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Collender: "Nur eine kleine Schlacht im großen Haushaltskrieg"

Antje Passenheim12. Dezember 2013

Überraschende Wende im US-Haushaltsstreit: Demokraten und Republikaner haben sich ganz undramatisch geeinigt. Ein Aufschieben der wirklichen Probleme, meint Finanzexperte Stan Collender im DW-Gespräch.

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Der republikanische Abgeordnete Paul Ryan und die demokratische Senatorin Patty Murray
Der republikanische Abgeordnete Paul Ryan und die demokratische Senatorin Patty Murray verkündeten die Einigung im HaushaltsstreitBild: AP

DW: Dieser Waffenstillstand beim Thema Haushalt war für viele eine Überraschung. Für Sie auch?

Stan Collender: Nein. Es ging hier von Anfang an um nichts, was so groß ist, dass es massive politische Kontroversen hervorruft, wie es bei vorangegangenen Haushaltsdebatten der Fall war, die der Kongress und der Präsident in den vergangenen drei, vier Jahren ausgetragen haben. Die Tatsache, dass sie zu einem Waffenstillstand gekommen sind, wie Sie es nennen, macht für mich großen Sinn. Dadurch ist die Haushalts-Frage nämlich für die kommenden Jahre runter von der Liste mit den höchsten Prioritäten. Die Angelegenheit wird nahezu eliminiert, bis die Kongresswahlen im nächsten Jahr vorbei sind.

Meinen Sie damit, dass der Kongress sich eine Verschnaufpause verschafft, um sich auf diese Wahlen zu konzentrieren?

Ich denke weniger, dass sie eine Pause brauchen. Es ist vielmehr so, dass sich der Haushalt zu einer Angelegenheit entwickelt hat, die keiner Seite geholfen hat - vor allem den Republikanern nicht, die sich politisch besonders darauf eingeschossen hatten. Also haben sie - vor allem die Republikaner - entschieden, bei einer Reihe von wichtigen Punkten einzulenken, um den Haushalt als Thema erstmal vom Tisch zu haben. Dadurch können sie sich besser auf Angelegenheiten wie Obamacare konzentrieren.

Stan Collender (Foto: Qorvis Communications Washington)
Finanzexperte Stan CollenderBild: thebudgetguy

Wird das die Konjunktur beflügeln?

Die Einigung beim Haushalt hat keine direkten Auswirkungen auf die Wirtschaft. Das Defizit wird nur geringfügig über zwei Jahre reduziert - nahezu unbedeutend gering. Doch der Deal beseitigt die Unsicherheit der vergangenen zwei Jahre, eingeschlossen der Möglichkeit von Schließungen der Regierung oder Sequestern, also Kürzungen nach dem Rasenmäherprinzip. Diese Sachen drohen jetzt erst einmal nicht mehr. Das sollte es US-Unternehmen leichter machen, zu klären, was sie wollen, ohne sich sorgen zu müssen, was Washington vorhat.

Die schlechte Nachricht für viele ist, dass es keine nennenswerte Senkung der massiven Schulden gibt. Wie sehen Sie das?

Die getroffene Einigung trägt nicht zur Reduzierung der Schulden bei. Und sie verringert auch nur marginal den vorhergesagten Anstieg neuer Schulden. Denn am Defizit ändert sich praktisch nichts. Die Einigung war aber auch nicht als großer Wurf angelegt. Das hatte man schon versucht. Man hat versucht, mit großen Steuererhöhungen durchzukommen, und mit Einschnitten in der Sozialversicherung. Damit hätte man keine Einigung erzielt. Also bleiben die Schulden weiter ein Problem. Aber es wird mit den Jahren immer kleiner werden. Wenn die US-Wirtschaft tatsächlich so wächst wie prognostiziert, wird das Defizit prozentual zum Bruttoinlandsprodukt immer kleiner werden.

Und bis zum Jahr 2018 wird es einen Punkt erreicht haben, an dem die meisten Wirtschaftsexperten sagen: Macht euch keine Sorgen darüber. Das wirkliche Problem ist, dass das Defizit ab 2019/20 wieder größer wird, wenn die Ausgaben für die Sozialversicherung steigen (Anm. d. Red.: Dann gehen Millionen US-Bürger aus den geburtenstarken Jahren zwischen dem Zweiten Weltkrieg und 1964 in den Ruhestand). Mit anderen Worten: Der Kongress und der Präsident sagen, wir erledigen das ein andermal. Natürlich werden sich 2018,19 oder 20 ein anderer Präsident und ein anderer Kongress damit herumschlagen müssen.

Ist die Einigung im Haushaltsstreit ein Zeichen dafür, dass Demokraten und Republikaner jetzt besser zusammenarbeiten?

Nein, nein, nein. Es ist ganz wichtig, dass wir nicht soviel in dieses Abkommen hineininterpretieren. Sie haben etwas vorgelegt, das aussieht wie eine überparteiliche Einigung, getragen von beiden Parteien in beiden Häusern, weil sie die Sache klein und die kontroversen Themen außen vor gelassen haben. Das sagt aber nichts darüber aus, wie die beiden Parteien zusammenarbeiten, wenn es um wirkliche Streitthemen geht. Jeder, der da mehr hinein interpretiert oder gar denkt, dies sei der Beginn von parteiübergreifender Zusammenarbeit, der versteht das amerikanische Regierungssystem nicht. Es herrscht noch haargenau dieselbe überdrehte parteistrategische Linie der vergangenen vier bis fünf Jahre. Und das wird sich auch in nächster Zeit nicht ändern.

Ist die Einigung über den neuen Haushalt das Ende eines langen Dramas oder müssen die US-Bürger mehr erwarten?

Es wird in den kommenden Jahren noch weitere Dramen im Zusammengang mit dem Haushalt geben. Die Einigung betrifft nur einen kleinen Teil davon. Es ging diesmal beispielsweise nicht um die Schuldenobergrenze, nicht um Ausgabengesetze, nicht um eine Steuerreform. Die jetzige Einigung beseitigt nur einige der größeren Probleme. Aber die Haushaltsfrage wird in den kommenden Jahren noch Stoff für viele Dramen liefern. Jetzt wurde nur eine kleine Schlacht im Haushalts-Krieg ausgetragen, der Washington in den kommenden Jahren noch in Atmen halten wird.

Stan Collender gilt als einer der führenden Experten für den US-Haushalt. Er arbeitete in den Finanzkomitees beider Häuser des Kongresses mit - darüber hinaus in zahlreichen Finanzunternehmen - unter anderem an der Wall Street -, in Regierungsbehörden und Nichtregierungsorganisationen. Collender ist Partner und Direktor für Finanz-Kommunikation bei der PR-Agentur Qorvis.

Das Gespräch führte Antje Passenheim.