Corona heizt Schwellenländer-Krise an
23. Oktober 2020Christian Sewing glaubt nicht, dass es durch die Folgen der Corona-Krise zu einer neuen Bankenkrise kommt. Die Geldhäuser hätten mehr Liquidität als in der Finanzkrise 2007 und 2008 und seien in einem ganz anderen Zustand als damals, sagte der Chef der Deutschen Bank Mitte Oktober auf einer Veranstaltung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin. "Das sollte uns Zuversicht geben, dass wir aus der Krise wieder herauskommen", gab sich Sewing zuversichtlich.
Aber auch ihm ist klar, dass es für eine ganze Reihe von Schwellenländern alles andere als leicht wird, aus der Corona-Krise wieder herauszukommen. Der Deutsche Bank-Chef weiß genau, wie angeschlagen einige Schwellenländer sind und es für Länder wie die Türkei, deren Wirtschaft bereits vor der Pandemie in einer tiefen Krise steckte, durchaus eng werden könnte: "Wir müssen ein bisschen auf die Schwellenländer achten, die natürlich auch gerade aufgrund von Währungsveränderungen vielleicht Probleme bekommen können", warnte Sewing vor den Spitzenvertretern der deutschen Industrie.
Währungen auf Talfahrt
"Währungsveränderungen" - das ist eine glatte Untertreibung, wenn man sich etwa den Verfall der türkischen Währung anschaut: Allein seit Anfang 2020 hat die Lira gegenüber westlichen Währungen fast ein Drittel ihres Wertes verloren - innerhalb eines Jahrzehnts schmierte sie um mehr als 80 Prozent ab.
Aber auch die Währungen anderer Schwellenländer sind in der Corona-Pandemie heftig unter die Räder gekommen. Die Wertverluste wichtiger Emerging Market-Währungen gegenüber Dollar, Euro oder Yen sind so groß wie seit einem Jahrzehnt nicht. Weltweit fallende Zinsen, unsichere Konjunkturaussichten wegen Corona und Kapitalabflüsse haben die Investoren verschreckt.
Tendenz: fallend.
Eine Gruppe von zehn Schwellenländer-Währungen hinkt den Industriestaaten in diesem Jahr um fast 14 Prozent hinterher, so das Ergebnis einer Untersuchung der DZ-Bank in Frankfurt am Main. Darunter sind der chinesische Yuan, der brasilianische Real und die türkische Lira, die in der Corona-Krise auf ein neues Allzeit-Tief abgestürzt ist. Gerade zu Anfang der Pandemie habe es große Verluste bei Schwellenländer-Währungen gegeben, seither habe sich die Lage aber etwas stabilisiert, so Devisen-Experte Sören Hettler von der DZ Bank. "Der Abstand ist aber immer noch groß."
Vorläufige Entspannung?
Doch welche Folgen der Coronakrise sind für die Schwellenländer die gravierendsten? Ist es der Abfluss ausländischen Kapitals, die steigende Verschuldung der Staaten oder die der dortigen Unternehmen, die durch den Kursverfall ihrer eigenen Währung Probleme bekommen, ihre Schulden in Euro oder Dollar zu begleichen?
Für Klaus-Jürgen Gern vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel ist künftig vor allem die rasant steigende Staatsverschuldung in den Schwellenländern problematisch. "Im Frühjahr sind wir sehr besorgt gewesen, als es eine regelrechte Kapitalflucht internationaler Investoren aus den Schwellenländern gegeben hat", sagt der Schwellenländer-Experte. In den ersten Monaten der Pandemie hatten Investoren mehr als 100 Milliarden US-Dollar aus Schwellenländern abgezogen. Seitdem habe sich die Situation aber entspannt, unterstreicht der IfW-Forscher im Interview mit der DW.
Investoren halten derzeit Schwellenländer-Anleihen im Volumen von 400 Milliarden US-Dollar, Anfang des Jahres waren es noch 550 Milliarden US-Dollar, wie aus aktuellen Daten der Analysten des Londoner Research-Hauses TS Lombard hervorgeht. Das heißt, dass seit Jahresbeginn aus aufstrebenden Volkswirtschaften weltweit fast 30 Prozent an Kapital abgeflossen sind. Mittlerweile hat sich der Kapital-Exodus aber verlangsamt und es fließt sogar wieder Geld in Richtung Schwellenländer.
"Es gibt zum einen eine Schwemme an Dollar-Liquidität auf den internationalen Finanzmärkten, die sich irgendwie Bahn sucht und auch wieder in die Schwellenländer gelangt ist. Und es gibt zum anderen eine umfangreiche Kreditlinie vom IWF in Billionenhöhe, auf die die Schwellenländer zurückgreifen können, wenn sie in Not sind", erklärt Gern.
IWF-Hilfspakete
Für Südafrika schnürte der Internationale Währungsfonds (IWF) im Juli ein Hilfspaket in Höhe von rund 4,3 Milliarden US-Dollar (3,8 Milliarden Euro). Die Finanzierung soll Südafrika bei der Überwindung der Corona-Krise helfen, denn die Ausbreitung des Virus und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hätten Südafrika in eine "schwere wirtschaftliche Rezession" gestürzt, begründete der IWF das Hilfspaket. Bereits im April hatte der Weltwährungsfonds Pakistan mit 1,4 Milliarden Dollar unterstützt und im Mai Ägypten eine Finanzspritze von 2,7 Milliarden gewährt - um nur einige der Empfängerländer zu nennen. Und Ende September stockte der IWF seine flexible Kreditlinie (FCL) für Kolumbien um mehr als 6 Milliarden Dollar auf insgesamt 17,2 Milliarden Dollar auf.
Nach eigenen Angaben stellte der IWF bis zum 21. Oktober 2020 rund 250 Milliarden Dollar von insgesamt einer Billion Dollar an verfügbaren Finanzmitteln notleidenden Volkswirtschaften zur Verfügung. Je nachdem, wie lange die Corona-Pandemie anhält, könnten aber selbst diese gigantischen Reserven - so das Horror-Szenario von Finanz-Experten - nicht ausreichen, um den Bedarf an Notkrediten zu decken.
Auswirkungen auf Deutschland
Klaus-Jürgen Gern sieht bislang keine großen Auswirkungen der Krise in den Schwellenländern auf Deutschland. Natürlich gebe es Rückkopplungseffekte, räumt der IfW-Forscher ein. "Aber die Effekte sind doch begrenzt. Selbst Brasilien ist für den deutschen Außenhandel mit einem Exportanteil in einer Größenordnung von einem Prozent kein besonders bedeutendes Land." China als zentraler deutscher Handelspartner sei dagegen das Schwellenland, das am besten die Corona-Krise bewältigt habe - und davon profitiert auch Deutschlands Exportbranche.
Investoren sind sich nicht einig
Wie unterschiedlich die wirtschaftlichen Chancen und Risiken in den Schwellenländern bewertet werden, wird beim Blick auf das Anlageverhalten institutioneller Anleger deutlich. Während einer der größten kanadischen Pensionsfonds Ende September ankündigte, in Zukunft stärker in Schwellenländer zu investieren, rudert man beim weltweit größten Vermögensverwalter Blackrock zurück.
Das "Canada Pension Plan Investment Board" (CPPIB) will bis 2025 bis zu einem Drittel des von ihm verwalteten Kapitals in Schwellenländer investieren, Schwerpunkt: Indien und die Anlageregion "Greater China", zu der neben der Volksrepublik und Hongkong auch Taiwan gerechnet wird. Wenn es aber nach Blackrock-Chef Larry Fink geht, sprechen wichtige makroökonomische Trends gegen ein Investment in den Emerging Markets.
Warnung vor anhaltendem Bärenmarkt
"Ich bin ziemlich 'bearish' für die Schwellenländer", sagte Fink Mitte Oktober auf der jährlichen Mitgliederversammlung des Institute of International Finance (IIF), dem inoffiziellen Dachverband der wichtigsten globalen Finanzhäuser mit Sitz in Washington. Und wenn Fink mit "bearish" einen Bärenmarkt mit fallenden Kursen für Anlagen in Schwellenländern erwartet, dann hat das Gewicht und bewegt die Finanzmärkte. Schließlich ist Blackrock mit einem Anlagevermögen von 7,8 Billionen Dollar der weltweit größte Vermögensverwalter.
Für Fink ist klar, dass die Corona-Krise in Ländern mit schwacher Gesundheitsversorgung und schlechter technologischer Infrastruktur eine erhebliche Zusatzbelastung ist. Außerdem seien laut Fink gerade die Schwellenländer, deren Wirtschaftszentren meist an den Küsten und "näher am Äquator" konzentriert sind, besonders stark von den Folgen des Klimawandels betroffen und litten unter dem Trend der "Deglobalisierung".
Bereits Anfang des Jahres hatte Fink in einem Brief an US-Unternehmens-Chefs betont, dass der Klimawandel die Finanzwelt völlig umkrempeln und zu einer massiven Umverteilung von Kapital führen werde. "Ein Teil dieser Umschichtung von Kapital geht zu Lasten der Schwellenländer", unterstreicht der Black Rock-Vorstandschef.
Für Klaus-Jürgen Gern vom IfW sind die Jahre ab 2022 entscheidend. Wenn die Geldpolitik wieder versucht, in normales Fahrwasser zu kommen und die extremen Liquiditäts-Programme zur Krisenbewältigung zurückgefahren werden müssen. "Wir haben gesehen, dass die Anleger dann sehr rasch ihre Investments in den Schwellenländern wieder in Frage stellen. Und da kann es dann zu Kapital-Umschwüngen kommen, die sehr schmerzhafte Anpassungen in den Schwellenländern erfordern. Dann ist es tatsächlich möglich, dass sich die IWF-Kreditlinien als zu gering erweisen", warnt der Kieler Schwellenländer-Experte.