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Ukrainekrieg: Was ist erlaubt auf virtuellem Schlachtfeld?

Roman Goncharenko
27. Mai 2023

Geschmacklos oder gut? Ein neues Computerspiel, in dem russische Streitkräfte mit Drohnen angegriffen werden, hat eine Debatte ausgelöst. Die DW sprach mit Experten über ethische Grenzen des Projekts.

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Computerspiel "Death from Above"
Szene aus dem neuen Computerspiel "Death from Above" (Tod von oben)Bild: Hendrik Lesser

Eine Firma aus Deutschland hat ein Computerspiel mit dem Namen Death from Above" (Tod von oben) über den Krieg in der Ukraine entwickelt. Die Drohnen-Simulation startete am Donnerstag auf der Internet-Vertriebsplattform "Steam" im "Early Access"-Modus, also noch in der Entwicklungsphase.

Noch vor dem Erscheinen des Spiels gab es in westlichen Medien angesichts des anhaltenden Krieges in der Ukraine eine Diskussion über die ethischen Fragen, die sich aus der Entwicklung des Spiels ergeben. Einige halten es für "geschmacklos", andere hingegen loben den "satirischen Ansatz" und vergleichen das Spiel mit dem Film von Charlie Chaplin und der Hitler-Parodie.

"Es ist ein Propagandaspiel", sagt Hendrik Lesser, Gamer und Inhaber des Münchner Indie-Unternehmens "Remote Control Productions", das mehr als ein Dutzend kleinere Firmen aus dem Bereich PC-Spiele in sechs Ländern vereint.

"Wir machen ganz bewusst ein einfaches Spiel, das jeder spielen kann, und in dem wir eine klare Haltung einnehmen. Bis zu einem gewissen Grad setzen wir uns humoristisch mit dem Thema auseinander."

Gamer Hendrik Lesser
Entwickler Hendrik Lesser ist Inhaber des Münchner Indie-Unternehmens "Remote Control Productions"Bild: Hendrik Lesser

Die Handlung: Ein Spieler schlüpft in die Rolle eines ukrainischen Soldaten, der eine Drohne steuert, russische Kriegstechnik und Kämpfer bombardiert und am Ende die Funkverbindung wiederherstellt.

Die "Heilige Javelina" aus den USA

Die erste Version des Spiels ist zweisprachig – Englisch und Ukrainisch. Man spielt 90 Minuten einen ukrainischen Soldaten und wirft Bomben auf mit den Buchstaben "V" und "Z" markierte russische Panzer, aber auch auf diejenigen, die in der Beschreibung "russische Besatzungstruppen" genannt werden.

Die Handlung findet an fiktiven Orten statt. Das Spiel ist mit ukrainischen Symbolen gespickt: Es gibt ein Sonnenblumenfeld, und die Drohne hinterlässt eine Spur in Farben der Nationalflagge.                  

Es gibt auch viel davon, was Lesser "Humor" nennt, zum Beispiel ein Meme der "Heiligen Javelina" (so wird in der Ukraine die verehrte US-Panzerabwehrwaffe Javelin genannt - Anm.d.Red.), oder ein Fahndungsposter für den Internationalen Strafgerichtshof mit dem Bild des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Der Entwickler sieht sein Spiel als Teil der sogenannten Nafo-Tradition, einer proukrainischen Internet-Community, die russische Propaganda bekämpft und für ihre Memes bekannt ist. Das Akronym steht für "North Atlantic Fellas Organization" und ist ein loser Zusammenschluss von Tausenden Internet-Nutzern, die auf Twitter russische Desinformationskampagnen bekämpfen. Ihr Erkennungszeichen ist ein gezeichneter Hund.

Spenden für ukrainische Armee

Ukrainer haben am Spiel mitgearbeitet, im Design und bei Musik. Bekanntester Interpret ist die Band "Antytila" (Antikörper), deren Kriegslieder, zum Beispiel "Festung Bachmut", in der Ukraine sehr beliebt sind. Im Mai 2022 trat die Band in der Kiewer U-Bahn mit der irischen Rocklegende U2 auf.

Bono und Taras Topolja von "Antytila" in Kiew, Mai 2022
Der irische Sänger Bono und der ukrainische Soldat und Sänger Taras Topolja von der Band "Antytila" bei einem gemeinsamen Auftritt in einer U-Bahn-Station in Kiew im Mai 2022Bild: VALENTYN OGIRENKO/REUTERS

Für das Computerspiel schrieb "Antytila" den Song "Mein Falke" - der Name des Spiels in der ukrainischen Version. Sänger Taras Topolja sagte der DW, man habe schnell entschieden, mitzumachen. Das Wichtigste sei, dass durch das Spiel Spenden für die ukrainische Armee generiert würden.

Der Entwickler verspricht, zunächst 30 Prozent und nach dem Break-Even-Point 70 Prozent des Profits für zwei ukrainische Initiativen zu spenden, die "nicht-offensive Hilfe" für die ukrainische Armee leisten. Es geht um die ukrainische Stiftung "Come back alive" sowie das Projekt "Army of Drones".

Man habe ihm versichert, dass mit dem Geld Aufklärungs-, aber keine Angriffsdrohnen gekauft werden können, sagt Lesser und räumt ein: "Sicherstellen kann ich es nicht."

"Teil des Informationskrieges"?

Es sei "vielleicht ein bisschen geschmacklos, einen laufenden Krieg in einem relativ belanglosen Spiel abzubilden", meint Benjamin Strobel, Kieler Psychologe und Experte bei einem Computerspiele-Projekt im Gespräch mit der DW. Außerdem könne man Death from Above eine Vermischung von "politischem Aktivismus" mit "wirtschaftlichen Interessen" vorwerfen.

Strobel lobt die Entwickler für ihr offenes Bekenntnis, pro-ukrainische Propaganda zu betreiben, und betrachtet das Spiel als einen "Teil des Informationskrieges". "Wir müssen als Gesellschaft die Frage beantworten, ob wir Teil dieses Informationskriegs sein wollen", sagt der Psychologe.

Russische Panzer im Computerspiel "Death from Above"
Russische Panzer im Computerspiel "Death from Above" Bild: Hendrik Lesser

"Wenn das Spiel die Lage auf dem Schlachtfeld spiegelt, wo Militärs gegen Militärs kämpfen", ist das vertretbar", meint Diana Dutsyk, Leiterin des Ukrainischen Institut für Medien und Kommunikation, und Mitglied in der Kommission für journalistische Ethik.  

Es würde sie allerdings stören, "wenn das Spiel Gewalt gegen Zivilisten aus ethnischen Gründen provozieren würde", wie zum Beispiel die Aufrufe im russischen Fernsehen, "Ukrainer zu töten".

Geld für Dronen sammeln

Sänger Taras Topolja von "Antytila" glaubt, die Ethik-Diskussion sei etwas für westliche Experten. Er selbst und seine Bandkollegen haben in den ersten Monaten des Krieges in der territorialen Verteidigung gekämpft.

"Bei uns im Bataillon sind 45 Kinder ohne Väter geblieben. Das sind unsere Kameraden, die im Krieg getötet wurden", sagt er. Topolja ist sicher, dass das Spiel "Menschen inspirieren würde, für Drohnen zu spenden" und vielleicht manche motivieren, "sich der Armee anzuschließen und Luftaufklärung zu lernen".

Gamer Lesser will nach der Erscheinung der ersten Version das Spiel weiterentwickeln, damit man auch zu zweit spielen kann. Sein Hauptmotiv sei der Wunsch, "zurückzuschlagen", aber nicht auf echtem, sondern auf virtuellem Schlachtfeld.