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Corona: Der soziale Status zählt, nicht die Herkunft

13. März 2021

Erkranken Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland häufiger schwer an COVID-19? Verlässliche Zahlen dazu gibt es nicht. Fest steht dagegen: Wer arm ist, ist in größerer Gefahr.

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Das Bild zeigt das Infektions-Zimmer für Covid-19-Patienten in der Universität Rostock
Behandlung eines an COVID-19 erkrankten Patienten in RostockBild: Bernd Wüstneck/dpa/picture alliance

Es war ein Bericht mit erschreckenden Zahlen, den die "Bild-Zeitung", Deutschlands größtes Boulevard-Blatt, zu Beginn der vergangenen Woche veröffentlichte: Unter den Menschen, die nach Infektionen mit dem Coronavirus in Deutschland auf der Intensivstation behandelt werden müssten, würden sich sehr viele Menschen mit einer Migrationsgeschichte befinden.

Wollte die Politik die Zahlen verschweigen?

Das Blatt berichtete aus Gesprächen des Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, mit Chefärzten mehrerer großer Kliniken, die von einem Anteil von bis zu 90 Prozent an Menschen mit ausländischen Wurzeln unter den Intensiv-Patienten berichtet hätten.

Wollen Politiker und Wissenschaftler, so die stillschweigende Botschaft dieses Berichts, auf ein Bekanntwerden dieser Zahlen lieber verzichten, um sich nicht dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit auszusetzen?

Wieler: "Ein informelles, persönliches Gespräch"

Offenbar sind die von der Bild-Zeitung genannten Zahlen falsch. Denn wenige Tage später relativierte Wieler in der Bundespressekonferenz in Berlin die Kernaussage des Berichts, vor allem, wenn Aussagen einzelner Ärzte auf das ganze Land hochgerechnet würden. Aber die Gespräche mit den Medizinern bestätigt er: "Es handelt sich um ein persönliches Gespräch, einen informellen Austausch, bei dem wir verschiedene Dinge überlegt, aber keine endgültigen Feststellungen getroffen haben. Es liegen solche Daten dem Robert-Koch-Institut nicht vor, und nach Paragraph 11 des Infektionsschutz-Gesetzes werden diese Daten auch nicht erfasst."

Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts während einer Pressekonferenz in Berlin am, 12.2.2021.
RKI-Präsident Lothar Wieler: "Es gab nur informelle Gespräche mit einigen Medizinern"Bild: Tobias Schwarz/AP/picture alliance

Pandemie ist für Migranten eine extreme Herausforderung

Rund 13 Prozent beträgt der Anteil der Menschen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland, die keinen deutschen Pass haben. Vor allem für den kleinen Teil dieser Gruppe, der schlecht Deutsch spricht oder versteht, besonders also auch für die vielen Flüchtlinge, die nach 2015 ins Land kamen, ist die Pandemie eine extreme Herausforderung.

Sie leben oft in beengten Verhältnissen, ihr Zugang zu öffentlichen Informationen, etwa über den Fortgang von Reisebeschränkungen und der Auflagen im Inland, ist mühsam.

Zahlen für das ganze Land gibt es nicht

Es wäre daher kein Wunder, wenn der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte an den Infizierten und Kranken höher ist als der der übrigen Gesellschaft. Aber verlässliche Zahlen für das ganze Land gibt es nicht. Dem Robert-Koch Institut werden aus den Kliniken und den Gesundheitsämtern Fallzahlen gemeldet, die anonymisiert sind. Der Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn, Sebastian Guelde, fügte hinzu: "Darauf haben wir immer wieder hingewiesen, auch unter anderem das Robert-Koch-Institut, dass Sprachbarrieren und der unterschiedliche Zugang zu Gesundheitsinformationen natürlich ganz wesentliche Faktoren auch für den Gesundheitszustand von Menschen darstellen. Weitere Fragen, die natürlich eine Rolle spielen, sind sozioökonomische Faktoren, also die Arbeitswelt, die Lebensumstände überhaupt, die Wohnverhältnisse beispielsweise."

An einer Hamburger Bushaltestelle informiert die Bundesregierung unter dem Hashtag #Ärmelhoch über die Impfkampagne
Bald in vielen Sprachen: Die Regierung ruft an Bushaltestellen dazu auf, sich impfen zu lassenBild: imago images/Hanno Bode

Status, Wohnverhältnisse und Arbeitssituation entscheiden

Tatsächlich berichtete etwa der Berliner "Tagesspiegel" aus Kliniken in der Hauptstadt, auffällig viele Männer aus Großfamilien aus dem arabischen Raum oder der Türkei seien in Behandlung. Es habe oft Streit gegeben mit Familienmitgliedern, die sich nicht mit dem Corona-Besuchsverbot auf den Stationen abfinden wollten.

Allerdings stellten auch diese Mediziner eher heraus, dass sowohl eine Infektion als auch die Kenntnis über die Pandemie sehr viel mit dem sozialen Status zu tun hat, weniger mit der Herkunft. Kurz gesagt: Wer arm ist, wer in engen Verhältnissen wohnt, erkrankt eher. Und auch, wer unter oft prekären Bedingungen arbeiten muss.

Medizinsoziologe: "Arme haben schwerere Verläufe"

Der Medizinsoziologe Nico Dragano von der Universitäts-Klinik in Düsseldorf verweist in diesem Zusammenhang auf einen wichtigen Unterschied: Man müsse zwischen der Gefahr trennen, sich anzustecken, und der Gefahr, einen schweren Verlauf der Krankheit zu erleiden. Dragano sagte im Gespräch mit der DW: "Es gibt bestimmte Vorerkrankungen, die das Risiko erhöhen, dass Sie einen schweren Verlauf haben, wenn Sie sich infizieren. Das sind beispielsweise Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes. Das alles sind Krankheiten, die Menschen in Armut häufiger betreffen."

Straßenszene in Deutschland, Berlin-Neukölln, Datum unbekannt
Der soziale Status ist wichtig: In Ballungszentren wie hier in Berlin-Neukölln steigt die InfektionsgefahrBild: picture-alliance/dpa/W. Rothermel

Viele Ärzte und Pfleger sind Migranten

Ein Zusammenhang, den nicht nur für Deutschland schon im vergangenen Jahr die "Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung" (OECD) festhielt. Die OECD-Studie stellt auch heraus, dass Migranten im Durchschnitt aller 37 OECD-Staaten 24 Prozent der Ärzte und 16 Prozent der Pflegekräfte stellen würden, und sich damit an vorderster Front im Kampf gegen das Virus befänden.

Selbst auf dem Höhepunkt der Anti-Corona-Maßnahmen mit ihren Grenzschließungen hätten Regierungen zum Beispiel Ausnahmen bei der Einreise ausländischer Erntehelfer gemacht, auch die Bundesregierung in Berlin.

Ministerium klärt in vielen Sprachen auf

Bleibt das Sprachproblem. Gesundheitsministeriums-Sprecher Guelde betont, sein Haus sei sich dieser Herausforderung bewusst: "Das Info-Material beispielsweise zur Impf-Kampagne wird mittlerweile in zehn Fremdsprachen übersetzt. Und auch die Service-Nummer 116, 117 wird ab Mitte März in vier weiteren Sprachen, nämlich Englisch, Türkisch, Arabisch und Russisch zur Verfügung stehen." Wie konkret die betroffenen Gruppen aber von diesen Informationen wirklich erreicht werden, ist offen.