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Einbruch beim Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland

7. November 2022

Während der Gas-Import aus Russland immer mehr anstieg, baute Deutschland weniger Windräder. Ein Umweltforscher aus Indien warnt jetzt sein Land davor, den gleichen Fehler zu begehen.

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Offshore - Ostsee Windpark
Offshore-Windanlage: Deutschland fällt zurückBild: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa/picture alliance

In seiner Videobotschaft zum Auftakt der diesjährigen Weltklimakonferenz COP27 sagt der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck, Deutschland habe eine besondere Verantwortung zu zeigen, dass Klimaschutz möglich sei. "Gerade weil Deutschland alle Möglichkeiten hat, sind alle Augen auf Deutschland gerichtet." Doch ist das tatsächlich noch immer so? Lange hat sich das Land in der Mitte Europas der Welt als politischer Vorreiter beim Klimaschutz präsentiert. Mit dem Beginn der 2000er Jahre begann Deutschland, im großen Stil Windräder zu bauen – an Land und auf hoher See. Euphorische Hausbesitzer nutzten großzügige Subventionen und installierten Photovoltaik-Anlagen auf ihren Dächern. Im ostdeutschen Bundesland Brandenburg entstand eine Fabrik für die Herstellung von Solarpaneelen "Made in Germany" – bis zur Pleite der Betreiberfirma und dem Abwandern des Geschäftes nach China.

Die deutsche Politik verwies in den vergangenen Jahren immer wieder auf den Ausbau der regenerativen, CO2-neutralen Energiequellen – Windkraft, Solarenergie oder auch Biomasse, also die Herstellung von Gas aus Pflanzen. Bis zur Invasion Russlands in der Ukraine am 24. Februar dieses Jahres galt für die Deutschen vor allem russisches Erdgas als Übergangsenergie auf dem Weg zur Klimaneutralität bei der Produktion von Wärme und Strom. Offenbar mit fatalen Folgen für den Ausbau der regenerativen Energiequellen. 

Erstmals Einbruch bei grüner Stromproduktion 2021

Nach einer Studie des deutschen Umweltbundesamtes, der obersten Umweltschutzbehörde des Landes, ging die Stromproduktion aus erneuerbaren Energiequellen in Deutschland 2021 erstmals seit 2010 im Jahresschnitt zurück. Während 2020 in Deutschland noch 251,1 Milliarden Kilowattstunden vor allem aus Windkraft oder Sonne produziert wurden, waren es im vergangenen Jahr nur noch 233,6 Milliarden Kilowattstunden. Vor allem wegen des "abermals geringeren Kapazitätsausbaus", schreibt das Umweltbundesamt in seinem Bericht. Noch im vorigen Jahrzehnt stieg die Produktion grünen Stroms in Deutschland jedes Jahr an. Die Kurve in der Grafik des Umweltbundesamtes zeigt zwar nicht steil, aber doch beständig nach oben – bis zum Einbruch 2021 um mehr als minus 17 Milliarden Kilowattstunden, die im Vergleich zum Vorjahr weniger produziert wurden.  

Zu wenig neue Offshore-Windkraftanlagen

Dem gegenüber steht eine andere Kurve, die im vergangenen Jahrzehnt ständig nach oben stieg: Der Import von russischem Erdgas, vor allem über die 2011 eröffnete Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Mehr noch: 2014 genehmigte die deutsche Regierung den Bau der Pipeline Nord Stream 2, pikanterweise nach der illegalen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland. Im vergangenen Jahr 2021 stieg der Anteil der deutschen Gasimporte aus Russland dann auf fast 60 Prozent. Das Land machte sich damit extrem von Russland abhängig.

Weltklima: immer heißer

Zum Auftakt der diesjährigen Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten hat die UN-Organisation für Meteorologie eine weitere Analyse-Kurve für fast den gleichen Zeitraum präsentiert: Die Klimakurve der Erderwärmung zeigt steil nach oben. "Die Temperaturen der Erde in den vergangenen acht Jahren waren die heißesten überhaupt", schreibt die UN-Organisation – seit der Mensch Klimadaten aufzeichnet. 

Umso mehr bemüht sich der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister und gleichzeitige Vizekanzler Robert Habeck jetzt, eine ähnliche Euphorie für den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen zu schaffen wie vor mehr als einem Jahrzehnt, als es schon einmal einen Vizekanzler seiner Umweltschutzpartei Bündnis90/Die Grünen gab: "Wenn es Deutschland schafft", so Habeck in seiner Videobotschaft zur COP27, "dann werden alle Länder sich nicht rausreden können. Das ist gemeint mit der Vorreiterrolle von Industrieländern." Was er in dem Video nicht sagt, ist: Deutschland hat ganz offensichtlich längst versagt beim Ausbau der regenerativen Energiequellen – zumindest gemessen an den hochfliegenden Zielen vor mehr als einem Jahrzehnt. 

Mittlerweile gibt es viele andere Länder in der Welt, denen eher eine Euphorie für erneuerbare Energien zugesprochen wird: "Wird Indien eine grüne Supermacht?", fragte zuletzt das britische Wirtschaftsmagazin "Economist" in einer umfangreichen Berichterstattung über den grünen Aufschwung auf dem Subkontinent. Tatsächlich habe Indien "von allen großen Volkswirtschaften die höchste Wachstumsrate bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien", schreibt die Weltbank dieses Jahr in einer Analyse über den Ausbau grüner Energieproduktion in Schwellenländern. Im Haushaltsjahr 2020/21 hat Neu-Delhi Investitionen von 14,4 Milliarden Euro mobilisiert, im Steuerjahr 2019/2020 mit dem letzten Halbjahr vor der Corona-Pandemie waren es umgerechnet erst 8,4 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Deutschland hat 2020 nach Angaben des Umweltbundesamts 11 Milliarden dafür aufgebracht.

Vergleich Deutschland-Indien

Auch der indische Umweltexperte und frühere Leiter des Greenpeace-Büros in Neu-Delhi, Nandikesh Sivalingam, macht im Gespräch mit der DW auf Vergleichbarkeiten zwischen Indien auf der einen und der EU oder dem Industrieland Deutschland auf der anderen Seite aufmerksam: Er ist der Ansicht, dass Indien aufgrund seiner großen Bevölkerung einen wachsenden Bedarf hat und dass sich die indischen Einkäufe nicht von denen in Europa unterscheiden. Damit meint er den Einkauf von Gas wie Öl aus Russland. Denn während die EU seit Russlands Invasion in der Ukraine begonnen hat, aus der russischen Rohstoffversorgung nach und nach auszusteigen, steigert jetzt Indien den Einkauf russischen Rohöls. Teilweise wird russisches Rohöl in Indien raffiniert und wiederum nach Europa oder in die USA verkauft.

Der Energieexperte aus Indien ist mittlerweile Direktor des in Finnland registrierten Zentrums für Forschung über Energie und saubere Luft (Centre for Research on Energy and Clean Air, CREA). Gleich in zwei Studien hat sein Institut die Folgen der Abhängigkeit von russischem Öl und Gas analysiert. "Fossile Brennstoffe füllen aufgrund hoher Preise weiterhin die Kriegskasse des Kreml", schreibt das CREA in der Analyse "Finanzierung von Putins Krieg: Ausfuhren fossiler Brennstoffe aus Russland in den ersten sechs Monaten nach dem Einmarsch in die Ukraine". Und in einer weiteren Studie stellen Nandikesh Sivalingam und seine Forscher fest, wie Deutschland sich in die große Abhängigkeit von Russland selbstverschuldet hineinmanövriert hat. Demnach stagnierte der Ausbau der Windenergie in Deutschland, "schrumpfte nach 2015 und blieb weit hinter dem übrigen Europa zurück." Mehr noch: Hätte die größte Volkswirtschaft Europas den gleichen Wachstumspfad verfolgt wie der Rest Europas, "wäre die installierte Windkraftkapazität Ende 2021 um 32 Gigawatt höher gewesen".

Infografik - Strommix in Deutschland 2021 - DE
Ziel verpasst: Hätte Deutschland die Windkraft wie geplant ausgebaut, hätte der gesamte Atomkraft-Anteil ersetzt werden können, schreibt das Forschungszentrum CREA

Das entspräche der Stromerzeugung der sechs verbliebenen deutschen Kernkraftwerke, die 2021 noch am Netz waren, und hätte "mehr Gas ersetzt, als im Juli vor der Abschaltung Ende August durch die Nord-Stream-1-Pipeline importiert wurde". Bezogen auf sein Heimatland Indien warnt der indische Umweltexperte deshalb vor weiteren Öl-Abkommen mit Russland. Die Lehre für Neu-Delhi aus dem Krieg Russlands gegen die Ukraine müsse sein, langfristig seine "Energieoptionen" zu diversifizieren, sich nicht weiter "von einer Handvoll Ländern" für seinen stetig wachsenden Energiebedarf abhängig zu machen und den Übergang zu den Erneuerbaren in den kommenden "fünf bis sechs Jahren" weiter massiv auszubauen. Das soll wohl heißen: Indien möge nicht den gleichen Fehler machen – wie Deutschland.