Corona-Bonds und die Musketiere
1. April 2020"Einer für alle, alle für einen." So einprägsam brachten es die drei Musketiere (und d'Artagnan!) in Alexandre Dumas' Roman zum Ausdruck, dass sie ohne Einschränkungen füreinander einstehen. Doch so draufgängerisch wollte die Europäische Union nie sein.
Ihr Wahlspruch ist die Nichtbeistands-Klausel. Die Passage in Artikel 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union schließt aus, dass die Gemeinschaft für die Schulden einzelner Staaten haftet.
Die Frage ist nur, womit sich eine große Krise besser überstehen lässt: mit dem Bravado der Musketiere oder der zurückhaltenden Nichtbeistands-Klausel?
Der Druck wächst
Sicher, die EU-Kommission hat Milliarden an Sondermitteln locker gemacht, die Grenzen für Haushaltsdefizite und Staatsschulden der Euroländer wurden vorläufig aufgehoben und die Europäische Zentralbank (EZB) öffnet die Geldschleusen noch weiter. Doch reicht das?
Nein, sagen die Staats- und Regierungschefs von neun Ländern der Eurozone: Frankreich, Italien, Spanien, Belgien, Irland, Portugal, Griechenland, Slowenien und Luxemburg.
Angesichts der gewaltigen Krise fordern sie eine gemeinsame Schuldenaufnahme der Gemeinschaft - via sogenannter Corona-Bonds. Bonds sind Wertpapiere mit einem festen Zinssatz. "Wir haben es mit einem symmetrischen externen Schock zu tun, für den kein Land verantwortlich ist, dessen negative Auswirkungen aber alle erleiden müssen", heißt es in einem gemeinsamen Brief an den Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel.
Erinnerungen an die Schuldenkrise
Die Formulierung vom "Schock, für den kein Land verantwortlich ist", wurde mit Bedacht gewählt. So soll die Corona-Krise abgegrenzt werden von der Schuldenkrise in der Eurozone, die nach der Finanzkrise vor knapp zehn Jahren ihren Anfang nahm.
Damals wurde Ländern wie Griechenland, Spanien und auch Italien vorgeworfen, die finanzielle Schieflage durch nachlässige Haushaltsführung oder zu laxe Bankenaufsicht mitverschuldet zu haben. Auf den Finanzmärkten konnten sie sich nur noch zu so hohen Zinsen Geld leihen, dass den Regierungen kein Handlungsspielraum mehr blieb.
Schon damals wurde die Forderung nach Eurobonds laut, also gemeinsamen Schulden. Deren Zinsen sind niedriger, weil auch die wirtschaftlich starken Länder dafür haften.
Deutschland war der größte Gegner von Eurobonds, unterstützt von Österreich, den Niederlanden, Finnland und Estland. Sie verwiesen auf die europäische Nichtbeistands-Klausel und sagten den Krisenländern sinngemäß: Warum sollten wir für euch haften, wenn ihr eure Finanzen nicht in Ordnung haltet?
Nein aus Berlin
Die Gegner der Eurobonds setzten sich damals durch. Stattdessen schuf man einen Rettungsschirm namens ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus). Die Euroländer beteiligen sich je nach Finanzkraft am Stammkapital des ESM, der wiederum am Kapitalmarkt zu günstigen Konditionen Geld aufnimmt und an Länder in Schwierigkeiten verleiht.
Vorteil der Konstruktion: Mitglieder haften nicht für alle, sondern nur für die Höhe ihrer Einlagen (im Fall Deutschlands immerhin noch 190 Milliarden Euro). Außerdem werden Kredite nur unter Auflagen an Krisenländer weitergereicht, meist Vorgaben für eine Sparpolitik, deren Einhaltung kontrolliert wird.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel war damals gegen gemeinschaftliche Schulden und ist es auch heute noch. "Ich glaube, dass wir mit dem ESM ein Kriseninstrument haben, was uns viele Möglichkeiten eröffnet, die nicht die Grundprinzipien unseres gemeinsamen, aber jeweils verantwortlichen Handelns infrage stellen", sagte Merkel nach dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche. Laut Experten hat der ESM rund 400 Milliarden Euro an Mitteln verfügbar.
Doch der italienischen Ministerpräsident Giuseppe Conte, dessen Land von der Corona-Krise derzeit besonders stark erschüttert ist, hält davon nichts. Er wies den Vorschlag, wie ein schlecht wirtschaftendes Krisenland beim ESM um einen Kredit zu bitten, auf dem Gipfel zurück.
Große Krisen, große Mittel
"Was wollen wir in Europa machen? Möchte jeder Mitgliedsstaat seinen eigenen Weg gehen?", fragte er am Dienstagabend (30.03.2020) in einem Interview mit dem ARD-Fernsehen und verwies auf das gewaltige Hilfspaket von 2000 Milliarden Dollar, mit dem die USA auf die Corona-Krise reagieren.
"Wenn die Reaktion keine gemeinsame, ernsthafte und koordinierte Reaktion ist, dann wird Europa immer weniger wettbewerbsfähig, auch auf dem globalen Markt", so Conte. Im übrigen brauchten die deutschen Steuerzahler keine Angst zu haben, so Conte zur besten deutschen Sendezeit. Corona-Bonds bedeuteten nicht, dass die Deutschen "auch nur einen Euro für die italienischen Schulden bezahlen müssen."
Vor knapp zehn Jahren, während der Euro-Schuldenkrise, konnte sich die Bundesregierung sicher sein, dass die meisten der führenden Ökonomen ihre Ablehnung der Eurobonds teilen. In der Corona-Krise ist das nicht mehr der Fall.
"Europa muss Flagge zeigen"
Sieben prominente Wirtschaftswissenschaftler, darunter Michael Hüther, Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), der frühere Wirtschaftsweise Peter Bofinger und Gabriel Felbermayr, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), trommeln inzwischen öffentlich für Corona-Bonds.
"Die Starken müssen den Schwachen helfen. Jetzt ist der Moment, wo die oft beschworene Schicksalsgemeinschaft Europa Flagge zeigen muss", heißt es in einem Aufruf der Wissenschaftler, der zeitgleich in fünf europäischen Zeitungen erschienen ist.
Gemeinschaftsanleihen in Höhe von 1000 Milliarden Euro wären "ein deutliches Zeichen, dass Europa in der Krise zusammensteht. Das Signal wäre nicht zu überhören. Nicht ein einzelnes überfordertes Land tritt als Bittsteller auf. Die Europäer bewältigen die Krise gemeinsam", so die Ökonomen.
Für sonst eher nüchterne Wissenschaftler klingt das schon sehr nach Musketier-Ruf. Dabei war IW-Chef Hüther vor einem Jahrzehnt selbst noch ein überzeugter Gegner gemeinsamer Schulden.
Einmalige Sache?
Der entscheidende Unterschied ist für ihn, dass Corona-Bonds keine dauerhafte Einrichtung sind, sondern einmalig. Dafür gebe es auch ein historisches Vorbild, so Hüther im Deutschlandfunk. 1975 habe die Europäische Gemeinschaft eine Anleihe begeben, um die Folgen des Ölpreis-Schocks abzumildern. "Das war damals offensichtlich kein Problem, warum kann man das nicht auch in dieser Krise machen?"
Kanzlerin Merkel, ihr Finanz- und ihr Wirtschaftsminister würden wohl antworten: Weil es 1975 noch keine Nichtbeistandsklausel in den EU-Gesetzen gab. Weil das Bundesverfassungsgericht Corona-Bonds mit Verweis auf diese Klausel wahrscheinlich kippen würde. Weil die Vorbehalte in der Bevölkerung enorm sind. Und weil es mit der Alternative für Deutschland (AfD) eine Partei gibt, die ursprünglich aus Widerstand gegen zu viel Solidarität in der Schuldenkrise gegründet wurde. Kurz: Weil die Zeit der Musketiere vorbei ist.
Bis zum nächsten EU-Gipfel wollen die Mitgliedsstaaten prüfen, welche Alternativen es gibt zu den von Merkel favorisierten ESM-Krediten. Eine Möglichkeit wäre, die damit verbundenen Auflagen zu lockern und die Laufzeiten zu verlängern.
IW-Chef Hüther hält das für keine gute Idee. "Der ESM ist nicht dafür geschaffen und auch von seinem Umfang her nicht geeignet." Vielmehr solle er sich darum kümmern, in Schieflage geratene Banken zu stützen - "darüber werden wir wahrscheinlich auch noch zu reden haben."
Corona-Bonds sieht Hüther als "Lackmus-Test für europäische Solidarität". Alle Länder, denen es schlecht geht, fragen sich, wer ihnen hilft. "Wenn es am Ende nur die Chinesen sind oder vielleicht die Russen, dann wird der Zerfall der Europäischen Union nach meiner Einschätzung unaufhaltbar sein." Und das könne auch nicht im Interesse der deutsche Wirtschaft sein. "Wenn wir Europa nicht stabilisieren, sind unsere Märkte auch nicht mehr da."