Ralf König wird 50
8. August 2010Inzwischen fühlt er sich schon manchmal gefangen im "Homo-Ghetto", klagt Ralf König neuerdings in Interviews. Denn, nachdem er "wirklich jede schwule Marotte in ungefähr dreißig Comics gezeichnet" hat, fällt ihm - nach eigenem Bekunden - "nicht mehr viel Neues dazu ein." Doch was nun, wenn der eigene Name doch als Aushängschild untrennbar mit der deutschen Schwulenbewegung verbunden ist, die in den 1980er und 1990er Jahren ein ganz neues, hedonistisches Selbstwertgefühl für sich entdeckte?! In der Szene wurde König schnell zum Kultautor, weil seine Comic-Helden keinen Hehl aus ihren Homo-Gelüsten machten und diese – derb und drastisch ins Bild gesetzt – sinnfreudig auslebten. Etwas, was ein paar Jahre vorher noch als strikt tabu galt.
Spaß am Schwulsein
König, streng katholisch in der westfälischen Kleinstadt Soest aufgewachsen, hat die Zeit der alltäglichen Diskriminierungen noch selbst erlebt, als "schwul" noch allgemein ein Schimpfwort war. "Da gab es höchstens Psycho-Ratschläge und trockene Literatur zum Thema, aber überhaupt nichts, was zeigte, dass Schwulsein auch Spaß machen kann", erinnerte er sich 1994 in einem Interview. "Und da bin ich mit meinen Comics ganz unbewusst in etwas Neues reingeschliddert und war dann ziemlich schnell ein Geheimtipp."
Das Coming out
Sein eigenes Coming Out in der ländlichen Provinz hatte König vorher radikal wie "Heftpflaster-Abreißen" durchgezogen, wie er selbst sagt. Nach der Hauptschule machte er zuerst eine Tischlerlehre, bevor er an die Kunstakademie in Düsseldorf ging. Mit 19 Jahren hatte der angehende Comic-Künstler dann das Versteckspiel satt. Und heftete einen Zettel an seine Hobelbank, auf dem – für alle lesbar – stand: "Schwul zu sein, bedarf es wenig, ich bin schwul und heiße Ralf König!" Die Betriebskollegen waren geschockt, aber König findet rückblickend, dass es gut war, "nicht lange damit herumzudoktern."
Frivol und frech
Provokation durch Humor: Diese bewährte Satire-Devise wurde auch künstlerisch für den einstigen Akademieschüler zum Erfolgsrezept. Kein anderer deutscher Cartoonist zeichnete ab Mitte der 1980er Jahre den eigenen schwulen Alltag so frech und frivol wie Ralf König. Kein anderer Comiczeichner war deswegen schon bald so beliebt beim Lesepublikum, auch bei Heteros. Denn Königs Hefte mit so verheißungsvollen Titel wie "Bullenklöten", "Beach Boys", "Safere Zeiten" oder "Kondom des Grauens" gewährten einen Schlüsselloch-Blick, der zwar ins Schlafzimmer der Homo-Subkultur schaute, aber sich doch nicht wie pornografischer Voyeurismus anfühlte. Das liegt zum einen an der berühmten Knollennase, mit der der Kölner Zeichner – ähnlich wie schon die Genre-Großmeister Loriot oder Mordillo – alle seine Figuren ausstattet, was ihnen eine rotzige, anarchisch-kindliche Unschuld verleiht. Selbst härteste Schwule in Lederklamotten verlieren aufgrund des drolligen Zinkens bei König schnell ihren Schrecken.
Kultlektüre der postmodernen Spaßgesellschaft
Darüber hinaus umflort alle Comic-Helden des bekennenden Peanuts- und Woody-Allan-Fans der Charme leicht tölpeliger Großstadtneurotiker. Sei es nun der häusliche Konrad, der seinem umtriebigen Freund Paul immer wieder alle Seitensprünge verzeiht. Oder sei es der schöngeistige Norbert Brommer aus "Der bewegte Mann", der sich unglücklich in seinen prolligen Hetero-Nachbarn Axel verliebt.
Unverkrampft die eigenen Lüste fernab bürgerlicher Moralzwänge ausleben: Danach sehnen sich alle Comic-Helden von Ralf König. Und auch, wenn sie dabei oft tragikkomisch scheitern: Es macht sie nicht nur zu Identifikationsfiguren der Schwulengemeinde, sondern auch zu amüsanten Vertretern der postmodernen Spaßgesellschaft eines sexuell befreiten Anything Goes.
Raus aus dem "Homo-Ghetto"
Nachdem die Schlachten der Schwulen-Emanzipation inzwischen geschlagen sind – und die deutsche Politik nicht nur einen homosexuellen Berliner Bürgermeister, sondern auch einen homosexuellen Außenminister kennt, sieht König die freie Selbstentfaltung des Einzelnen nun schon etwas länger durch ganz andere Gesellschaftstendenzen bedroht: nämlich vor allem durch einen wieder erstarkten religiösen Fanatismus. 2005 brachte er, pünktlich zum Karikaturen-Streit, den Islam-kritischen Comic "Dschinn Dschinn" heraus.
2007 folgte mit "Prototyp" der erste Band einer Bibel-Trilogie, in der König den alttestamentarischen Schöpfergott spöttisch aufs Korn nimmt. "Ich bin ja nicht nur schwul, ich habe ja auch noch andere Interessen an der Welt und an dem, was um mich herum passiert!", betont der Cartoonist neuerdings in Interviews. "Und das, was mich gerade am meisten aufregt und ärgert, ist die zunehmende Dreistigkeit von Religion, jeder Art Religion. Und ich finde, dass die Trennung von Kirche und Staat durchaus wieder ein Thema ist. Meine gezeichneten Bibel-Interpretationen verstehe ich als Statement dazu."
Kritik am Schöpfergott
Comic-Statements von König, die es durchaus in sich haben. Im ersten Bibelband "Prototyp" tritt der Schöpfergott bei ihm als eitler Ego-Künstler auf, der keine Kritik von Adam und der Schlange im Paradies verträgt. Im Nachfolger "Archetyp" ist Noah ein griesgrämiger Spaßverderber, der freiwillig um die Sintflut bittet. Und wenn im September das dritte Bibel-Heft von König über Paulus erscheint, gibt der Apostel höchstwahrscheinlich auch eine höchst anfechtbare Witzfigur ab. Die Helden des Kölner Zeichners sind nun öfter heterosexuell und ihre Probleme philosophischer geworden. Von einsetzender Altersmilde aber ist beim Altmeister glücklicherweise nichts zu spüren, dessen Cartoons weiterhin erfrischend respektlos die Untiefen sozialer Konventionen ausloten.
Autorin: Gisa Funck
Redaktion: Conny Paul