst als zweithöchster Bischof der Christenheit gilt, hält die Türkei durchaus für einen Teil Europas: "Wir glauben, dass die beiden Religionen Islam und Christentum zusammen in der europäischen Familie existieren können. Es gibt ja so viele praktische und soziale Probleme, zu deren Lösung die beiden monotheistischen Religionen beitragen können."

Behörden als Hindernis

Der Pressesprecher des Patriarchen, Pater Dositeos, nennt ein Beispiel, wie die türkischen Behörden die Kirche in der Praxis behindern. Vor einem Jahr wurde bei dem Terroranschlag auf das britische Konsulat in Istanbul auch eine orthodoxe Kirche schwer beschädigt: "Das englische Konsulat hat sofort Antrag gestellt, um das Konsulat neu zu bauen. Und wir haben Antrag gestellt, um die Kirche (St. Maria) instand zu setzen. Wir haben immer noch keine Antwort. Die anderen haben das Konsulat gebaut. Das sagt eigentlich alles."

Seit 33 Jahren versucht die griechisch-orthodoxe Kirche ihr Priesterseminar auf einer Insel vor Instabul wieder zu eröffnen. Rund 30 Anträge wurde bislang gestellt. Eine offizielle Antwort gab es nicht. Die Ausbildung von Priestern war nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaften untersagt. Der stellvertretende Ministerpräsident der Türkei, Ali Sahin, stellt in Ankara jetzt zumindest eine Prüfung in Aussicht: "Wenn die Griechisch-Orthodoxen eine Priesterschule eröffnen wollen, dann müssen wir erst einmal prüfen, ob es dafür Bedarf gibt, ob die Gesellschaft diese Priester braucht. Wenn das so ist, dann müsste der Staat die Schule erlauben. Das gehört mit zu den Prinzipen des Laizismus."

Religionsfreiheit stiefmütterlich behandelt

Die Europäische Union hatte der Türkei in den letzten Fortschrittsberichten nur wenige Fortschritte bei der Religionsfreiheit bescheinigt. Der sunnitische Islam, der vom laizistischen Staat akzeptiert wird, werde eindeutig bevorzugt, glaubt der evangelische Pfarrer Nollmann: "Über 99 Prozent der Bevölkerung ist nominell muslimisch, insofern hat die Mehrheitsreligion immer Wege gefunden, um die Schwierigkeiten, die ihnen die reine Rechtslage auferlegt, zu umgehen. Inwieweit die Türkei jetzt bereit ist, mit Minderheiten konstruktiv umzugehen, das wird sich zeigen und da ist ja auch schon einiges auf dem Weg."