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Claudia Roth, die designierte Kulturstaatsministerin

25. November 2021

Erstmals soll eine Grünen-Politikerin die Geschicke der Bundeskultur lenken: Deutschlands künftige Kulturstaatsministerin heißt Claudia Roth. Was kann sie erreichen?

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Claudia Roth, deutsche Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen.
Bild: picture-alliance/Ulrich Baumgarten

"Mehr Fortschritt wagen", unter dieses Motto hat die neue Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Liberalen ihre vierjährige Amtszeit gestellt. Was das für die Kultur heißt, lässt sich im Koalitionsvertrag, der an diesem Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, aus fünf Seiten herauslesen. Demnach könnte es in diesem Bereich schon bald "alternativer, gerechter und diverser" zugehen. Bei wichtigen Projekten steht die Ampel dagegen auf "Weiter so!". Umsetzen soll diesen "Aufbruch" nun Claudia Roth. Sie wäre die erste grüne Kulturlenkerin auf Bundesebene überhaupt.

Wer ist die Neue? Vor allem aber: Was wird, was kann sie anders machen als ihre langjährige Amtsvorgängerin Monika Grütters (CDU)? Die Merkel-Vertraute Grütters, das ist unbestritten, hat dem Amt der obersten Kulturverwalterin, das vor über 20 Jahren unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder und entgegen vieler Vorbehalte eingerichtet wurde, zu hohem Ansehen verholfen. Zwar ist Kultur der deutschen Verfassung nach Ländersache - doch viele Themenfelder im komplexen und hochpolitischen Kulturbereich kann eben nur der Bund beackern. Monika Grütters hat das in den letzten acht Jahren vorgeführt.

Corona-Hilfen für die Kultur

So kommt es, dass auch Claudia Roth - zumal auf dem Höhepunkt der vierten Pandemiewelle - nicht anders können wird, als Bewährtes weiterzuführen, allem voran die milliardenschwere Corona-Wiederaufbauhilfe für Kulturschaffende- und Institutionen. Sie trägt noch Grütters Handschrift. "Die Neustart-Programme führen wir zunächst fort, um den Übergang nach der Pandemie abzusichern", heißt es dazu im Koalitionsvertrag. Soll heißen: Der Corona-geschädigten Kultur- und Kreativwirtschaft will auch das rot-grün-gelbe Regierungsbündnis schnell wieder auf die Beine helfen.

Claudia Roth and Monika Grütters
Die Neue und ihre Vorgängerin: Claudia Roth (B90/Grüne) und Monika Grütters (CDU)Bild: DW/K. Danetzki

Die Kulturstiftung des Bundes und den Bundeskulturfonds - aus beiden fließt viel Geld an Einrichtungen und Projekte von nationaler Bedeutung - möchte die Koalition "als Innovationstreiber ausbauen". Damit sollen jedoch ab sofort auch "Strukturen der Freien Szene" gestärkt werden. Gemeint sind Clubs, Livemusik und Galerien - das ist neu, und es klingt nach einer Akzentverschiebung: Weniger Hochkultur- und Flaggschiffpflege, dafür mehr Engagement in der Fläche: "Wir wollen Kultur mit allen ermöglichen", versprechen die Bündnispartner im Koalitionsvertrag, "unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksform, von Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen".

Kultur soll Staatsziel werden. Und: "Wir treten für Barrierefreiheit, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit ein." Die Kulturbranche wird dazulernen müssen. "Die Staatsskepsis der FDP, die traditionelle Sympathie der Grünen für Alternativkultur und ein altlinkes Misstrauen bei der SPD gegenüber vermeintlich bourgeoiser Hochkultur", schrieb die Süddeutsche Zeitung ironisch, "finden hier zu einem erstaunlichen Dreiklang zusammen."

Wie grün ist die oberste Kulturverwalterin?  

Bis zuletzt hatte Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) als heißester Kandidat für das Amt des Kulturstaatsministers gegolten. Dass nun die Grüne Claudia Roth auf den Posten rücken soll, hat viele überrascht, vielleicht sogar sie selbst. Die einstige Managerin der Rockband "Ton, Steine Scherben" gehört zum Urgestein der Umweltpartei. Zweimal - von 2001 bis 2002 und von 2004 bis 2013 - stand sie als Co-Vorsitzende an der Spitze von Bündnis 90/Die Grünen. Seit Oktober 2013 war sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags.

Die Band Ton Steine Scherben bei einem Live-Auftritt in den 1980er Jahren
Die Band "Ton Steine Scherben" bei einem Live-Auftritt in den 1980er JahrenBild: picture-alliance / jazzarchiv

Die aus dem bayerischen Memmingen stammende Roth, Jahrgang 1955, blickt auf eine bewegte Kulturvergangenheit zurück. Zwar brach sie ein Theater- und Geschichtsstudium in München schon nach zwei Semestern ab, sammelte dann aber Theatererfahrungen an Bühnen in Westfalen. Sie war Mitarbeiterin in einem Vermittlungsbüro für Freie Gruppen und Amateurtheater. Ab 1982 managte Roth drei Jahre lang die Politrockband "Ton Steine Scherben" um den Sänger Rio Reiser. Sie war mit dem Keyboarder Martin Paul befreundet. Die Band lebte in einem Bauernhaus in Nordfriesland, bis sie sich 1985 auflöste.

Heute gilt die kulturaffine Claudia Roth als engagierte Streiterin für Menschenrechte. An vielen Stellen hat sie sich für die Anliegen von Minderheiten und gegen Fremdenfeindlichkeit eingesetzt, unter anderem im Europaparlament, im Menschenrechtsausschuss des Bundestags oder als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Ebenso war sie Obfrau ihrer Partei im Bundestagsunterausschuss "Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik". "Multikulti" ist für Claudia Roth kein Schimpfwort, ganz im Gegenteil.

Viel Arbeit auf den Dauerbaustellen

Die designierte Kulturstaatsministerin wird sich auch um die Dauerbaustellen ihrer Vorgängerin kümmern müssen - sei es die Reform des Urheberrechts, die Rückgabe kolonialer Raubkunst oder die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Nicht weniger drängend ist die Situation freier Kunstschaffender und Kreativer: Hier plant die Koalition weitreichende Reformen. Förderung soll es nur noch bei Einhaltung bestimmter Mindesthonorare geben, die Künstlersozialkasse, die Sozialversicherung von Kultur- und Medienschaffenden, möchte man finanziell stärken und die Zuverdienstgrenze aus nicht künstlerischer Arbeit anheben.

Afrikanische Plastiken, ausgestellt im Berliner Humboldt Forum
Die Rückgabe kolonialer Raubkunst ist eine der Dauerbausstellen der neuen KulturstaatsministerinBild: Jörg Carstensen/dpa/picture alliance

Die Auswärtige Kulturpolitik schließlich versteht die neue Koalition als "dritte Säule" ihrer Außenpolitik. Konsequenz: Die Mittlerorganisationen, insbesondere das Goethe Institut und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) sollen "gestärkt" werden. Die Deutsche Welle findet als "Kooperationspartner" für die Strategische Kommunikation im Koalitionsvertrag Erwähnung.

Kein Thema ist dort dagegen der künftige Zuschnitt des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM). Vor der Wahl hatten SPD und Grüne noch mit dem Gedanken gespielt, das BKM zu einem "echten" Bundeskulturministerium aufzuwerten und darin mehr Zuständigkeiten zu "bündeln".  Nun soll die Kultur vor allem zur Modernisierung der Gesellschaft beitragen, ein Anliegen der Grünen. "Richard Wagner", heißt es in einem ironischen Kommentar des Bayerischen Rundfunks, "hätte von den Grünen wohl keine Subventionen bekommen. Stattdessen wird in den nächsten vier Jahren sehr viel diskutiert, partizipiert, analysiert und diversifiziert, auf dass die Vielfalt blühe."