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Corona in Italien: Arbeiten in der Todeszone

Cecilia Butini
26. März 2020

Italienische Gewerkschaften haben die Regierung aufgefordert, eine Liste der Branchen zu überarbeiten, die trotz Corona-Krise weiterarbeiten dürfen. Die Sorgen um die Gesundheit und Sicherheit der Angestellten wächst.

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Italienische Lebensmittelfabrik in Monterenzio
Bild: DW/Mitzman

Am späten Abend des 21. März sprach der italienische Premierminister Giuseppe Conte in einem Live-Video per Facebook zur Nation. Er sagte, dass seine Regierung die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Epidemie verschärfen werde.

Infolgedessen müsse alles heruntergefahren werden. "Die Regierung hat beschlossen, auf dem gesamten Staatsgebiet jede industrielle Tätigkeit einzustellen, die nicht unbedingt notwendig und entscheidend ist, um unsere grundlegenden Dienstleistungen aufrechtzuerhalten", sagte Conte.

Am Tag darauf veröffentlichte die Regierung eine Liste von etwa 80 Industriezweigen, die von der Regel ausgenommen sein würden. Später wurde die Liste auf 97 Bereiche erweitert, darunter Luft- und Raumfahrt, Verteidigung sowie die Produktion von landwirtschaftlichen Maschinen. Am 22. März unterzeichnete Conte ein Dekret, wonach alle Unternehmen bei ihrem örtlichen Präfekten Berufung einlegen können, um eine Genehmigung zur Fortsetzung ihrer Arbeit zu bekommen.

Für viele Arbeiter und Gewerkschaften klang dies gefährlich. Am Morgen des 25. März begannen Metall-Arbeiter in der Lombardei einen Streik. Gleichzeitig verhandelten Gewerkschaften mit der Regierung darüber, dass Industriezweige, die als "nicht essentiell" angesehen werden, geschlossen werden dürfen. Während die Metall-Industrie ihre Produktion einstellen darf und der Verteidigungssektor sich zu einer Verlangsamung bereit erklärt hat, können andere Bereiche immer noch weiterarbeiten.

Norditalien im Fokus

Abgesehen von Supermärkten und Apotheken mussten die meisten Geschäfte in den letzten Wochen schließen, aufgrund der staatlichen vorgeschriebenen Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19. Fabriken durften aber auch in den am stärksten betroffenen Regionen der Lombardei, der Emilia-Romagna und des Piemont, geöffnet bleiben. Die Lombardei meldete seit Ausbruch der Pandemie mehr als 4000 Todesfälle, die auf das Corona-Virus zurückgehen. In Emilia-Romagna waren es fast 900 und in Piemont 300, dort waren Tausende infiziert.

Massimo Dicanosa, ein Mitarbeiter von TE Connecitivity in Collegno, einer kleinen Stadt nahe Turin, sagt, dass die Spannungen unter seinen Kollegen zunehmen: Der Staat hat strenge Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie in Gang gesetzt, doch sie müssen immer noch in der Fabrik erscheinen.

"Wir werden überschüttet von Nachrichten, die uns auffordern, zu Hause zu bleiben. Unsere Familien sind zu Hause, die Kinder sind zu Hause. Und diejenigen, die das Haus verlassen müssen, sind nicht sicher", sagt er.

"Die schleichende Angst ist, deine Familie zu Hause anzustecken", sagt Dicanosa, der im Spritzguss-Bereich der Firma arbeitet. Und diese Angst nehme zu, trotz der Maßnahmen, die Unternehmen zum Schutz ihrer Mitarbeiter ergreifen. 

"Es kann sein, dass Leute nicht wissen, dass sie sich angesteckt sind, weil sie keine typischen Symptome zeigen. In der Fabrik wird unsere Temperatur überprüft. Aber wenn wir solche Anzeichen nicht haben, aber trotzdem infiziert sind, haben wir ein Problem. Und das geht über die einzelne Firma hinaus", sagt er gegenüber DW.

Nachrufe hängen an einer Wand in Alzano Lombardo aus, in der vom Virus stark getroffenen Lombardei
Nachrufe hängen an einer Wand in Alzano Lombardo aus, in der vom Virus stark getroffenen LombardeiBild: picture-alliance/dpa/AP/L. Bruno

Dicanosas Firma ist gewerkschaftlich organisiert, sie hat am 14. März ein Gesundheits- und Sicherheitsprotokoll unterzeichnet:  Es fordert die Arbeiter auf, Sicherheitsabstand zu halten, bei Arbeiten aus nächster Nähe Masken zu tragen und ihre Temperatur beim Betreten des Werks überprüfen zu lassen.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen ist ein Zeichen für die lokalen Präfekten, dass die Aktivitäten auch nach dem jüngsten Regierungsdekret wie gewohnt fortgesetzt werden können, und das wird in vielen Fabriken passieren.

Sicher oder nicht?

Stefano Zulian sagt, dass sein Unternehmen höchstwahrscheinlich in den nächsten Wochen geöffnet bleiben wird. Zulian ist Arbeiter und Gewerkschaftsvertreter bei Avio-Aero, einem Unternehmen, das Luft- und Raumfahrtkomponenten in der Region Turin herstellt. Für ihn ist die Sicherheit in der Fabrik ausreichend - die Arbeiter können Abstand halten, die Räume werden häufig gereinigt und die Temperatur der Arbeiter überprüft.

"Das Problem", sagt Zulian, "ist in den Köpfen der Menschen. Wenn ich Angst habe, zur Arbeit zu gehen, habe ich nur noch Angst. Mir ist aufgefallen, dass Leute angefangen haben, nach Urlaubstagen oder Krankheitstagen zu fragen", sagt er.

"Bei Avio-Aero müssen sich die Arbeiter jetzt so aufstellen, dass sie anderen am Eingang nicht zu nahe kommen", sagt Zulian. "Wenn sie ankommen, wird als erstes ihre Temperatur gemessen. Danach können die Mitarbeiter in ihren Arbeitsbereich gehen, den sie desinfizieren müssen, und dann beginnt die Arbeit. In den letzten Tagen sei sehr auf das Einhalten von Abstand geachtet worden. "Die Fabrik hat sich in eine andere Welt verwandelt, sie ist ganz anders als vor 15 Tagen", so Zulian.

Zulian nimmt die Sorgen seiner Kollegen ernst. Er räumt aber ein, dass ein wochenlanges Schließen aller Fabriken - wie von Einigen vorgeschlagen - ganzen Industrien einen irreparablen Schaden zufügen könnte.

"Es wäre einfach zu sagen, 'Lass uns einfach schließen', aber dann wäre die nächste Frage 'wie lange?' Es ist nicht einfach, ein großes Unternehmen wie das unsere zu schließen, bei dem Sie eine ganze Lieferkette unterbrechen müssten."

Kein Allheilmittel

Es gibt jedoch Zweifel daran, dass die bloße Einführung von Sicherheitsmaßnahmen in Fabriken, die noch offen sind, die Lösung sein wird. Beim Thema Gesundheit und Sicherheit kommt es in Fabriken auf ganz unterschiedliche Dinge an, erklärt Professor Maurizio Del Conte, Professor für Arbeitsrecht an der Bocconi-Universität in Mailand.

Für Del Conte war es ein Fehler für die Regierung, einheitliche Maßnahmen zu ergreifen, die keine Unterschiede zwischen Unternehmen machen und die auch nicht darauf schauen, in welchen Gebieten sie sind und wie sehr der Corona-Virus sich dort verbreitet hat.

"Der Fehler war zu denken, dass eine Methode für alle funktioniert. Ich würde Unternehmen in bestimmte Gruppen einteilen - um sicherzustellen, wo Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt werden. Dort wo das nicht geschieht, würde ich Firmen schließen", so Conte.

"Sicherheitspläne funktionieren, wenn alle Maßnahmen umgesetzt sind. Aber in vielen Unternehmen gibt es keine Möglichkeit, dies zu überprüfen. Die Arbeitsaufsichtsbehörde ist normalerweise unterbesetzt, und jetzt umso mehr", sagte er gegenüber DW.

Maria Cristina Terrenati von Fim-Cisl, der Gewerkschaft, die italienische Metallarbeiter vertritt, sagt, sie habe Anrufe von Arbeitern in kleineren Fabriken erhalten. Diese berichteten, sie seien in ihren Fabrikhallen nicht vor dem Virus geschützt. "Sie sagen, dass das Einhalten von Abstand nicht möglich ist, dass sie kein Infektionsmittel für die Hände haben. Aber als wir versuchten zu fragen, woher sie anrufen, wagten sie nicht, es uns zu sagen", so Terrenati.