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Politik

"Beide Seiten in Albanien müssen eine Vereinbarung wollen"

24. Mai 2019

Man kann nicht durch Gewaltsituationen eine Veränderung der Parlamentsmehrheit in Albanien anstreben, sagt Christian Schwarz-Schilling im DW-Gespräch.

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DW Interview Jasmina Rose mit Christian Schwarz-Schilling
Christian Schwarz-SchillingBild: DW

DW: In Albanien ist gerade eine Pattsituation. Die EU, sprich: Kommissar Hahn, drängte in einem DW-Interview auf eine Lösung zwischen der Regierungsmehrheit und der Opposition. Sie sind ein international anerkannter Streitschlichter. Sehen Sie hier einen Spielraum zur Einigung? 

Christian-Schwarz-Schilling: Streitschlichtung ist auf dieser Ebene nur möglich, wenn beide Seiten wirklich eine Vereinbarung wollen. Wenn eine Seite Forderungen stellt, dass die andere Seite kapitulieren solle, am besten zurücktreten solle, und das als Voraussetzung für gemeinsame Beratungen stellt, dann ist das eine Methode, die nicht funktioniert und die nicht anzustreben ist. Mich wundert es doch sehr, was für Äußerungen von der Partei der Opposition kommen, wenn ich etwa die Äußerungen vom ehemaligen Ministerpräsidenten Sali Berisha höre, der in einer unglaublichen harten Form revolutionäre Losungen ausgibt und damit die Institution des Parlaments zerstört und nicht zur Auseinandersetzung verschiedener Meinungen im Parlament auffordert.

Die Oppositionspolitiker haben eh ihre Mandate endgültig abgegeben. 

Das war ja sowieso ein Fehler. Ich kann Ihnen sagen, dass damals die Rolle ja umgekehrt war. Da war Edi Rama, der heutige Ministerpräsident, der Anführer der Opposition. Sie wollten zu der Zeit auch die Mandate zurückgeben. Ich hatte damals eine entsprechende Streitschlichtung zwischen Sali Berisha und dem damaligen Oppositionsführer Edi Rama durchgeführt. Danach hatte Edi Rama eine sehr viel vernünftigere Haltung und hat das Parlament nicht mehr boykottiert, sondern ist ins Parlament zurückgekehrt. Die heutige Opposition kann sich ein Beispiel an der Haltung des damaligen Oppositionsführers Edi Rama nehmen.

Dennoch verlangt der Erweiterungskommissar Johannes Hahn, dass auch die Regierung auf die Opposition zugehen kann. Was würden Sie Edi Rama, den Sie ja persönlich kennen und auch schätzen, vorschlagen? 

Er soll soweit wie möglich die Institution des Parlaments in den Vordergrund stellen und sagen, dass das Parlament mit seiner Mehrheit eine eigene Meinung formulieren muss für das Land. Man kann nicht durch Gewaltsituationen eine Veränderung der Parlamentsmehrheit anstreben. Man kann sehen, was die Minderheit für wirkliche Argumente gegenüber dem Land Albanien hat, und diese muss dann die Mehrheit auch in entsprechender Weise würdigen und die Regierung herangezogen werden. Aber man kann jetzt nicht die Minderheit des Parlaments als die Mehrheit darstellen und auf diese Weise im Grunde genommen die parlamentarische Institution kaputtmachen. Das geht nicht. Mehrheiten können nur durch Wahlen verändert und festgestellt werden. Und diese waren nun mal so gewesen und daran muss sich die Opposition gewöhnen.

Bosnien und Herzegowina Christian Schwarz-Schilling
Christian Schwarz-Schilling: "Das Parlament mit seiner Mehrheit muss eine eigene Meinung für das Land formulieren"Bild: Getty Images/E. Barukcic

Auch wenn, wie die Opposition gerade behauptet, Wahlstimmen in einigen Bezirken gekauft wurden?

Soweit ich weiß, gibt es da keine besonderen Veranlassungen dazu. Es werden immer gewisse balkanesische Methoden benutzt, das ist bekannt, aber ich habe nicht gehört, dass das jetzt von Edi Rama in besonderer Weise gemacht wurde, so dass das Wahlergebnis verändert worden sei.

Und die Abhörprotokolle der Staatsanwaltschaft, wonach zu hören war, dass die Stimmzettel mithilfe Organisierter Kriminalität gekauft wurden?

Das wird behauptet. Das wird man beweisen müssen. Wenn das so ist, dann muss die Opposition Beweise liefern und einen Antrag auf ein Überprüfungsverfahren stellen. 

Die Protokolle reichen Ihnen also nicht aus? 

Nein. 

Trotzdem herrscht in Albanien eine Unzufriedenheit, und zwar nicht nur unter der Opposition.

Also, ich habe Erfahrung mit mehreren Staaten des Westbalkans. Ich bin sehr stark verbunden mit Bosnien-Herzegowina. Ich muss Ihnen sagen, was sich dort abspielt, steht in keinem Verhältnis zu dem, was in Albanien passiert. Wenn ich etwa an die rechten kroatischen Parteien denke, an die HDZ in Kroatien und die HDZ in Bosnien-Herzegowina, die sich zusammentun, um eine Zerstörung des Staates von Bosnien Herzegowina und nicht den Aufbau anstreben. Ich habe durch verschiedene Projekte im Gegenteil in Albanien den Eindruck gewonnen, dass dort sehr ernste Reformanstrengungen unternommen werden. Das ist bei dem Vetting-Prozess in der Richterschaft, bei der Justiz, deutlich zum Ausdruck gekommen. Das ist unglaublich schwer, aber das haben die Regierung und in ihr die Justizministerin sehr gut hinbekommen. 

Haben Sie mit dem Oppositionsführer Basha auch darüber gesprochen?

Ja, ich habe ihn zwei Mal getroffen. Mein Eindruck ist, dass er ein scharf denkender Mensch ist, dass er aber nur seine Karriere nach oben treiben will und meint, das ist jetzt die Gelegenheit. Ich habe nicht den Eindruck, dass er so für das Land brennt, damit die Reformen vorankommen. Ich habe den Eindruck, dass die Opposition revolutionäre Entwicklungen befördern will, um einen entsprechenden Sturz der Regierung herbeizuführen. Das können wir nicht unterstützen. Wir müssen die Institutionen eisern verteidigen und, wo Fakten dargestellt werden, muss man diesen nachgehen, aber nicht der Polemik und Demagogie, um die Institutionen auf diese Weise zu zerstören. Das ist sehr gefährlich. Aus dem Grunde bin ich der Auffassung, dass das, was positiv von der Regierung in Albanien geleistet wird, anerkannt werden muss und von der Opposition nicht in dieser Weise verunglimpft werden darf. 

Höchstwahrscheinlich wird der Bundestag im September über die Eröffnung der Gespräche entscheiden. Was soll bis dahin passieren, damit Ihre Kollegen von der CDU/CSU Albanien grünes Licht geben?

Bis dahin wird die Wahrheit ans Licht kommen, und zwar: Wer wirklich Reformen will und wer den Umsturz will. 

Das Gespräch führte Anila Shuka

Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling war von 1982 bis 1992 Bundesminister für Post und Telekommunikation. Aus Protest gegen die Haltung der Bundesregierung im Bosnien-Krieg trat er vom Ministeramt zurück. 2006/07 amtierte er als Hoher Repräsentant und Sonderbeauftragter der Europäischen Union für Bosnien-Herzegowina.