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Virologe: "Gemeinsamkeiten beunruhigen uns"

Silja Fröhlich
21. Dezember 2020

Nicht nur in Großbritannien, auch in Südafrika wurde eine Mutation des Coronavirus entdeckt. Der dort ansässige Virologe Wolfgang Preiser glaubt aber nicht, dass es die Lage tiefgreifend ändert.

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Eine Frau verkauft geröstete Maiskolben, die Maske bedeckt nur den Mund
Die Maske rutschte bei vielen Südafrikanern zuletzt immer weiter nach unten, beobachtet Virologe Preiser Bild: Siphiwe Sibeko/REUTERS

DW: Was wissen Sie über die Mutation des Coronavirus in Südafrika? Ähnelt sie der Variante in Großbritannien?

Wolfgang Preiser: Es handelt sich nicht um dieselbe Virusvariante. Sie sind offensichtlich unabhängig voneinander entstanden. Allerdings weisen sie einige Gemeinsamkeiten auf. Und diese Gemeinsamkeiten sind das, was uns beunruhigt. Die Mutationen haben möglicherweise einen Einfluss auf die Fähigkeit des Virus, eine Zelle und damit auch einen neuen Menschen zu infizieren, aber auch möglicherweise auf die Immunantwort.

Man weiß noch nicht sicher, ob [die südafrikanische Mutation, d. Red.] tatsächlich infektiöser ist als andere Varianten des Virus. Dass es sich innerhalb von gut zwei Monaten im Land sehr stark ausgebreitet hat, spricht etwas dafür, dass diese Virusvariante tatsächlich sehr leicht übertragbar ist. Vielleicht leichter als andere.

Wolfgang Preiser mit weißem Kittel
Virologe Wolfgang Preiser, Leiter der Abteilung für Medizinische Virologie an der Universität Stellenbosch in SüdafrikaBild: DW/A. Kriesch

Doch es ist schwierig, Effekte auseinanderzuhalten. Zum Beispiel haben wir jetzt Hochsommer und die großen Schul- und Universitätsferien. In den vergangenen Wochen gab es allerlei Partys von Abiturienten und jungen Leuten, die froh waren, dass dieses schwierige Jahr vorbei ist. Wir wissen auch, dass diese Partys immer wieder zu Super-Spreading-Events geführt haben.

Was bedeutet die neue Mutation für die derzeitigen Impfstoffe? 

Ob ein Impfstoff und die dadurch hervorgerufene Immunität gegen dieses neue Virus möglicherweise nicht so gut wirkt wie gegen die anderen Varianten des Virus, das wissen wir noch nicht. Dafür machen wir jetzt Laboruntersuchungen.

Viele Länder haben Flugverbindungen nach und von Großbritannien abgesagt…

Das halte ich für etwas übertrieben. Ich glaube nicht, dass dieses neue Virus die Lage derartig tiefgreifend verändert. Ich verstehe, dass man etwas unternehmen möchte, bis man man die Lage besser einschätzen kann. Aber ich hoffe, dass sich das innerhalb von einer Woche oder zwei wieder gibt, weil ich glaube, dass es noch einige Überraschungen gibt. Ich würde mich nicht wundern, wenn [die neue Virusversion, d. Red.] nicht schon längst in Deutschland wäre.

In Südafrika steigen die Infektionszahlen. Was hat die zweite Infektionswelle befeuert?

Was mich persönlich ein bisschen erschüttert, ist, dass wir schon so früh unsere neue Welle haben. Ich hatte gehofft, das es uns erspart bleibt, bis wir im April, Mai in unseren Herbst gehen und es eben wieder kälter wird.

Im Moment ist Ferienstimmung, die Leute sind viel unterwegs, aber das Meiste spielt sich draußen ab. Durch die Luftbewegung und die UV-Strahlung hat es so ein Virus sehr viel schwerer, sich von Mensch zu Mensch weiter zu verbreiten.

Und dennoch gibt es diese zweite Welle. Obwohl wir wissen, dass bei den ärmeren Bevölkerungsschichten, etwa in Kapstadt, bis zu 45 Prozent die Infektion bereits in der ersten Welle durchgemacht haben. Man würde ja annehmen, dass dadurch viele Menschen bereits geschützt sind. Und dennoch bleiben genügend Leute, die es jetzt wieder bekommen können. Das finde ich etwas ernüchternd, denn es zeigt, dass an diesen einfachen Dingen wie der Maske kein Weg vorbeiführt.

Wurden vielleicht Regulierungen zu früh gelockert? Wurde vielleicht nicht genug aufgeklärt?

Hier [in Südafrika, d.Red.] haben wir eigentlich etwas Paradoxes gemacht. Wir hatten einen relativ frühen Lockdown. In einem Land, das ohnehin wirtschaftlich sehr schlecht da steht, kann man das nur ein paar Wochen durchhalten. Viele Leute sind darauf angewiesen, dass sie rausgehen und arbeiten können. Und sei es nur betteln. Wir haben in einer Phase der ansteigenden Epidemie gelockert. Diese erste Welle ist mit minimalen Maßnahmen aber wieder abgeflaut.

Ich glaube, es gibt jetzt ein bisschen Ermüdung gegenüber den Maßnahmen. Man sieht bei immer mehr Leuten - interessanterweise auch gerade bei Wohlhabenden - dass sie die Maske auf Halbmast setzen oder nur als Kinnschutz tragen oder gar nicht mehr.

Letztlich kann ich es nicht ganz verstehen. Ich glaube, hier überlagern sich verschiedene Effekte. Das werden eingehende Untersuchungen zeigen müssen. Unser Sommer derzeit sollte eigentlich entgegenwirken, aber wer weiß, vielleicht wäre es noch schlimmer ohne das schöne Wetter.

Was haben afrikanische Staaten aus der ersten Welle gelernt?

Ich will das nicht sarkastisch missverstanden wissen, aber manchmal ist es für mich ein bisschen tröstlich, in den globalen Norden zu gucken, in die reicheren Länder, und zu sehen, wie schwer auch die sich damit tun. Das lässt mich manchmal denken: Hier ist vieles nicht gut, aber es ist auch nicht so viel schlechter. Es ist kein Komplettversagen. Ein Land, das gewöhnt ist mit Mangel umzugehen, macht einiges wahrscheinlich einfacher, besser und schneller als ein Industrieland, wo der Anspruch des Perfektionismus immer noch mitschwebt.

Ich kann nur für meine Provinz des Westkap sprechen. Hier wurde viel gelernt. Zum Beispiel wurde sich rechtzeitig um Beatmungsgeräte bemüht. Wir haben hier auch Feld-Hospitale in Hallen und Messezentren aufgebaut, die auf relativ einfachem Niveau sehr gut funktionieren. Wir bieten den Patienten das, was sie brauchen, ohne dass sie ins Krankenhaus müssen, weil die Krankenhäuser voll sind.

Südafrika Corona-Pandemie Johannesburg
Weiter fleißig Maske zu tragen wie hier in Johannesburg, ist eines der wichtigsten Mittel in der PandemieBild: Chen Cheng/Xinhua/imago images

Ich sehe mit Entsetzen, dass das Ostkap, das in der ersten Welle schon nicht genug Krankenhausbetten, vor allem mit Sauerstoffversorgung, hatte, zu Beginn der zweiten Welle Anfang September schon wieder nicht genug hatte. Da muss man wirklich fragen: Wo sind hier die Hunderte von Millionen versickert? Denn dafür war  das Geld gedacht, um das aufzubauen.

Wie kann die zweite Welle in Afrika gestoppt werden?

Wir müssen auf das zurückgreifen, was wir jetzt im Jahr 2020 gelernt haben: Maske tragen, Abstand halten, das soziale Leben weitestgehend im Freien abhalten. So etwas in eine positive Nachricht zu verpacken, ist gut: "Wenn Sie die Maske tragen, schützen Sie Oma." Aber vielleicht braucht es inzwischen etwas Abschreckendes. Vielleicht muss man wirklich zeigen: "Hier wurde eine Party gefeiert und jetzt ist Opa tot". Wie bei der Zigarettenschachtel, auf der die Raucherlunge abgebildet ist.

Ich möchte fast annehmen, dass diese neue Virusvariante die Leute vielleicht aufrüttelt. Wenn sie hören, dass es eine Variante ist, die sehr viel infektiöser ist als die alten, die vielleicht sogar schwerere Erkrankungen auslöst. Ob es sich bestätigen wird oder nicht. Dass die Leute sagen: "Jetzt muss ich aber aufpassen." Wenn das genug machen, dann verringert sich die Zahl der Infektionen und das wäre sehr wünschenswert.

Professor Wolfgang Preiser ist Leiter der Abteilung für Medizinische Virologie an der Universität Stellenbosch nahe Kapstadt in Südafrika. Preiser hat an der Entdeckung der Mutation in Südafrika mitgewirkt.

Das Interview führte Silja Fröhlich.

Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und bearbeitet.

Silja Fröhlich
Silja Fröhlich Redakteurin, Reporterin und Moderatorin