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Corona-Daten: Deutschlands klaffende Lücke

1. Februar 2022

Unklare Impfquoten, verspätete Krankenhauszahlen: Deutschland krankt an einer schlechten Datenlage. Der Blick in andere Länder zeigt: es ginge anders. Warum scheitert ausgerechnet das hochentwickelte Deutschland?

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Symbolbild I  Digitalisierung von Gesundheitsämtern
Mitarbeiterinnen der Gesundheitsämter in Deutschland arbeiten häufig noch mit dem StiftBild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

In Deutschland herrscht Mangel. Ein Mangel an Daten. Niemand weiß, wie viele Corona-Genesene es genau gibt. Auch die exakte Impfquote ist nicht ganz klar. Die Angaben zur Krankenhausbetten-Belegung kommen zu spät und auch diese Daten sind ungenau. So gut das Land durch das erste Jahr der Pandemie gekommen ist, im zweiten herrscht ein digitaler Blindflug.

Ein Umstand, der zusehends für Kritik sorgt. Der Corona-Expertenrat, der die Bundesregierung berät, kritisierte in einer Stellungnahme Ende Januar die dünne Datenlage in Deutschland und verwies darauf, dass sich Deutschland derzeit zur Einschätzung der Omikron-Variante vorrangig ausländischer Untersuchungen, z.B. aus Großbritannien, Dänemark und den USA bediene. Die sei aber nur bedingt auf die hiesige Situation übertragbar und impliziere deshalb auch "die Möglichkeit von Fehleinschätzungen".

Gelber Impfpass mit drei eingetragenen Impfungen
Analoge Pandemie-Bekämpfung: wie beim Impfpass läuft vieles in Deutschland mit Zettel und PapierBild: Firn/Zoonar/picture alliance

Ähnlich äußern sich auch Intensivmediziner. Der Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Christian Karagiannidis, fordert die Bundesregierung auf, für eine genauere Datenlage zu sorgen.

"Was wir brauchen, ist eine maximale Digitalisierungsoffensive. Dieses Stückwerk, das wir haben und auch immer wieder diese ganzen Bedenken, die ich tagtäglich höre, vom Datenschutz bis dieses und jenes - das hat auch relativ viel verhindert in den letzten zwei Jahren. Und ich glaube, die neue Bundesregierung tut gut daran, wenn sie einen Reset macht, einmal richtig Geld in die Hand nimmt und die Daten zusammenführt."

Norwegen lebt es vor

Was das in der Pandemiebekämpfung bewirken könnte, zeigt ein Blick ins Ausland, nach Norwegen. Dort gibt es seit rund zwei Jahren, also mit Beginn der Corona-Pandemie, ein sogenanntes Bereitschaftsregister. Es führt zahlreiche Daten-Register des Landes zusammen, mit Informationen über Impfquoten, Risiko- und Berufsgruppen. Die Daten sind anonymisiert und nur wenigen Mitarbeitern des Norwegian Institute of Public Health zugänglich. Jasper Littmann ist einer von ihnen. Er ist stellvertretender Leiter des norwegischen Impfprogramms.

"Das Ziel ist nicht einfach, alle Daten miteinander zu verknüpfen, sondern relevante Daten heranziehen zu können, um für die Pandemie-Bekämpfung wichtige Fragen zeitnah und so präzise wie möglich beantworten zu können", sagt er im Gespräch mit der DW am Telefon. Vor allem am Anfang der Pandemie sei das ein Vorteil gewesen. Denn als der Impfstoff noch knapp war, konnten Littmann und seine Kollegen dank des Registers genau berechnen, in welchen Regionen Norwegens Risikogruppen leben und den Impfstoff dann passgenau in die Gebiete liefern.

Svein Andersen war am 27.Dezember 2020 in Oslo der erste Norweger, der geimpft wurde
Svein Andersen war am 27.Dezember 2020 in Oslo der erste Norweger, der geimpft wurdeBild: Fredrik Hagen/NTB/AP/picture alliance

In Deutschland undenkbar. Denn das Bereitschaftsregister Norwegens beruht darauf, dass die Menschen im Land eine anonymisierte Personennummer haben, mit der sie zahlreiche Behördengänge erledigen und somit in verschiedenen Registern auftauchen. Eine solche Bürger-Identifikationsnummer ist in Deutschland nicht erlaubt. Auch, weil dann Daten zentral zusammengeführt werden könnten, wie das im norwegischen Bereitschafsregister der Fall ist.

"Die Grundeinstellung in Deutschland ist eine andere als in den skandinavischen Ländern, wo vielleicht ein größeres Grundvertrauen darüber herrscht, dass Daten, die zentral gesammelt werden, sicher behandelt und nicht in irgendeiner Form missbraucht werden", sagt Littmann, der vor seiner Arbeit in Norwegen das deutsche Robert Koch-Institut beraten hat.

Datenschutz hohes Gut 

Tatsächlich ist Deutschland der Datenschutz beinahe heilig. Seit einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts in den 1980er Jahren achten die Menschen im Land auf ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Für Indra Spiecker, Professorin für Informationsrecht, ist es aber nicht der Datenschutz per se, der Deutschland an einer effektiven Datenerhebung hindert. "Das halte ich für wirklich falsch und auch für gefährlich. Man sucht sich im Datenschutz einen Sündenbock, der zunächst einmal plausibel klingt."

 Indra Spiecker, Professorin für Öffentliches Recht
Indra Spiecker lehrt und forscht an der Goethe Universität in Frankfurt am MainBild: privat

Denn rechtlich sei mit dem hiesigen Datenschutz einiges möglich: ein Impfregister beispielsweise oder auch die Vernetzung der Gesundheitsämter mit der Corona Warn-App. Beides existiert in Deutschland bislang nicht. Jedes Gesundheitsamt arbeitet für sich, teilweise nicht einmal digitalisiert, sondern mit Faxgeräten. "Wir haben eine unglaublich behäbig agierende Verwaltung", sagt Spiecker. "Es fehlt an einer entsprechenden Infrastruktur. Das wurde jahrelang versäumt. Wir leben von der Hand in den Mund und das kostet enorm viel Kraft."

Ein Beispiel dafür ist das Impfregister. In Norwegen gibt es dieses seit zwanzig Jahren. Jetzt, im Notfall, kann das Bereitschaftsregister darauf zugreifen. In Deutschland wird darüber diskutiert, in nur zwei Monaten ein sogenanntes "Ad hoc Register" aufzubauen. Für Spiecker keine gute Idee. "Dafür braucht es eine vernünftige Infrastruktur und das braucht Zeit". Allerdings sollte am besten jetzt mit dem Aufbau begonnen werden, damit dann bei einem künftigen Notfall alles dafür bereitstünde.

Archaische Zustände

Die Corona-Pandemie hat die Schwächen der digitalen Infrastruktur in Deutschland schonungslos offengelegt. In einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zu den Lehren aus der Corona-Pandemie heißt es zur Digitalisierung so trocken wie vernichtend: "Deutschland leistet sich in der öffentlichen Verwaltung Strukturen, Prozesse und Denkweisen, die teilweise archaisch anmuten."

Der Jurist und Kommunikationsberater Hendrik Wieduwilt stimmt Indra Spiecker zwar zu, dass dies nicht im Datenschutz per se begründet liegt, aber in der deutschen Kultur rund um den Datenschutz. "Die fehlende Digitalisierung hat viele Gründe. Ich glaube aber, dass eine gewisse Datenschutz-Hysterie in Deutschland einen großen Anteil daran hat."

Als Beispiel nennt auch er das Impfregister. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat zwar zugestimmt, dass dieses datenschutzrechtlich möglich wäre, dessen Kollege aus Baden-Württemberg rät aber davon ab. "Und diese Situation haben Sie beim Datenschutz immer wieder", sagt Wieduwilt. "In diesem Stimmen-Wirrwarr müssen Sie dann als Entscheidungsträger in der Politik oder in der Wirtschaft eine Entscheidung fällen und sagen: 'So, wir machen das jetzt.' Das traut sich dann niemand mehr und das hat Langzeitfolgen." Denn Entscheidungen zum Datenschutz trügen im risikoscheuen Deutschland immer die Gefahr eines Reputationsverlustes.

Fakt ist jedenfalls: Deutschland fehlen die Daten. Eine aktuelle Debatte dreht sich darum, dass die Angaben zur Krankenhausbelegung 14 Tage veraltet eintreffen und nicht präzise genug unterscheiden, ob jemand wegen oder mit Covid-19 eingeliefert wird. In Norwegen unterdessen gibt es all diese Daten. "Wir haben ein deutlich besseres Verständnis dafür, wo wir zu einem Zeitpunkt stehen", sagt Littmann. "Und das ist ein hoher Wert in einer Pandemie." Ein Wert, den ausgerechnet Deutschland momentan in der Pandemie-Bekämpfung nicht nutzen kann.